Meine ersten Tage in Übersreik – Irrsinn

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Seit ich Karak Ziflin auf meiner Queste um die Hand der schönen Iglashir verlassen habe, habe ich bereits einiges an Seltsamkeiten erlebt. Aber was ich in Übersreik erlebt habe, lässt sich nur mit Irrsinn umschreiben. Mein Leben in Karak Ziflin scheint in weiter Ferne zu liegen. Unerreichbar fast.

Vielleicht liegt es an meiner Erziehung und bisheriger Lebensführung, aber die Welt der Menschen scheint mir von Unlauterkeit geprägt. Ich fühle mich zutiefst verwirrt. Und am Grund dieser Verwirrung brennt eine über alle Maßen heiße Wut. Hier will ich nun versuchen, die Ereignisse zu ordnen, die mich in diesen Zustand gebracht haben, um vielleicht entscheiden zu können, wohin ich mich nun wenden sollte.

Als ich am ersten des Monats April in Übersreik zum Zwangsdienst in der Stadtwache verurteilt wurde für Dinge, die weder ich noch meine Gefährten begangen haben, dachte ich noch: Nur drei Jahre. Es wird mir helfen mich in der Welt der Menschen besser zurechtzufinden. Und schließlich ist die Tätigkeit als Wächter gemeinnützig und ehrenhaft.

Aber ach, wie habe ich mich geirrt. Nur eine Woche hat es gebraucht, meine Meinung vollkommen umzukrempeln und mich in einen Sumpf der Korruption und der Gaunerei zu ziehen.

Aber vielleicht beginne ich am Anfang…

Am zweiten Tag des Aprilmonds wurden wir von Hauptfrau von Pfeffer dem Wachweibel Rudi Klumpenkrug zugeteilt. Seine Aufgabe sei es uns in der der nächsten Woche alles zu zeigen und uns in unsere Pflichten einzuführen. An diesem Tag hatten wir aber erst einmal Gelegenheit unsere Angelegenheiten zu regeln, uns im Wachhaus zurechtzufinden und unsere Stube zu beziehen.

Ich muss sagen, bereits diese ersten Stunden hätten mich warnen sollen vor dem, was in den nächsten Tagen zupass kommen sollte: Die Wache insgesamt war… runtergekommen ist vielleicht das rechte Wort. Allem Anschein gab es auch im Wachhaus einige Scharmützel als die Altdorfer Soldaten in die Stadt gekommen sind und die von Jungfreuds vertrieben haben. Neben diesen offensichtlichen Beschädigungen an Putz und Wänden war aber nicht zu übersehen, dass man es nicht für nötig hielt, das Wachhaus sauber zu halten – geschweige denn zu reparieren. Genauso in unserer Stube: ich habe mit dem jungen Ruben drei Stunden mit Putzen zugebracht, bis die Stube einigermaßen bewohnbar war. Trotzdem waren wir gezwungen auf alten, durchgelegenen Strohlagern zu nächtigen bis ich tags drauf neues Stroh organisieren konnte.

Die belustigten und gehässigen Blicke der anderen Wachen sind mir nicht entgangen. Scheinbar wurden nur die undiszipliniertesten Altdorfer der Wache zugeteilt. Ich meine, auch Hauptfrau von Pfeffer hätte so etwas angedeutet – sie nannte ihre Leute, so glaube ich, Abschaum. Sie fanden es jedenfalls weit unter ihrer Würde, ihre Behausung sauber oder instand zu halten.

Dass von unserer konfiszierten Habe nichts den Weg in die Taschen eines gierigen Wächters gefunden hatte, kann angesichts des Zustands der Wache, der sich in den nächsten Tagen noch auf mannigfaltige Weise zeigen würde, wohl als Wunder gewertet werden.

Da wir nun ein Zimmer im Wachhaus hatten, ging ich zurück zu dem Gasthaus, in dem wir in der letzten Nacht hätten einkehren sollen, um den Wirt davon zu informieren, dass wir die Zimmer nicht mehr bräuchten und die wenigen Sachen einzusammeln, die ich im Zimmer gelassen hatte. Dabei erkundigte sich der Wirt, nach Bauer Leiber, den wir ja nach Übersreik begleitet hatten und der unsere Zimmer bezahlt hatte. Seiner Aussage nach hatte der Bauer sein Zimmer in der Nacht nicht bezogen und der Wirt machte sich etwas Sorgen. Ich versprach die Augen offen zu halten. Aber von seinem Stand auf dem Marktplatz war nichts zu sehen. Wahrscheinlich wurde er bei den Unruhen am Vorabend zerstört. Wenn er an den Unruhen beteiligt war, müsste er so wie wir inhaftiert worden sein. Wenn aber nicht… Ich kann mir nur schwerlich vorstellen, dass sich der Bauer mit in das Handgemenge hat verwickeln lassen. Er war mitnichten ein Kämpfer…

Einen Umstand, den ich später am Abend bei unserem Vorgesetzen Weibel Klumpenkrug anzusprechen versuchte, als wir ihm im „Kächzenden Raben“ trafen, der aber vom Weibel abgewürgt wurde. Im Vorfeld hatte er und nur in der Wache herumgeführt und nur wenige Worte an uns gerichtet. Mit einem verschwörerischen „Die Wände haben hier Ohren.“ beorderte er uns zu einem Treffen am Abend in der vorher genannten Schenke, um alles weitere mit uns zu besprechen.

Bei der Schenke „Krächzender Rabe“ handelte sich um einen derb bürgerlichen Ort. Die Räume schienen einigermaßen sauber und Bier und Eintopf, der uns vom Weibel ausgegeben wurde, waren von ordentlicher Qualität – wenn das Bier mir auch etwas dünn schien…

Weibel Klumpenkrug gab sich leutselig, bat uns, ihn Rudi zu nennen, und eröffnete uns, dass er uns in der nächsten Woche begleiten und uns alles zeigen würde. Zu diesem Zeitpunkt schien mir seine gute Laune und seine offene Art als willkommene Abwechslung und gutes Vorzeichen für die Zukunft. Wir könnten sicherlich einiges Gutes in der Wache bewirken.

Er sprach wortreich von den zwei Seiten der Stadt und, dass wir nun auf der dunklen Seite der Stadt unsere Arbeit verrichten würden. Namentlich im Hafenviertel, dass sich beidseitig des Teufels den Fluss entlangzieht. Beim „Bodensatz“, wie er sagte. Die von Jungfreuds hätten alles unternommen, um die Schatten in der Stadt unter Kontrolle zu halten, aber jetzt..? Und es wäre sicherlich besser, sich von größeren Ansammlungen von Altdorfer Soldaten fernzuhalten…

Erst jetzt fällt mir auf, dass der Weibel nicht gesagt hat, wie erfolgreich die von Jungfreuds bei ihrem Versuch waren die Schatten einzudämmen. Überhaupt scheint Weibel Klumpenkrug jede Art von Treuebekundung gegenüber wem auch immer zu vermeiden… Inzwischen glaube ich, dass er nur sich selbst gegenüber treu ist. Aber ich greife vor.

Schließlich gingen auch dem Weibel seine Geschichten aus und er beorderte uns am nächsten Morgen zum Sonnenaufgang zum Zollhaus an der Brücke: Unsere erste Tagschicht von dreien, die dann von drei Nachtschichten und schließlich einem freien Tag gefolgt wurden, um dann in einer neuen Woche von neuem zu beginnen.

Am nächsten Morgen scheuchte ich die Jungs aus ihren Betten, um pünktlich am Zollhaus anzukommen. Wir trugen unsere „neuen“ Wappenröcke, die uns als Mitglieder der Stadtwache kennzeichneten und die keinem von uns wirklich passten.

Weibel Klumpenkrug erwartete uns gut gelaunt und begann dann unsere Schicht mit uns: er patrouillierte mit uns durch das Hafenviertel und erzählte viele kleine und große Geschichten über die Straßen und Orte an denen wir vorbeikamen. All diese Anekdoten wiederzugeben halte ich für unnötig. Klar wurde allerdings, dass Klumpenkrug Erfahrung hat. Viel Erfahrung. Er hat auf den Straßen überlebt und ist der Dienstälteste in der Wache.

Auf einem kleinen Marktplatz beobachteten wir dann einen Diebstahl und hier zeigte sich zum erstem Mal Klumpenkrugs wahres Gesicht: Wir alle verfolgten die Diebin und Alanus konnte ihn tatsächlich einholen und die gestohlene Geldkatze zurückholen, auch wenn die Diebin entkommen konnte. Gut gelaunt nahm Klumpenkrug die Geldkatze, erleichterte sie um gut die Hälfe der enthaltenen Münzen, während dem sich beklagenden Händler fast die Augen vor Unglauben und Empörung aus dem Kopf fielen und händigte ihm dann die so erleichterte Geldkatze aus – mit einer Bemerkung darüber, dass er besser auf sein Geld aufpassen müsse. All das tat er ohne sich zu verstecken oder zu verstellen. Unglaublich eigentlich und mit üblichen Maßstäben von Recht und Gesetz nicht vereinbar. Aber allem Anschein nach war solches oder ähnliches Verhalten für ihn nicht ungewöhnlich: Die anderen Händler gaben sich alle Mühe, den Bestohlenen zu beruhigen und eine Zuspitzung der Situation zu verhindern…

Was ich nun kaum nachvollziehen kann, ist, dass der Mann von vielen respektvoll, sogar freundlich gegrüßt wird.

Am zweiten Tag ging ich bereits sehr viel enttäuschter zur Schicht. Wieder Patrouillieren untermalt von den niemals endenden Anekdoten von Weibel Klumpenkrug. Am Nachmittag bemerkte Ruben den Geruch von Rauch und unterbrach damit eine von Klumpenkrugs Geschichten. Kurze Zeit später wurden Rufe nach Feuer laut. Eine Metzgerei stand in Flammen und als wir vor Ort ankamen, stand bereits das ganze Haus in Flammen und eine kleine Menschenmenge hatte angesammelt und diskutierte darüber, was zu tun sei. Im ersten Stock rief ein in den Flammen eingeschlossener Mann mit seiner Frau und seinem Kind nach Hilfe. Es war keine Zeit lang zu überlegen. Glücklicherweise mussten weder ich noch meine Gefährten lang überlegen: Alanus und Gerwin spannten einen ihrer Mäntel auf um das Kind aufzufangen und Ruben begann damit eine Löschkette zu organisieren. Ich für meinen Teil zückte meinen Spaten und rannte in das brennende Gebäude, um den Erwachsenen einen Weg in die Sicherheit zu bahnen.

Ich gebe zu, dass meine Erinnerungen an den Rest des Tages ein wenig durcheinander sind. Ich schaffte es, mir den Weg ins Obergeschoss zu bahnen. Die Frau und das Kind schienen inzwischen aus dem Fenster in den aufgespannten Mantel gesprungen zu sein. Der Mann allerdings stand taumelnd und verloren im brennenden Raum. Seinen schwelenden Ärmel löschte ich mit meinem Mantel und suchte dann einen sicheren Weg durch die Flammen. Hinter mir war die Treppe jetzt in tödliche Flammen gehüllt. Also blieb nur der Weg durch die Wand. Direkt ins Nachbargebäude. In der Hoffnung, dass das Fachwerk alt und dünn wäre, warf ich mich mit aller Kraft den Mann im Arm gegen die Wand. Und tatsächlich brachen wir durch.

Ich trug den fast bewusstlosen Mann dann nach unten, bevor ich selbst unter Schock zusammensackte. An alles andere kann ich mich nur noch unzusammenhängend erinnern. Klumpenkrug hatte irgendwann angemerkt, dass Feuer nicht unsere Sache wären. Das war glaub ich vor unserem Eingreifen. Ruben meinte irgendwann aufgebracht, dass Klumpenkrug in einer nahen Schenke gesessen und gar nichts getan hätte, während er versucht hatte Ordnung in die Menschenmenge zu bringen. Ich glaube, ich war dabei meinen angesengten Wams zu säubern und zu flicken, als er das erzählte. Die Frau und das Kind hatten den Sprung aus dem Fenster überlebt, wenn die Frau auch böse auf Rücken und Steiß gelandet war. Das Kind war unverletzt. Das erzählte glaub ich Alanus. Der gerettete und sehr dankbare Mann hieß Norbi Ditwin. Und dann lag ich irgendwann in meinem Bett und schlief mit schmerzender Schulter und heißem Gesicht ein.

Die letzte Tagschicht begann wie die vorherigen: Endloses Gelatsche und endlose Geschichten. Wir waren irgendwo in der Nähe des Teufels, als wir Hilferufe hörten. Ein Händler wurde von mehreren Menschen zusammengeschlagen. Klumpenkrug ging selbstbewusst auf die Szene zu und ich erwartete, dass er seinen Einfluss nutzen würde, um die Situation aufzulösen und den Händler zu retten. Aber stattdessen präsentierte er sich, erkundigte sich nach der Situation und bestand, nachdem der größte, der „kleine Willi“, dargelegt hatte, dass der Mann seine Hafengebühren nicht bezahlt hatte, darauf, dass der Händler seine Hafengebühren nach Schilling und Groschen zu bezahlen hätte. Damit drehte er sich wieder um und verließ den Schauplatz, während der Händler weiter zusammengeschlagen wurde. Ich war so perplex… Ich bin einfach mitgegangen… Wir haben dem Händler nicht geholfen. Klumpenkrug sagte noch, dass die Schläger zur Gilde der Stauer gehörten und wiederholte seine Warnung, sich nicht mit ihnen anzulegen. Der Anführer der Stauer war Wilhelm “kleiner Willi” Decker, der Sohn des Gildenmeisters.

Neben diesen Ereignissen haben wir jetzt wahrscheinlich jeden Flecken des Harfenviertels gesehen, an dem sich irgendein Verbrechen zugetragen hat, und die dazugehörige Geschichte gehört. Zum Sonnenuntergang endete die Phase der drei Tagschichten. Jetzt würden wir drei Nächte von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang Dienst tun. Damit blieb uns natürlich jetzt ein ganzer Tag, um Dinge zu erledigen, bevor wir uns zum Sonnenuntergang zur Schicht einfanden.

Ich für meinen Teil bin mit Alanus zusammen losgezogen, um uns nach dem Fleischer Norbi Ditwin zu erkundigen, den wir zwei Tage zuvor gerettet haben. Ich wollte wissen, warum die Fleischerei abgebrannt ist – also wer sie warum angezündet hatte, während der Fleischer und seine Familie noch im Haus waren… Wir sprachen mit dem Tavernenbesitzer von Gegenüber, aber viel konnten wir nicht erfahren. Allem Anschein nach hatte der Fleischer und seine Familie die Stadt verlassen und waren zu Verwandten außerhalb der Stadt unterwegs. Ansonsten war nicht viel aus dem Mann herauszubekommen. Offenbar sind die Menschen hier in der Stadt verschlossen und misstrauisch. Dazu scheint die Wache, deren Röcke wir ja nun tragen, keinen besonders guten Ruf zu haben. Man erzählt ihr nicht alles…

Gerwin versuchte den Dieb vom ersten Tagschicht – der offenbar weiblich gewesen war – aufzuspüren und konnte sie tatsächlich ausfindig machen. Er folgt ihr zum „Krummen Hammer“, in dessen Hinterzimmer Glücksspiele organisiert werden. Die Diebin verschwand dort hinein. Gerwin wurde allerdings vom Wirt aufgehalten, als er ihr folgen wollte.

Auf dem Weg zurück zum Wachhaus wird Gerwin in einer Seitengasse von einem Mann in Kutte aufgehalten. Offenbar ist er ihm vom „Kummen Hammer“ aus gefolgt und jemand der sich sehr gut ungesehen bewegen kann, hat Gerwin ihn doch nicht bemerkt, bis er direkt vor ihm stand. Der Fremde zeichnete sich durch eine seltsame Gesichtshaut aus – vielleicht vernarbt oder durch irgendeine Krankheit gezeichnet. Er sagt Gerwin, dass er ihn bemerkt hat und ihn weiterhin im Auge behalten wird.

Ruben machte sich an diesem freien Nachmittag auf die Suche nach seinem Meister, den er hier in Übersreik treffen sollte. Sein Weg führte ihn zu den Gilden, wo er auf ein Lebenszeichen hoffte. Er wurde zum „Zaubererweg“ weitergeschickt, wo alle Zauberer und Apotheker der Stadt ansässig sind. Im „Zaubererweg“ untersuchte Ruben zuallererst den Turm – Wohnsitz des einzigen echten Zauberers in Überreik, zu dem es aber keinen offensichtlichen Zugang gibt.

In einer Apotheke erkundigte sich Ruben nach seinem Meister. Im Laufe eines recht angenehmen Gesprächs mit der Apothekerin Cordelia Wesseling erfährt Ruben, dass die Besitzerin nichts von Rubens Meister weiß. Sollte Ruben aber Arbeit suchen, könnte er hier gern aushelfen. Außerdem käme in den nächsten Tagen Ida Vernt in die Stadt, die ihrerseits Heckenzauberin und Kräuterkundige sei. Vielleicht weiß sie etwas über den Verbleib von Rubens Meister.

Zur Nachtwache fanden wir uns an diesem Abend wieder im Hafenviertel zusammen. Und wie immer endloses Gelatsche und endloses Gelaber. Klumpenkrug erzählte uns vom Baron, einem aufstrebenden Unterweltboss und dem „Kreuzen“ – Kurzform für die „gekreuzten Finger“, einer Gruppierung von Verbrechern und Ranald-Gläubigen, die im Hafenviertel ihr Unwesen trieben.

Die Nacht war ungemütlich und Nebel zogen von Teuf herauf. Klumpenkrug verabschiedete sich und hieß uns, an einer Ecke am Kai kurz auf ihn zu warten. Inzwischen glaube ich, dass das ein Test war, ob wir seinem Befehl folgen. Er ließ sich jedenfalls lange Zeit bis er zurückkam. Über eine Stunde.

In dieser Zeit wurden wir auf dünne Hilferufe aufmerksam. Ein kleiner Junge suchte nach Hilfe. Offenbar war sein Vater ein paar Tage zuvor nicht vom Angeln zurückgekehrt. Jetzt suchte er nach Leuten, die bereit waren ihm zu helfen und seinen Vater zu suchen.

Wir folgten dem Jungen zu seiner Mutter nach Dunkelfeucht – dem Elendsviertel, dass aus Treibgut direkt unter die Brücke über den Teufel gebaut worden war. Hier leben die Ärmsten der Armen und Klumpenkrug hatte uns mehr als einmal gewarnt dieses Viertel zu betreten.

So dauerte es auch nicht lange, bis sich Verfolger und Beobachter offenbarten, die uns im Auge behielten, während wir dem verzweifelten Jungen Eugen Pechling über die verwinkelten Stege zu seiner Mutter Magunde Pechling folgten. Die Familie – Mutter, Vater und fünf Kinder unterschiedlichen Alters – hauste in einem windschiefen Verschlag, der sich dicht an einen der breiten Brückenpfeiler kauerte. Vom Vater Reikert Pechling fehlte seit drei Tagen jede Spur, seit er eines Tages nicht vom Fischen zurückgekehrt war.

Wir sind dann aber nicht bis zum Steg gegangen, auf dem der Mann verschwunden sein musste. Keiner von uns fühlte sich wohl hier und, wenn man uns angreifen würde, würden unsere Leichen wie die vieler anderer im Teufel verschwinden… Und ein verräterisches Platschen aus der Richtung ließ nichts Gutes ahnen.

Als Klumpenkrug nach fast zwei Stunden zurückkam, erzählten wir ihm nichts von der Begegnung mit dem Jungen und unserem Abstecher nach Dunkelfeucht. Und er erzählte nichts von seinen Geschäften, obwohl offensichtlich war, dass seine Wangen von Bier und Kaminfeuer gerötet waren. Vielleicht hatte auch noch etwas anderes ihn gewärmt… Er war jedenfalls gutgelaunt und entspannt.

Dann erreichten uns Nachrichten über Unruhen im „Krummen Hammer“: Altdorfer Soldaten und Übersreiker Wachen waren aneinander geraten und nahmen sich nicht nur gegenseitig, sondern auch alle, die zwischen die Fronten geraten waren, und die Taverne selbst auseinander.

Klumpenkrug setzte sich, als wir angekommen waren, abseits des Kampfes an einen Tisch und bestellte seelenruhig ein Bier, während der Wirt über seine zerlegte Taverne jammerte und uns anflehte, den Kampf zu beenden und seine Taverne zu retten.

Es kostete mich einiges an Beherrschung nicht einzugreifen, aber welche Chance hätte ich schon gehabt, wenn ich ohne Waffe zwischen die Streithähne gegangen wäre. Hätte ich meinen Spaten schwingen dürfen… aber Klumpenkrug antwortete verwirrt, wir würden nie tödliche Gewalt einsetzen, als ich fragte – in der Hoffnung, dass Klumpenkrug mir die Erlaubnis geben würde mit dem Spaten in der Hand einzugreifen.

Also schaute ich zähneknirschend zu, bis der Kampf langsam abflaute und wir eingriffen und die letzten, teilweise schon schwer angeschlagene Kämpfer endgültig mit einem gezielten Schlag ins Reich der Träume schickten. Nebenbei sammelten wir ihre Geldkatzen ein. Aus diesen konfiszierten Vermögen erhielt Gert Hunder, der Wirt des „Krummen Hammers“ eine großzügige Abfindung – ungefähr die Hälfte, um seine Taverne wieder in Stand setzen zu können. Von den restlichen Münzen sahen wir freilich nichts. Weibel Klumpenkrug nahm es auf sich, die konfiszierten Geldkatzen zu „verwahren“… Ich glaube nicht, dass dieses Geld irgendwo anders als in einer Taverne oder einem Bordell auftauchen wird…

Die Rädelsführer wurden weiteren Wachen übergeben und damit war auch diese Sache beendet…

Dazu hatte er noch die… er meinte wohlwollend an uns gerichtet, an uns sei anscheinend nicht alles verloren und wir könnten es vielleicht tatsächlich noch zu etwas bringen… und das er von erwarte, pro Schicht einen Schilling an ihn zu zahlen. Allein an seinen Gesichtsausdruck zu denken, während er das sagte, lässt schon wieder die Wut in mir aufsteigen.

Die nächsten zwei Tage – Nachtwachen – verliefen ähnlich, auch wenn es auch keine nennenswerten Vorkommnisse mehr gab: Gelatsche und Anekdoten, die in meinen Ohren inzwischen alle irgendwie gleich klingen.

Am siebten Tag – unserem eigentlichen freien Tag – wurde wir alle in aller Frühe in die Messe gerufen – ich hatte mich gerade auf meinem Lager ausgesteckt. Hauptfrau von Pfeffer lobte wortreich  Klumpenkrugs Einsatz der letzten Woche, die Rettung eines Fleischers und seiner Familie aus ihrem brennenden Haus, die Auflösung einer Schlägerei im „Krummen Hammer“ und damit der Verhinderung schwererer Schäden an der Taverne , verlieh ihm einen goldenen Orden und gab ihm eine prall gefüllte Geldkatze als Belohnung.

Ich… konnte einfach nicht mehr. Ich bin so wütend. Ich habe den Raum verlassen, bevor ich irgendetwas Dummes tat.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sind alle Menschen so? Oder ist nur Klumpenkrug so ein Lump? Ich brauche Rat. Dingend.

… sonst werde ich zum Mörder…

Auszug aus den Aufzeichnungen von Kuzak Bagoschson über seine ersten Tage in Übersreik

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