21.05.888 n.G.
Einer nach dem anderem stiegen wir vorsichtig die schmale Stiege in den Keller hinab. Amir meinte, einen Schemen gesehen zu haben, der sich über sein Opfer hergemacht hat. Doch sobald ich mit der Laterne dazukam, fanden wir nur einen Mann im Priestergewand hinter einem geöffneten Sarkophag auf dem Boden, den wir für Vater Gregorius hielten. Er lag in seinem eigen Blut und ihm fehlten je ein Arm und ein Bein, aber noch lebte er.
Im Raum verteilt waren die Überreste anderer Opfer. Amir suchte den Keller mit Schwertschwüngen nach einem unsichtbaren Gegner ab, was uns etwas nervös machte. Aber er war nicht erfolgreich. Ich konnte keine Magie feststellen, weil ein Zeichen auf dem Sargdeckel alles überdeckte. Auf der Innenseite waren Kratzspuren, als wäre jemand in diesem Horrorhaus lebendig eingesargt worden und hatte versucht, sich wieder zu befreien. Im Sarkophag lagen einige Gegenstände, die wir an uns nahmen – Amir nahm ein Schwert mit grüne Klinge, einen Schädel und eine Robe, Severin einen Dolch und ich sechs gefüllte Fläschchen.
Der Priester war in einem fürchterlichen Zustand. Wir verschlossen den Sarkophag und brachten ihn nach oben. Um nicht von den Schlägern beobachtet zu werden, gingen wir hinten hinaus und durch die Gärten der Nachbarhäuser, bevor wir uns wieder auf eine Straße wagten.
22.05.888 n.G.
Glocken läuteten, als es Mitternacht war. Im Dom wurden Gregorius Wunden und sein Fieber behandelt, und wir säuberten uns und zogen saubere Sachen an. Die Novizin Claudia holte Vater Paulus, dem wir umfassend berichteten. Er informierte uns, dass der gehörte Schädel, der Karl Brünne auf den Arm tätowiert worden war, ein Zeichen des Dämonenfürsten war.
Noch in der Nacht gingen wir auch zu Alyssa. Sie wirkte etwas enttäuscht, dass wir schon mit Vater Paulus gesprochen hatte, und mahnte uns, es uns nicht mit den Stadtoberen zu verscherzen. Sie ging sofort los, um den Vorfall im Murr-Haus zu melden, und wir gingen zurück zum Dom, um endlich zu schlafen.
Wir wachten noch vor dem Morgengrauen auf – bis auf Velten, der den Schlaf der Gerechten schlief. Amir meinte, einen Schrei aus dem Erdgeschoss gehört zu haben. Eine Magd bestätigte das dort. Bei Gregorius Krankenzimmer angekommen, sahen wir, wie sich sein Kopf monströs verwandelt und er die Zähne tief in den Hals von Bruder Ibrahim geschlagen hatte. Amir, der sein Schwert mitgenommen hatte, zog die Klinge und schlug dem Monster den Schädel ab.
Vater Paulus war in die Stadt gefahren. Ein anderer Priester gab Anweisungen und meinte, dass es sich um einen Ghul handelte, der bereits im Murr-Haus die Gestalt von Gregorius angenommen hatte. Am Ende dieser ereignisreichen Nacht holte Amir sein Kästchen hervor, schaute einen Moment erwartungsvoll, bis er den Blick auf ein mechanisches Wunderwerk richtete, dass an der Wand hing und leise tickend die Zeit zählte.
Nach einer viel zu kurzen Nacht gingen Amir und aus Gewohnheit auch ich zur Sonntagsmesse, die von Vater Paulus im Dom gehalten wurde. Mit keinem Wort erwähnte er die Dinge, die sich zugetragen hatten. Da niemand nach uns verlangte, gingen wir vier nach dem Mittagessen zu Alyssa. Auf Anweisung ihres Kommandanten Jonas Kreutzer war niemand während der Nacht ins Murr-Haus gegangen, und am Morgen hieß es, dass sich die Inquisition der Sache annähme. Sie hatte somit nichts in Augenschein nehmen können. Wir berichtetem ihr vom Ghul.
Am nächsten Tag sollten wir einem Amtmann vom Schicksal von Freidorf berichten, aber einige von uns überlegten, ob wir nicht besser die Stadt noch an diesem Tag verlassen sollten. Doch als wir wieder im Gästehaus des Domes ankamen, wurden wir zu einem Krieger geführt, der erstens in seinem Kettenmantel sehr stattlich aussah und zweitens den Auftrag hatte, uns zum Inquisitor Randolfus zu bringen.