Spieglein, Spieglein an der Wand

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Upsala, 15.November 1880, Aufzeichnungen von Clara

Derweil sind Sunna und Norvid in unserer schlosseigenen Bibliothek in Recherchen vertieft und merken langsam, wie ein Hungergefühl sich ihrer bemächtigt, so dass Norvid, ganz der Gentleman, sich auf den Weg Richtung Küche macht, um diesem mit kulinarischen Genüssen Abhilfe zu schaffen.

Sunna lehnt sich räkelnd in ihrem Sessel zurück, als sie in ihrem Rücken eine deutliche Kühle spürt. Beim Blick nach hinten wird sie einer dunklen Gestalt gewahr – ist sie echt? Ist sie ein Geist? Den ersten Gedanken an Flucht kann Sunna erfolgreich verdrängen, jedoch jagt ihr das Flüstern der Gestalt ein wenig Angst ein. Mit einem gehauchten „Lineaaaaa“ kommt sie immer näher, das eisige Knirschen des um sie herum gefrierenden Bodens ist deutlich zu hören.

Sunna folgt der schwarze Dame, die nicht auf Ansprache reagiert, sich aber nun zu einem Bücherregal wendet, ein Buch aus einem etwas höher gelegenen Regal zieht, zum Tisch geht und sich dort in Sunnas Sessel niederlässt, die auf einmal auf dem Tisch stehenden Weinflasche ergreift, sich in ein ebenfalls dort stehendes Glas einschenkt, scheinbar einen Schluck aus diesem Glas nimmt und es mit einem deutlich zu sehenden Lippenstiftabdruck wieder auf den Tisch stellt.

Erst dann lüftet sie ihren Schleier und dreht sich langsam zu Sunna, die in ein sehr bleiches Gesicht sieht, das gewisse Ähnlichkeit zu Ingrid aufweist. Die schwarze Dame steht auf und während sie mit kaltem Blick auf Sunna zugeht, kann diese erkennen, dass auf dem Buch der Name „Emma Bäcklund“ steht. Noch während sich in ihr der Gedanke festigt, dass es sich bei diesem Geist um genau diese Emma Bäcklund handeln könnte, haucht dieser ein „Selmaaaaa“ und berührt Sunna dabei, der von dieser vom Wesen ausstrahlenden Kälte schwarz vor Augen wird.

Sunna wacht durch ein leichtes Schütteln von Norvid wieder auf, der sie besorgt fragt, was denn los sei. Sie findet sich in dem Sessel sitzend wieder, auf dem Tisch steht immer noch das Glas mit dem Lippenstiftabdruck. Sunna nimmt einen kräftigen Schluck des Weines, bevor sie Norvid kurz erzählt, wahrscheinlich Emma getroffen zu haben.

Nach einer kurzen Zeit der Erholung stößt Sunna auf dem Weg zur Königsturmzimmertür zu uns, berichtet kurz von ihrer Begegnung mit der schwarzen Dame und von Norvids Vorhaben, in der Bibliothek die Stellung zu halten, falls noch mehr dieser geisterhaften oder ähnlich gearteten Besucher auftauchen sollten.

Unsere nächtliche Reise in Ingrids Zimmer der Nervenheilanstalt kommt mir, gelinde gesagt, wie ein Traum vor, der jetzt in einen Alptraum zu münden scheint. Anstatt mit allen Beteiligten wieder vor der Königsturmzimmertür bei Algot zu landen, finden Sunna, Bengt und ich uns in einem extrem dunkel wirkenden, grauen Gang wieder, der zwar dem Gang ähnelt, den Algot uns entlanggeführt hat, aber dennoch anders ist. Er scheint spiegelverkehrt zu diesem uns bekannten Gang zu sein, die Inschrift über der Tür, die Bilder an den Wänden… alles deutet darauf hin.

Zu allem Überfluss hat sich der, anscheinend zurecht in der Nervenheilanstalt befunden habende, Robert mit uns durch die Tür gequetscht und vermutet nun in jedem von uns seinen Meister, was er durch häufiges Nachfragen kundtut. Nun, hier ist offenkundlich der falsche Weg, also wieder zurück zu dem Ausgangspunkt. Leider entbehrt diese, ich nenne es mal Dimension, die mir bekannte Logik. Unsere Vorstellungskraft der Tür, die uns den Eintritt in dieses Mysterium gewährte, reicht leider nicht aus, um „zurückzukehren“.  Also versuchen wir es mit einem Bild der uns auch sehr wohlbekannten Tür der Bibliothek vor unserem geistigen Auge.

Wenn es auch nicht den gewünschten Erfolg hat, so gelingt es uns doch, den düsteren Gang zu verlassen und in der Bibliothek herauszukommen oder vielmehr in einer düsteren, spiegelverkehrten Version dessen, was wir als Schloss-Bibliothek kennen.

Sunna betritt den Raum und hat ein ungutes Gefühl von Beobachtetsein. Bengt folgt ihr und danach wagen Robert und ich uns dorthin. Mich umgibt wieder dieses Schaudern, als ob ein Mantel von Schmutz über mich fällt und Irgendwer oder Irgendetwas berührt mich beim Durchschreiten an der Schulter. In der Bilbliothek ist es kalt, es ist grau, dunkel und… spiegelverkehrt. Ein Glas mit Lippenstift steht auf dem Tisch, daneben eine Flasche Wein – das Etikett ist natürlich auch spiegelverkehrt.

Wir machen uns auf in den Blauen Salon, dort gibt es, wenn sich die Gestalter dieser umgedrehten Welt an alle Details gehalten haben, einen großen Spiegel. Vielleicht lassen sich dort evtl. Wesen oder Gegenstände erkennen, die in „unserer“ Welt nicht als Spiegelbild sichtbar sind.

Bengt machen diese einerseits bekannten, aber dennoch völlig unbekannten Räume deutlich zu schaffen. Immer wieder sieht er Schatten und hört Geräusche und legt mit seiner Waffe darauf an.

Sunna schaut aus einem Fenster und sieht im Garten drei Gargoyles sitzen. Vom Gang her hören wir ein langgezogenes Keuchen – Emma? Bengt schmeißt nervös einen Tisch um und verschanzt sich mit seinem Gewehr dahinter. Eine Eiseskälte bildet die Vorhut dieses keuchenden Etwas, Sunna versteckt sich hinter der Theke, ich mich hinter einem der Vorhänge. Mit einem lauten Kreischen taucht eine Gestalt in der Tür des Salons auf. Sie schwebt in den Raum und manifestiert sich – das Zerrbild einer verunstalteten Frau mit Klauenhänden.

Mit einem weiteren lauten Keuchen stürzt sie auf Bengt zu und ergreift ihn. Er gefriert quasi in ihrem Griff, schreit noch einmal laut auf und sackt zusammen.

Die Gestalt schwebt mittig im Raum, Sunna schmeißt einen Barlöffel Richtung Ausgang des Salons, die Geräusche klingen gedämpft. Das Wesen schwebt sehr schnell zur Bar und greift nach Sunna, die Richtung Spiegel hinter der Bar strebt. Die schreit vor Schmerzen auf, als sie die messerscharfen, eiskalten Klauen erwischen. Trotz der Schmerzen kann sie noch erkennen, dass weder ihr eigenes noch das Bild der Kreatur im Spiegel zu sehen ist.

Durch Sunnas Aufschrei alamiert, schieße ich auf die Gestalt, doch bevor meine Kugel sie erreicht, nimmt sie wieder ihre „gasförmige“ Form an und nimmt somit keinen Schaden.

Linda und Ida erfahren derweil von Algot, dass wir uns wohl in der „Spiegelwelt“ befinden und sie die Wahl haben, ob sie uns dort zu Hilfe kommen oder uns unserem Schicksal überlassen wollen. Diese Frage hätte er sich natürlich sparen können, entrüstet sprechen sich Linda und Ida für die Rettungsaktion aus.

Ingrid wird dann zunächst in einem Zimmer in Sicherheit gebracht, in dem sie später versorgt werden soll. Algot eilt mit Ida und Linda in einen Raum, in dem ein paar Ritterrüstungen stehen. Mit einem gekonnten Blick entscheidet er sich für zwei unterschiedlich Streitkolben, die er den beiden verdutzt dreinschauenden Frauen zuwirft. „Schusswaffen könnt ihr dort unten vergessen, im Notfall kräftig draufhauen!“ Etwas skeptisch versucht er die beiden darauf vorzubereiten, dass sie durch den größten Spiegel hier im Schloss zu uns gelangen sollen und wie sie sich die andere Seite – die Spiegelwelt – vorzustellen haben. Natürlich kommt er nicht umhin, sich über unsere Unfähigkeit dorthin gelangt zu sein auszulassen.

Mithilfe eines Hockers versucht Linda rücklings durch den großen Spiegel zu fallen, Ida bewegt sich vorwärts hindurch, allerdings scheint es Algot nicht schnell genug zu gehen, denn er schnappt sich ihr zweites Bein und schiebt es eiligst hinterher. Die beiden fallen in einem kurzen Moment von Schwerelosigkeit und auch dem Gefühl von allen Seiten von Dunkelheit angefasst zu werden, durch den Spiegel auf unsere Seite.

Sunna schreit erschrocken auf, als Linda mit einem Streitkolben in der Hand mit einem lauten: „Hi!“ ein Stück über die Theke rutscht und kurz darauf auch Ida aus dem Spiegel mehr fällt als geht Die beiden werden mit einem lauten missbilligen Schrei und dem Anblick des Geistes begrüßt, der sie zwar schockt, aber Linda nutzt den Überraschungsmoment ihrerseits und versucht das Wesen mit einem kräftigen Streitkolbenschlag zu attackieren. Die Kreatur ist davon so abgelenkt, dass Sunnas folgender Schlag Schaden anrichten kann.

Das Wesen schnellt auf Ida zu, die nun gegen den Drang widerstehen muss, alles für diese Gestalt tun zu wollen (Mahrenkuss). Sunna schlägt mit ihrer Flasche auf sie ein. Mein Versuch ebenfalls zur Theke zu eilen und Schläge auszuteilen misslingt allerdings.

Linda nimmt Geräusche von einer großen Menge von Menschen wahr, die sich auf dem Flur in unsere Richtung bewegt. Bevor sie wieder auf das Wesen eindrischt ruft sie uns noch zu „Spiegelverkehrt durch den Spiegel!“.

Die Kreatur kreischt laut auf, Sunna und ich sind von der Situation so dermaßen überfordert, dass wir eine Art Nervenzusammenbruch erleiden, bei Sunna macht sich große Panik breit. Linda trifft leider nicht, das Wesen greift Ida mit einer Klaue an, die sie mit ihrer Waffe abwehren kann, aber auch sie trifft nicht.

Die Meute auf dem Gang wird immer lauter, außerdem wird eine Stimme deutlich hörbar „Meister – wo seid ihr?“ Linda schnappt sich Bengt, eilt mit ihm auf den Spiegel hinter der Theke zu – schafft es der Kreatur auszuweichen und brüllt wütend „Spiegelverkehrt durch den Spiegel!!!!” während sie mit Bengt durch den leicht splitternden Spiegel tritt. Ida hält Sunna und mich an den Händen, ich muss die Augen schließen, um mich an ihre Anweisungen zu halten, wie wir durch den Spiegel gelangen können. Sunna nimmt aus den Augenwinkeln noch wahr, dass Robert in den Salon geschwebt kommt und fragt, ob sein Meister hier sei. Diese Mahr löst sich bei unserem Durchhüpfen des Spiegelglases wieder in Rauch auf und kurz meint Sunna noch die Silhouette eine Frau zu erkennen.

Mehr oder weniger sanft schreiten wir auf der anderen Seite wieder aus dem Spiegel heraus, der mit lauten Splittern hinter uns zerspringt.

Die uns begrüßenden Worte von Algot „Sportlich, sportlich! Tja, einen neuen Spiegel werden wir wohl brauchen“ scheinen wohl seine Art zu sein, seine Erleichterung auszudrücken. Er hätte nicht vermutet, uns alle lebend wiederzusehen. Er schlägt vor, dass uns wohl eine Stärkung und etwas Erholung nun erst einmal gut täten. Dagegen haben wir nichts einzuwenden. Norvid, den einen leichten Alkoholdunst umgibt, steht bei ihm und fragt mit ganz großen Augen: „WAS IST DENN PASSIERT? Ich – ich hab ´n paar Sachen rausgefunden.“

Algot macht uns einen kleinen Imbiss, danach fallen wir todmüde ins Bett und zum Glück heilt die Ruhe der restlichen Nacht und des nächsten Tages die Schrecken der Spiegelwelt, so dass wir am nächsten Abend schon in Stockholm ankommen um ganz früh am nächsten Morgen Richtung Ösel aufbrechen können.

Arensburg – wir kommen!

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