22. Oktober 2512, Übersreik, Reikland
Liebe Hildrun,
es ist schön zu hören, dass Cousine Elfriedes Hochzeit so grandios war! Dass sie schon wenige Monate danach vor der Niederkunft steht, grenzt an ein Wunder.
Wo war ich im letzten Brief stehengeblieben? Ach ja, im Theater. Wir waren dort angekommen und versuchten uns ein Bild der Lage zu machen. Es wäre vielleicht einfacher gewesen, schon am Vortag hier gewesen zu sein. Es ging zu wie auf einem Rummelplatz, überall liefen Leute herum: Schauspieler, Bühnenarbeiter, Handwerker und mittendrin Benedict Gurkenfeld wie ein aufgescheuchtes Huhn, der alle zusätzlich nervös machte. Uns auch.
Es war sehr unübersichtlich und es gab für uns einiges zu tun. Das Theater war zwar nicht riesig, doch gab es viele Bereiche, die vorher überprüft werden mussten: die Bühne, die rückwärtigen Bereiche, der Keller, der Zuschauerraum mit Empore und der Vorraum. Zusätzlich mussten diese Bereiche auch während der Vorstellung überwacht werden, wozu wir eigentlich zu wenige waren. Aber die Zeit wurde knapp, jammern konnten wir später noch. Wir teilten uns auf.
Ruben überprüfte die Lage hinter der Bühne und die Waffenattrappen dort und sprach mit dem Personal. Niemand war auffällig. Kruger sah sich die Bühnenaufbauten und die Brücke über der Bühne genauer an. Dabei fand er ein morsches Seil, was er umgehend meldete. Danach prüfte er den Hintereingang. Hier war sehr viel Betrieb aber keine Auffälligkeiten. Alanus überprüfte derweil den Saal auf irgendwelche Auffälligkeiten, fand aber nichts. Danach ging er in den Vorraum, aber auch hier war nichts zu finden. Ich sah mir die Empore und die Logen an, hier war aber auch nichts merkwürdig, Und auch im Keller, den ich als nächstes prüfte, war nur ein Seil an einem Aufzug morsch, auch das wurde gemeldet.
Die beiden Mietsöldner waren inzwischen eingetroffen. Wir wiesen sie ein, einer sollte den Hinterausgang überwachen, der andere den Keller. Mit Beginn der Vorstellung bezogen wir unsere Posten. Kruger passte über der Bühne auf der Brücke auf, Alanus hinten im Saal, Ruben hinter der Bühne und ich auf der Empore. Für den Fall der Fälle hatten wir Signale vereinbart.
Langsam füllte sich der Saal mit Zuschauern, es war viel Prominenz dabei, die aufzuzählen viel zu lange dauern würde. Die Vorstellung begann mit einer Rede des aufgescheuchten Direktoren Hühnchens. Man hätte den Eindruck gewinnen können, dass er das zum ersten Mal macht. Danach begann das Stück “Die Tragödie des Oswald”. Im ersten Akt geschah nichts auffälliges, dann war die erste Pause.
Mit Beginn des zweiten Aktes fiel Alanus ein Arbeiter auf, der mit einer Kiste auf dem Arm aus dem Keller kam. Da dieser im Saal nichts zu suchen hatte verfolgte Alanus ihn. Mir fielen einige Zuschauer ins Auge, die immer noch ihre recht dicke Kleidung trugen. Alanus folgte dem Arbeiter hinter die Bühne, während ich einen zweiten Arbeiter ebenfalls mit einer Kiste aus dem Keller kommen sah. Dieser ging nach hinten in den Saal, weshalb ich meinen Posten verließ und nach unten ging. Der Arbeiter, den Alanus verfolgt hatte, stellte seine Kiste auf der Brücke ab und ging in den Keller zurück, wohin ihm Alanus folgte.
Der Söldner an der Hintertür meldete unterdessen Ruben, dass sich draußen ein Truppe Schläger in der Nähe der Tür gesammelt hatte. Was auch immer die vorhatten. Das sollten wir noch frühzeitig erfahren. Der Arbeiter im Keller ging in einen eigentlich unwichtigen, da mit altem Krempel zugestellten Kellerraum und nahm eine weitere Kiste auf. Alanus stellte ihn zur Rede. Der Arbeiter war ehrlich überrascht als Alanus die Kiste öffnete: sie war randvoll mit vergammeltem Gemüse.
Derweil nahm ein Arbeiter auf der Brücke die Kiste, die vorher dort abgestellt war und schüttete sie über der Bühne aus. Und damit brach das Chaos aus. Im Wahrsten Sinn des Wortes. Aus der Kiste fiel künstlicher Schnee und ein grünlicher Staub, der sich schnell als Warpsteinstaub herausstellte! Das war eine Katastrophe, wie du dir sicherlich vorstellen kannst. Der Staub verteilte sich schnell auf der Bühne und auch im Saal.
In diesem Moment standen im Saal am Rand Zuschauer auf, fingen an zu buhen und warfen mit Gemüse und Eiern. Was dann passiert, ging sehr schnell und chaotisch vonstatten. Kruger sah einen weiteren Arbeiter, der zwei Eimer auf die Bühne kippte, einen mit Farbe und einen mit Seife, weshalb die Schauspieler nicht nur bunt aussahen, sondern auch noch herumrutschten. Panik brach aus.
Ich schnappte mir den ersten Gemüsewerfer und rang ihn zugegebenermaßen etwas brutal zu Boden, wobei sich auch erst danach herausstellte, dass das ein ziemlich normaler Kerl war, der ehrlich überrascht war, dass ich so eskalierte. Das geschah ihm zwar recht, aber es machte den Eindruck, dass die Zuschauer, die hier Gemüse warfen, mit den Gesichtslosen wahrscheinlich nichts zu tun hatten, sondern nur als Krawallmacher bezahlt waren. Das war mir aber egal und ich überzeugte seinen Nebenmann, ebenfalls aufzuhören. Seine Schmerzen mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Alanus gesellte sich dazu und überzeugte zwei weitere, mit dem Werfen aufzuhören.
Kruger versuchte unterdessen, den Arbeiter mit den Eimern zu verfolgen. Die anderen Arbeiter schienen nur einen Auftrag bekommen zu haben, die Kisten zu transportieren beziehungsweise auszukippen. Die hatten wahrscheinlich nichts mit der Sache zu tun. Der mit den Eimern schien aber ziemlich sicher mit drinzustecken.
Ruben eilte im allgemeinen Trubel zum Hinterausgang, zusammen mit vielen Schauspielern und Arbeitern. Um am Ausgang den Söldner am Boden liegen zu sehen, er war niedergeschlagen worden. Kruger hatte den Arbeiter, der die Eimer ausgekippt hatte, verfolgt und konnte ihn stellen. In diesem Moment sah er aber auch, dass der Direktor Gurkenfeld gerade entführt wurde! Schnell folgte er den drei Gestalten, die sich ihn gepackt hatten, bis zum Hinterausgang. Draußen erwarteten ihn allerdings die Schläger, die die Entführer passieren ließen und sich Kruger in den Weg stellten.
Zum Glück hatte Ruben Alanus und mich in der Zwischenzeit informiert, so dass wir drei auch am Hinterausgang eintrafen. Wir warfen uns den Schlägern entgegen, da wir weiter hinten die Entführer in eine Gasse verschwinden sahen. Es musste jetzt schnell gehen.
Die Schläger waren leider Fachkräfte und in der Überzahl und ließen sich nicht einfach wegschieben. Aber Sigmar war uns hold. Die Hexenjägerin Ursula Marbad, die wir im Saal als Zuschauerin gesehen hatten, kam mit ihren vier Begleitern dazu. Die verschafften uns den Platz, an den Schlägern vorbeizukommen und die Entführer zu verfolgen.
Die waren mit dem Direktor unter dem Arm glücklicherweise langsamer als wir, so dass wir sie in der Gasse stellen konnten. Es waren alles Mutanten, wie wir schnell feststellten. Wenn ich ehrlich bin, macht es das aber angenehmer, die einen Kopf kürzer zu machen ist eine gute Tat. Das taten wir dann auch, Sigmar ist nun mal stärker.
Ruben bemerkte während des kurzen Kampfes an der nächsten Straßenecke eine Person. Sie trug eine Maske der Gesichtslosen und schien Magie zu kanalisieren. Ruben versuchte einen Schadenszauber, aber der andere Zauberer hatte eine Art magischen Schild. Und er zauberte irgendeine hässliche Sache, die uns vier großen Schaden zufügte. Aber nicht genug und als die schäbigen Mutanten tot am Boden lagen, zog sich der Feigling schnell zurück. In diesem Moment kam Ursula Marbad um die Ecke, während Direktor Gurkenfeld jammernd aber lebendig in einer Ecke lag. Immerhin, das Allerschlimmste hatten wir verhindern können.
Aber was war eigentlich passiert? Jemand hatte einen größeren Plan verfolgt. Und einen durchdachten dazu. Das Eine war der Protest des Pöbels mit dem Gemüse. Das war aber nur die Ablenkung für die Entführung. Und das Ganze war insofern durchdacht, dass jemand frühzeitig das Gemüse, den Warpsteinstaub, die Protestierenden, die Schläger und nicht zuletzt die Entführer organisiert hatte. Dazu die vermutlich unschuldigen Arbeiter instruieren, zur richtigen Zeit die Kisten zu transportieren und die Entführer hineinlassen, wenn die sich nicht schon vorher drinnen versteckt hatten. Das war ganz sicher ein travail intérieur wie die Bretonen zu sagen pflegen, ein Inside-Job.
Die Annahme, hier wäre nur eine kleine und schwache Gruppierung der Gesichtslosen aktiv, war falsch. Vielleicht war sie klein, aber schwach war sie nicht. Und diese Gruppe arbeitete mit dem Wandelnden Griff zusammen. Gut, dass Ursula Mabad vor Ort war, hoffentlich hatte sie ein Interesse an der Jagd auf die Chaosbrut.
Ich werde dir berichten, wie es weitergeht und grüß bitte Mutter und Vater von mir.
Bis bald, liebste Grüße und Sigmars Segen,
Dein Konrad