03.09.889
Während Kleckser, der gerade den Lakaien des Inquisitors getötet hatte, vor den Augen der Stadtwachen von Hüttenstadt stand, nutzte er deren Verwirrung und floh aus der Stadt. Während die Wachen das Tor abriegelten, blieben Julius Henrik Abel, Knirps Made, Vater Garwin und Wylan Lichtträger hinter der Absperrung in der Stadt zurück. Leicht verdutzt und überfordert fragten sich die drei, wie sie den entflohenen, nun zu Recht wegen Mordes gesuchten Ork wiederfinden könnten.
Im Gasthaus „Hüttenhof“, einem noblen Hotel mit Restaurant und Teestube, mieteten Julius, Vater Garwin, Knirps Made und Wylan ein Zimmer, um sich zu erfrischen und damit Vater Garwin genügend Zeit hatte, die Zeichnung des von Kleckser ermordeten Mannes anzufertigen. So hoffte er, mehr über ihn und die Pläne des Inquisitors Estren Karabandius zu erfahren.
Währenddessen diskutierten Julius und Knirps darüber, wie sie zu Kleckser gelangen könnten. Julius erklärte in seiner typischen Magier-Manier, dass magische Portale auf der gezielten Manipulation sogenannter Ätherströme beruhten – unsichtbarer Energien, die den Raum zwischen den Welten durchzögen. Durch das Erzeugen eines Resonanzfeldes zwischen zwei Knotenpunkten, so Julius, würde die lokale Geometrie des Raumes destabilisiert und dadurch eine temporäre Topologiebrücke geöffnet werden. Diese Brücke solle, wie er betonte, die Raumzeit falten wie ein gespannter Stoff, sodass entfernte Orte unmittelbar benachbart erscheinen würden.
Die Stabilität eines solchen Portals, wie er weiter ausführte, erhalte es durch manatransduktive Schwingungen, die verhindern sollten, dass sich das Gewebe der Realität unkontrolliert wieder schließe. Je nach Ausrichtung könnten Portale, so habe er abschließend angemerkt, nicht nur verschiedene Orte, sondern auch unterschiedliche Realitätsschichten miteinander verbinden – was sie sowohl zu Transportwegen als auch zu potenziellen Gefahrenherden mache.
Knirps, sichtlich genervt von dieser kompetenten, aber theoretischen Darstellung, dass zwar vieles möglich, praktisch jedoch kaum umsetzbar sei, verwandelte sich kurzerhand in einen Falken und flog aus dem Fenster – sehr wahrscheinlich, um im Geröll nach Kleckser zu suchen.
Als Vater Garwin mit seiner Zeichnung fertig war, begaben sich die drei Übriggebliebenen zur Rezeption und begannen dort ihre Fragerunde, ob jemand den Schergen des Inquisitors erkennen würde. Der Pförtner erkannte den Mann tatsächlich wieder und erzählte, dass dieser Herrn Mulligan getroffen habe. Weiterhin berichtete er, dass sich Mulligan in Zimmer 7 aufhalte und Vater Garwin ihm, falls gewünscht, einen Brief hinterlassen könne.
Während eines sehr extravaganten Drei-Gänge-Mittagessens im Restaurant des „Hüttenhofs“ erhielt Vater Garwin schließlich ein Antwortschreiben von Herrn Mulligan. Dieser bat darum, sich um 16 Uhr zum Tee im Salon des Gasthauses zu treffen.
Als sie bereits den ersten Tee zu sich nahmen, trat ein gut gebauter Mann – vermutlich Mitte dreißig – mit einem wohlproportionierten, kantig-männlichen Gesicht und warmen, braunen Augen an ihren Tisch. Obwohl sein Erscheinungsbild dem eines freundlichen jungen Mannes glich, ging von ihm eine seltsam bedrohliche Ausstrahlung aus. Dieses widersprüchliche Zusammenspiel machte den Anblick des Mannes, der sich als Tom Mulligan vorstellte, fast surreal.
Im Gespräch ließ Mulligan erkennen, dass er tatsächlich geschäftliche Verbindungen zu Inquisitor Karabandius unterhielt. Für ihn selbst sei es eine Investition gewesen, die zunächst vielversprechend klang, nun jedoch als Fehlentscheidung erscheine. Er glaube nicht mehr daran, dass der Inquisitor aus den Bergen archäologische Schätze bergen und diese – vor allem lebend – nach Hüttenstadt zurückbringen würde.
Beim Abschied konnte Wylan seinem inneren Drang nicht widerstehen. Ein Freund des Feindes ist auch dein Feind, hallte es in seinem Kopf. Und da die Welt ohnehin übervoll von Kreaturen mit bösen Absichten sei, stach Wylan zu.
Ein Ausatmen. Zwei aufgerissene Augen. Und drei Gestalten, die plötzlich vor ihm standen.
Neben Herrn Mulligan erhoben sich zwei riesige, spinnenartige Monstrositäten, die jede Wärme aus ihrer Umgebung zu saugen schienen.
Überrascht und doch entschlossen, allem Übel der Welt den Garaus zu machen, stürzte sich Wylan in den Kampf. Unterstützt von Julius Henrik Abel und Vater Garwin gab er sein Bestes. In höchster Konzentration sprang er hin und her und stach mit seinen Säbeln zu, doch die Dämonenspinnen waren schneller. Nach mehreren gezielten Angriffen lag Wylan kampfunfähig am Boden. Eine der Dämonenspinnen nutzte den Moment, griff zu und riss ihm den Kopf ab. Wylans Kopf schleuderte quer durch den Raum zu den anderen beiden.
Vater Garwin wollte ihm noch zu Hilfe eilen, doch Julius packte den Priester, murmelte eine Beschwörungsformel und teleportierte sie aus der Gefahrenzone – hinaus aus dem Gasthaus.
Im gemieteten Zimmer des „Hüttenhofs“ berieten sich Vater Garwin und Julius kurz. Sie wollten Kleckser und Knirps Made zu Hilfe holen. Während Julius von der Aufregung nur langsam zur Ruhe und zur nötigen Konzentration fand, unterstützte Vater Garwin ihn mit einem beruhigenden Gebet. Mit dem Beistand des EINEN Gottes gelang es den beiden schließlich, sich an die Brücke außerhalb von Hüttenstadt zu teleportieren.
Dort erzählte Julius von seinem Plan der „Zaubererholung“, um anschließend zurückkehren zu können und den Rest von Wylans Körper zu bergen. Heroisch betonte er, wie ernst es ihm sei: „Wenn ich nicht heute zurückkomme, dann komme ich morgen!“
Und so geschah es. Julius und Vater Garwin teleportierten sich erneut in den Gasthof – und sahen die Verwüstung. Umgeworfene und zertrümmerte Möbel, getötete Zivilisten und der kopflose Körper Wylans. Doch von Herrn Mulligan und den Dämonenspinnen fehlte jede Spur.
Mit Wylans Leichnam in den Armen teleportierten sie sich rasch aus dem Gasthaus, bevor der unheimliche Händler mit seinem Gefolge zurückkehren konnte.
Im Geröll außerhalb von Hüttenstadt legte Vater Garwin die Leichenteile sorgsam bereit und versuchte, zur Ruhe zu kommen, um das Ritual der Wiedererweckung zu beginnen. Es dauerte seine Zeit, doch schließlich konnte der Priester das Ritual beginnen. Während Julius in die Schwärze eintauchte und sich der Traumwelt der Schlafenden hingab, trat Vater Garwin in den schwarzen Nebel des Jenseits ein.
In der Dunkelheit musste der Priester lange suchen – bis er schließlich fündig wurde. Ein kleines, flackerndes Licht: die Seele von Wylan Lichtträger, allein in der Dunkelheit.
Ein unregelmäßiges Klacken ließ Julius aus seinen Träumen erwachen. Geblendet vom Licht einer Fackel sah er, wie Vater Garwin ein Steingrab für ihren gefallenen Kameraden errichtete. Voller Trauer trat Julius hinzu, und gemeinsam bauten sie schweigend Wylans letzte Ruhestätte.
In der Nacht, wie Motten vom Licht angezogen werden, näherten sich auch Kleckser und Knirps Made dem Fackelschein. Vater Garwin erzählte ihnen, was im Gasthaus geschehen war – und dass der Preis für Wylans Wiedererweckung ein geöffneter Schleier zwischen den Realitätsebenen gewesen wäre.
Eine Seele, die sich dem wiederkehrenden Zyklus von Leben und Tod anvertraut – in die Hände des EINEN Gottes – oder alle Seelen, übergeben an den Dämonenfürsten. Wie Wylan sein Leben für andere gegeben hätte, so handelte auch Vater Garwin – im Geiste seines gefallenen Freundes.



