Wärme. Dicht gedrängt an dem Ofen scharen sich Marita Bræckstrøm und ihre zwei Söhne Liam und Nohr.
“Mama, ich hab Hunger” nölt einer der beiden.
“Papa muss jeden Moment da sein, bitte hab Geduld mein Schatz” beruhigt sie ihr Kind.
Langsam kann der Ofen die kalten kleinen Hände nicht mehr wärmen, das ist ihr bewusst. Der Herbst war nicht sehr ertragreich und die Vorräte wurden knapp. Gut, dass Mads noch einen guten Freund im Reichenviertel kennt. Arlof Beregenroich, ein ursprünglicher Kunde, der die filigrane Schnitzkunst von dem Schreinermeister zu schätzen weiß, so wie mittlerweile auch die anregenden Gespräche, welche über die Stadtgeschehnisse hinaus gehen. Marita weiß nicht viel darüber, doch soll Mads damals der Familie Arlofs aus einer heiklen und bedrohlichen Situation geholfen haben.
***
Der Atem hält den mit Frost bedeckten Schal gerade noch von innen Warm. Nur noch wenige Minuten, dann ist Mads bei Bäcker Helmsberg um die Ecke und bald daheim. Gut, dass die Bergenroichs noch einen Teil ihres Linsenvorrats erübrigen konnten. Sogar zwei Mettenden waren noch drin.
“Das wird Marita freuen – sie zaubert sicher eine leckere Suppe davon” denkt er sich während er die Bäckerei passiert.
Es brennt noch Licht; sicher ist seine Frau mit den Kindern noch wach. Der Kleine kann sicher nicht schlafen vor Hunger. Mit einem Lächeln, das der Wind noch so gerade erlaubt, schreitet er sein Haus. Sechs Schritte, fünf Schritte, vier… was steht dort…, drei Schritte, wer hat den Korb vor die Tür gestellt? Einfach aus Reisig geflochten steht er dort mit einem dünnen Tuch bedeckt.
“Arlof schickt doch nicht noch einen seiner Gesellen los, wenn er mir einige Rationen gerade schon mitgegeben hat.”
Mit einer Mischung aus Neugier und gegebener Vorsicht hebt er das Tuch. Kälte. Ein leicht bläuliches Säuglingsgesicht erschrickt ihn vorerst. Es muss schon einige Zeit hier gestanden haben.
Wieder zur Besinnung gekommen hämmert er gegen die Tür.
“Marita, mach die Tür auf! Schnell!”
Aufgebracht lässt sie ihren Mann hinein.
“Schau, das gibt es doch nicht, wer tut so was?”
Nach einigem aufgeregten Hin und Her nimmt Marita das kleine Mädchen auf den Arm.
“Sie ist noch warm, Mads.”
Dicht setzt sie sich mit dem kleinen Knirps an den Ofen, ohne groß nachzudenken nimmt sie sich dem kleinen Fratz an. Eine sorgenreiche Nacht überdauern die fünf. Nur noch Marita ist wach, die Kinder und ihr Mann gut genährt von einer einfachen Suppe konnten sich nicht mehr wach halten. Die ersten Sonnenstrahlen streichen über das Gesicht des Findelkindes. Als kitzelten sie an den Äuglein, die sie das erste mal öffnet. Sie lächeln sich an.
“Mads! Mads! Sie ist wach, sie ist wach, sie lebt”, weckt sie ihren Mann mit Freudentränen in ihren Augen…
***
“Linda. Linda, gib mir doch bitte einen.”
“Ja gleich Papa – ich hab ihn doch hier hin gelegt, ich versteh das nicht. Moment.”
Mads verdreht die Augen, muss dann aber schmunzeln, als Linda in ihrer typischen Manier ihre Jacken- und Hosentaschen durchsucht.
“Fass dir doch nochmal ans Herz und geh in dich, dann fällt es dir wieder ein”, beruhigt er sie mit väterlicher Geduld.
Sie fasst sich mit ihrer Hand auf die Brust.
“Oh, da ist er ja”, erwidert sie verschmitzt und reicht ihrem Vater das Werkzeug.
“Mads, das Essen ist gleich fertig. Kommst du nochmal kurz vorher…”, ruft es aus der Küche.
“Linda, schau nochmal ob die Schraubzwingen richtig sitzen, ich bin gleich wieder da”, weist sie ihr Vater an und verschwindet nach nebenan.
Nicht lange dauert es, da bekommt sie eine recht lautstarke Diskussion ihrer Eltern mit.
“Wir müssen es ihr doch langsam sagen, meinst du nicht?”
“Warum? Ist das wichtig? Wir hatten das Thema doch schon so oft diskutiert.”
“Sie muss es wissen, das ist ihr Recht”
“Sie ist unsere Tochter, das reicht doch.”
Linda verunsichert das Gespräch. ihr Bruder Nohr hatte vor einigen Wochen schon seltsame Andeutungen gemacht. Da kommt ihr Vater wieder zurück.
“Was ist denn los Papa?”
“Nichts, meine Liebe. Sitzen die Zwingen fest?”
“Ja, habs nochmal nachgeprüft.”
“Gut gemacht, dann komm doch zum Essen mein Mädchen. Sag mal, ich hab gehört du hast dich schon wieder als die Kochmagd beim Fleischer Reinhof ausgegeben? Wir haben das doch wirklich nicht mehr nötig. Versprichst du mir, dass du das sein lässt. Sonst packt dich Welmar noch irgendwann in die Wurst” scherzt Mads seine Tochter mit einem Augenzwinkern an.
***
Eines Tages in der Werkstatt, Linda ist fast zu einer stattlichen Frau herangewachsen und hat viele Handgriffe von ihrem Vater gelernt. Mads beobachtet, wie seine Tochter mit Liam ein Werkstück bearbeiten. Es ist ihm schon öfters aufgefallen, dass sie bestimmte Werkzeuge bevorzugt und andere regelrecht meidet.
“Liam, hast du den Stützbalken schon gehobelt. Herr Brogenbrecht will ihn heute Nachmittag abholen.”
“Ja, Papa, hab ihn dort hingelegt.”
“Gut, dann pack ihn doch schon mal in den Hof, dann kann er ihn gleich schneller aufladen.”
Als wäre es ein Laib Brot hebt Liam den Pfeiler an und geht langsam gen Hof.
“Linda, schau, wieso nimmst du nicht dieses Stecheisen, statt den Eichenspatel, du machst es dir doch einfacher damit.”
Linda windet sich
“Danke Vater, ich komme mit dem anderen besser zurecht”
“Na los, ich zeig dir mal wie du damit gut was ausschaben kannst”
Etwas wirsch legt er das Stecheisen in ihre Hand, sodass die Werkseite ihre Finger berührt. Ihre Finger? Mads erschrickt. Die Finger formen sich zu Geäst, als ihre Mutter die Werkstatt betritt.
“Papa was ist das?”, schaut Linda ihren Vater mit zitternder Stimme an.
“Ich…”
Lindas Körper stülpt sich Ast für Ast und Wurzel für Wurzel um und ihre Augen werden von einem grünen Leuchten ergriffen. Dem Vater fällt das Stecheisen aus der Hand und die Mutter schreit lauthals. Voller Furcht eilt Mads zum Ofen und greift sich den heißen Prukelhaken.
“Bei den Göttern, was haben wir in unser Haus gelassen, wie konnten wir nur so blind sein.”
Er streckt ihr den glühend heißen Haken entgegen.
“Und sowas hab ich genährt!”
Marita steht starr dort, rührt sich kein Stück.
“Weiche, welcher Dämon hat dich vor unsere Tür gelegt, weiche du Kreatur!”
Linda, verwirrt, irritiert, hilflos, läuft, sie läuft einfach fort, soweit es geht weiter und weiter, immer wieder im Versuch sich zurück zu verwandeln in die Linda, die ihre Eltern liebten. Die Flucht, sie dauert gefühlt eine Ewigkeit. Das Wesen rannte bis zur Erschöpfung, um den verschreckten und stechenden Blicken zu entkommen. Halbwegs zur Besinnung kommend findet Linda sich in einem dunklen Viertel, Kummer, wieder.
***
Kälte. So vertraut, woher kennt sie diese nur. Sie versteckt sich in einer Gasse, um den Blicken auszuweichen, als ihr eine junge, unscheinbare Frau folgt.
“Na, was ist mit dir los?”
“Ich… Ich weiß nicht… Ich…”
“Alles gut”, ihre Hand legt sich sanft auf die hölzerne Schulter.
“Ich bin Melina. Melina Nyberg. – Und wie heißt du denn?”
Das Mädchen zuckt mit den Schultern
“Dann nenne ich dich Reika.”
Das Mädchen zuckt wieder mit den Schultern.
“Na dann komm mal mit. Bei mir kannst du erst mal zur Ruhe kommen.”