Nicht anfassen

Schreibe eine Antwort

1881, vermutlich Upsala, um den Jahresbeginn, wie viele Tage oder Wochen vergangen sind ist schwer zu sagen, es ist immer dunkel hier, dunkel und kalt. Das letzte Mal dass wir, also Bengt, Ida und ich in Schloss Gyllenkreutz waren, war der erste Januar.

Wir hatten ein Übereinkommen mit den Vätten, die im Pferdestall wohnen, erzielt und uns des Abends selbstzufrieden zum köstlichen Abendbrot (was gäbe ich für die Reste dieses Essens) im Schloss eingefunden und Überlegungen über unsere nächsten Unternehmungen angestellt. Konstantin Konstantinowitsch hatte uns eine Einladung ins Ingermanland gesendet zu einem Austausch über übernatürliche Begebenheiten. Wir wollten dieser Einladung folgen und auf dem Weg noch einen Abstecher nach Alt-Upsala machen, um die dortigen alten Hügelgräber zu besuchen.

Während wir planten, schickten die wunderbar wärmenden herrlichen Suppen (für die ich jetzt Alles tun würde) Botschaften an Clara und Norvid. Sie färbten sich rot und bildeten das Wort „Blot“. Als wir noch rätselten, was oder wer aus dem Schloss durch die Suppe mit uns zu sprechen verlangte, hörten wir das Krächzen eines Rabenvogels aus dem Inneren des Schlosses ertönen. Sunna sah einen großen Raben oben ins Schloss fliegen und folgte dem Vogel instinktiv. Wir folgten ihr alle, doch als wir sie einholten, stand sie alleine und verwirrt im Flur und berichtete, dass sich der Rabe erst in die augenlose Gestalt, die Ida in ihrer Vision gesehen hatte, verwandelt habe, um sich danach in Rauch aufzulösen.

Bengt machte daraufhin den ungeheuer vernünftigen Vorschlag uns zur Nachtruhe zu begeben, ach hätten wir ihn bloß befolgt. Stattdessen kehrten wir noch zu einem Drink in den Blauen Salon ein. Dort bewegten sich Schatten im Spiegel, Ida sah plötzlich die grausige Mahr, der wir einmal im Spiegelschloss nur mit knapper Not entkommen waren, im Spiegel und kurz darauf erschien die schwarze Dame, der wir mitten in der Nacht in die verbotenen Bereiche des Schlosses folgten.

Sie führte uns zu einer weiteren Portaltür, in deren Rahmen diesmal der Begriff „Spiegelzimmer“ eingemeißelt war und glitt durch diese Tür. Dann hörten wir ein unheilvolles steinernes Knirschen und stellten fest, dass der Gang, auf dem wir gekommen waren, nun durch eine Mauer verschlossen war. Als die Mauer sich wieder zurückschob sahen wir in einen anderen Gang. Wir entschieden uns es mit diesem Gang zu versuchen und setzten unseren Weg fort, vorbei an verriegelten, verrammelten und verbretterten Türen. Hinter einer weinte ein Kind? Ein Myling? Selma? Als ich diesen Namen rief, verstummte das Weinen plötzlich.

Der Gang führte uns vorbei an einer zwergenkleinen Portaltür, deren Inschrift Clara mit „Tierzimmer“ übersetzte und hinter der es so bedrohlich scharrte und kratzte, dass wir beinahe das schauerliche Schleifen von Ketten aus einem der unteren Gänge nicht gehört hätten. Und dann war da noch die Stimme in unseren Köpfen, die uns mitteilte, dass wir ihr Reich nun gefunden hätten und sich erkundigte, ob wir gekommen waren, um sie zu befreien.

Bengt stimmte zur Ablenkung ein Seemannslied an, dass das „Was auch immer“ mit der Kette motivierte sich auf den Weg zu uns zu machen. Wir rannten eine Treppe links von unserem Standort nach oben und hinter uns schloss eine wandernde Wand den Gang. Der nun erreichte Teil des Schlosses wirkte schon ruhiger und bekannter auf uns und so schlenderten wir entspannter und neugierig in einen uns noch unbekannten Rittersaal mit Erkerfenster.

In der Mitte des Saals stand ein kleines Podest und darauf eine gläserne Kugel mit einem winzigen Schloss Gyllenkreutz, in dem ein Lichtschein hinter den Fenstern wanderte und es schien heftig zu schneien in dieser Miniaturwelt. Und ich war so entzückt von dieser kleinen Winterwelt, ich musste sie aufheben und anschauen – ausgerechnet ich, die weiß, dass so etwas kleines wie ein Trollbeutel im Inneren geräumig und ewiges Gefängnis sein kann – und ich konnte die Hände nicht davon lassen.

Ich hörte noch die Hälfte von Norvids eindringlicher Warnung und seitdem bin ich hier. Ida, die ebenfalls nicht auf die Anderen hören wollte und ich, wir sind wohl im Inneren der Kugel und hier ist es alles Andere als entzückend und niedlich. Das Schloss ist unbetretbar, alle Eingänge zugemauert. Es ist schneidend kalt und regelmäßig, gefühlt jede Nacht, wobei das nur eine Vermutung ist, denn hier wird es nie hell, macht ein grauenvoller Jäger mit seinem Höllenhund Jagd auf alles Lebendige, dass es hier gibt.

Ida und ich haben uns in die Lumpen der Leichen gehüllt, die hier um das Schloss verteilt sind und uns von ihren Überresten ernährt. Wir konnten bisher immer wieder Verstecke bauen und der Jagd entkommen, wir wissen nicht wie lange schon, Ida vermutet, dass wir eine Woche hier sind.

Plötzlich hören wir Schüsse und lautes Rufen. Wir kennen die Stimme, es ist Bengt. Wir sehen uns an und denken das gleiche: wenn wir ihn nicht stoppen, wird er so einen Krach schlagen, dass der Jäger erwacht und uns holt. Wir eilen lautlos zu ihm und können ihn überzeugen still zu sein und uns in unser Versteck zu folgen. Ich merke wie entsetzt er uns anschaut, wir sehen auch sicherlich derbe abgerissen aus. In unserem Versteck erzählen wir ihm von dem Jäger und Bengt ist sich sicher diese Kreatur bei unserem Nachtspaziergang in Alfheim schon gesehen zu haben.

Ich weiß nicht, was ich von Bengts Ankunft halten soll. Einerseits bin ich froh, denn nun sind wir zu dritt in der nächsten eisigen Nacht und wir können uns zu dritt wärmen, das ist einmal mehr Körperwärme und unsere Waffen werden durch ein Gewehr ergänzt – das ist gut. Andererseits war damals, als ich halb ausgeweidet von der Grollborste und blutend im Schnee lag, Bengt der Einzige, der sich dagegen entschied, mich einfach liegen zu lassen. Der Einzige, von dem ich glaube, dass der versuchen würde mich hier herauszuholen ist jetzt hier. Ich kann nur hoffen, dass Ida und Bengt von Sunna, Norvid und Clara als weniger verzichtbar eingeschätzt werden als ich und sie einen Weg finden uns hier herauszubekommen.

Ich behalte meine düsteren Gedanken für mich, denn wir müssen uns nun um Verstecke kümmern und um Wärme und Fleisch und die Nacht beginnt, der Jäger kommt bald… Wie lange werden wir das hier noch überleben?

Sunna, Clara und Norvid stellen Recherchen zu der Schneekugel an, die allerdings keinen Aufschluss über eine mögliche Rettung  geben. Norvid fällt plötzlich auf, dass es vor den Fenstern im Blauen Salon nicht schneit, das Schneegestöber ist nur hinter dem Erkerfenster des Rittersaals zu sehen. Ist das Fenster die Tür zur Schneekugel?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Datenschutzhinweise: Die E-Mailadresse wird an den Dienst Gravatar übermittelt (ein Dienst der Wordpress Entwickler Auttomatic), um zu prüfen, ob die Kommentatoren dort ein Profilbild hinterlegt haben. Zu Details hierzu sowie generell zur Verarbeitung Deiner Daten und Widerrufsmöglichkeiten, verweisen wir Dich auf unsere Datenschutzerklärung. Du kannst gerne Pseudonyme und anonyme Angaben hinterlassen.