Upsala, 14.November 1880, Aufzeichnungen von Linda
Seit gestern Nacht haben sich die Ereignisse überschlagen. Nachdem wir die Krypta geöffnet und eine schauerliche vampirartige Ungestalt befreit hatten, standen wir an einem steinernen Sarg, dessen textiles Innenfutter noch den Abdruck eines vollständigen unzersetzten Körpers trug. Wir schlossen die Krypta und berieten, dass wir über die Gebeine im Grabtuch die halbe Zeit hier in der Kapelle und die halbe Zeit draußen vor der Kapelle wachen wollten, so dass der erste Sonnenstrahl nicht von uns versäumt werden konnte.
Da es Sunna und Norvid nicht mehr auf den Beinen hielt, gingen sie ins Schloß, um sich auszuschlafen, während Clara und Ida die erste Wacht übernahmen. Ich bezog später die Wacht im Garten gemeinsam mit Bengt. In der Dunkelheit sah ich die schwarz verschleierte Dame auf einem Balkon des Schlosses stehen. Sie beobachtete uns.
Als die ersten Sonnenstrahlen auf das am Boden liegende Bündel aus Leichentuch und Gebeinen fiel, stieg daraus ein Dunst auf, der uns Hoffnung machte, dass nun die Geister der Nachtraben zurück in die Knochen gebannt waren. Grund dieser Hoffnung beeilten wir uns zur Kirche von Samuel Köningsmark zu kommen, um ihm das Grabtuch zurückzugeben und die Gebeine in der, für solche Fälle vorgesehene, Sammelgrabstelle in geweihtem Boden beerdigen zu lassen. Als dies geschehen war reisten wir unverzüglich zurück ins Schloß, um uns dort mit warmen Bädern und vielen Stunden erholsamen Schlafes von der Nacht zu erholen.
Geweckt wurden wir von den harmonischen Klängen einer Frauenstimme, die gälisch keltische Waisen sang. Sie stammte von einem Grammofon, das über Nacht im Lesezimmer aufgetaucht war und von keinem, uns bekanntem Menschen dort hin geräumt worden war. Bei einem hervorragenden späten Frühstück gesellte sich Algot zu uns, um mit uns die Aufnahme neuer Kontakte zu möglichen Verbündeten und die Einstellung einer weiteren Dienstperson zu besprechen. Wir entschieden uns, die Stelle eines Hausmeisters besetzen zu lassen und machten uns auf den Weg in die Kanzlei unseres Vertrauens, in der Post für uns hinterlegt worden war.
Algot berichtet zuvor, dass Linnea diese Musik oft gehört hat, dass die Vaetten auf Schloß Gyllenkreutz unter den Stallungen wohnen und unkomplizierte Nachbarn sind, mit denen man sich durchaus unterhalten kann und Bengt führt ein Gespräch mit dem vorlauten Kollo und überlässt ihm zwei Münzen.
Während Sunna und Norvid den Tag zur dringenden Recherche in unserer Schloßbibliothek nutzten, machten wir uns auf den Weg zur Kanzlei. Unser Anwalt Lundquist gebot Eile in der Angelegenheit der Vormundschaft von Linnea Elfeklint und wir versprachen unser Bestes zur entsprechenden Beschleunigung zu tun. So machten wir uns nach Erhalt unserer Post auf den Weg zu Olaus Klint.
Der Brief ist an Linnea adressiert. Ihr Freund Graf Hugo von Kaiserling hat Bedenken gegenüber eines geplanten Exorzismus, den seine Gemahlin und ein Priester an seinem erstgeborenen Säugling vornehmen wollen. Er bittet dringend um rasche Hilfe in Estland.
Auf dem Weg zu Olaus gingen Clara und ich ein Wegstück zu Fuß am Anwesen der Bäcklunds vorbei und trafen auf Nils. Er berichtete, dass die gesamte Hautevolee bereits dort gewesen war, um die Briten zu besuchen, die mit ihrem gesamten Hausstand aus Bediensteten und Sicherheitsleuten eingezogen waren.
Als eine Kutsche vorfuhr, erhaschten wir einen kurzen Blick auf das britische Paar, ein exzentrischer sehr junger Herr und eine, bezogen auf ihr Alter, sehr schwer einzuschätzende Dame mit einer mysteriösen Aura.
Olaus Klint nahm unseren Besuch erfreut entgegen und erklärte sich gerne bereit auf unsere Kosten den Anwalt zu wechseln und sich nun von der Kanzlei unserer Gesellschaft vertreten zu lassen. Folgende Informationen hatte er für uns. Kontaktaufnahme zu den Briten geht wahrscheinlich am besten über Professor Bergström, dessen berühmtestes Werk handelt von der Mythologie der Kelten. Auch der Antiquar Albert von Linne soll profundes Wissen auf diesem Gebiet haben. Sophia aus der Hexenkatze hat sich bei ihm gemeldet und wäre bereit die Hexenkatze zu verlassen, vielleicht unsere erste Rekrutin?
Wir machten uns anschließend auf den Weg zur Nervenheilanstalt. Auf dem Weg verkündete Bengt sehr wortreich und ausführlich wie und warum er komplett betäubt die Reise zu Hugo von Kaiserling nach Arensburg auf die Insel Ösel antreten möchte.
Angekommen am Tor der Anstalt konnten wir feststellen, dass sich dort eine Menge verändert hatte. Das Wachpersonal hatte sich mindestens verdoppelt und es herrschte eine angestrengte Geschäftigkeit. Torwächter Rasmus “Schleck” Brugge berichtete, dass vor zwei Tagen ein neuer Patient eingeliefert worden sei, dem der komplette Keller eines Flügels des Gebäudes zur Verfügung gestellt wurde. Er war mit den neuen reichen britischen Mitbesitzern der Anstalt gereist. Niemand vom hiesigen Personal hatte ihn gesehen und nur das mitgereiste Personal der britischen Herrschaften durfte den Keller betreten. Es wurde gemunkelt, er wäre in einem Sarg oder einem Frachtcontainer eingeliefert worden.
Der arme Robert Montague soll komplett ausgeflippt sein in der Nacht, in der der neue Patient eintraf. Clara erwarb beim Torwächter einen überteuerten Passagierschein und wir gelangten in die Klinik. Dort bat uns der freundliche Pfleger Samuel in einen Nebenraum, um von seiner großen Sorge über Linneas Veränderung durch die Elektroschock-Therapien zu berichten.
Später, Samuel war bereits gegangen, trat die Pflegerin Stina zu uns mit überraschenden Neuigkeiten. Stina kann Vaesen sehen wie wir, natürlich versprechen wir dies geheim zu halten. Sie hat bei Frau Laukonen die Hypnosetherapie gelernt. Sie weiß dass, zum Ärger der Ärzte, die Elektroschock-Therapie bei Ingrid Bäcklund von „ganz oben“ abgesetzt wurde und dass Ingrid diese Nacht oder den nächsten frühen Morgen in eine privatere Umgebung verlegt werden soll.
Als wir schließlich Linnea sehen durften, spielte Ida ihr die alte Schellackplatte mit den keltischen Liedern vor. Es schien sie zu beruhigen, uns jedoch beunruhigten die Sprachfetzen, die sie in ruhigem Ton von sich gab: „Olga?“ „Emma?“ „Ihr müsst Emma finden“ „der König kommt“ „es hat begonnen“ „er wartet auf mich“ „ich sehe ihn im Licht“ „wenn ich zu ihm gehe, sehe ich sie wieder“…
Unsere Eindrücke von der Klinik und die dringende Frage was genau in Ingrid Bäcklunds Kopf vor den Schäden der Elektrotherapie bewahrt werden sollte und die große Sorge um Ingrid trieb uns in lange Debatten darüber, was zu tun sei und auch dazu, zwei Bekannte, Olaus und Algot, erneut und eine, Mme Laukonen, zum ersten Mal an diesem Tage aufzusuchen.
Olaus Klint riet uns, tief in die Tasche zu greifen und Profis zu bezahlen, die Ingrid Bäcklund entführen sollten.
Frau Laukonen berichtete, dass ihre Fähigkeiten hypnotischer Art sehr weitreichend seien und auch aus der Ferne große Macht auf Lebende und Geister hätten, diesmal als Mittel der Wahl aber nicht die beste Lösung wären. Sie riet uns Algot einzuweihen, er wüsste den elegantesten und gefährlichsten Weg um Ingrid Bäcklund aus der Klinik zu holen.
Algot erklärte sich nach unserem Bericht aufs unfreundlichste bereit, uns zu helfen und scheuchte uns in die Klinik, mit dem Auftrag uns das Zimmer und die Tür zum Zimmer von Ingrid Bäcklund genauestens einzuprägen. Nachdem wir einen weiteren, im Preis erheblich gestiegenen, Passagierschein erstanden, die apathische Ingrid besucht und uns ihr Zimmer in allen Einzelheiten genauestens eingeprägt hatten, gelangten wir wie durch ein Wunder völlig unbemerkt wieder aus der Anstalt heraus und eilten zurück in das Schloß. Diesmal hatte sich Sunna uns angeschlossen, da sie des Lesens und Recherchierens inzwischen müde geworden war und den Eindruck hatte, dass eine Medizinerin bei einer heimlichen Blitzverlegung einer psychisch erkrankten Person von Nöten sein könnte.
Zurück im Schloss Gyllenkreutz führte uns Algot in einen Flügel des Schlosses, den wir in Zukunft unter Androhung wüster Strafen NIEMALS WIEDER ohne vorherige Absprache mit ihm jemals auch nur mit der Fußspitze würden betreten dürfen, bis wir schließlich vor der Tür des Königs-Turm-Zimmers standen. Algot knurrte, dass wir uns jetzt nacheinander die Tür von Ingrids Zimmer vorstellen und durchgehen sollten, wünschte uns viel Glück und verschwand.
Ich sah daraufhin Ida die Tür öffnen und in einer Backsteinwand verschwinden. Ich tat es ihr nach und nachdem ich eine beschmutzende energetische Substanz passiert und das furchtbare Gefühl, von etwas sehr Gefährlichen gesehen worden zu sein, abgeschüttelt hatte stand ich in Ingrid Bäcklunds Zimmer in der Klinik.
Mit mir waren dort Ida, die schlafende Ingrid und, auf dem Fenstersims sitzend, Robert Montague. Nach einer Weile traten Bengt und Clara ebenfalls ins Zimmer und Ida und Bengt hoben Ingrid auf, um sie mitzunehmen. Da Eile geboten trug Ida nun Ingrid durch die Tür, während sie sich ganz genau die Tür zum Königsturmzimmer und den Korridor dahinter vorstellte. Sie verschwand im Bild des Klinikflures. Ich folgte ihr auf die gleiche Art.
Jetzt stehen wir hier im Flur. Ida, ich und die sedierte Ingrid. Doch die Anderen kommen nicht und Algot stößt die übelsten Flüche aus, irgendetwas scheint mächtig schief gelaufen zu sein……………….Oje!