13. April 2512, Übersreik, Reikland
Liebe Hildrun,
danke für deinen Brief, ich habe mich sehr gefreut zu hören, dass es euch allen gut geht. Viele Grüße an Onkel Walter, ich hoffe, er wird schnell wieder genesen.
Bei mir gibt es leider nicht viel Neues zu berichten. Immer noch müssen wir den Zwangsdienst in dieser vermaledeiten Wache ableisten. Aber wir haben ein paar gefährliche, aber hoffentlich hilfreiche Aufträge beenden können, die unseren Dienst hier, so Sigmar will, verkürzen, wenn nicht beenden werden. So weit ist es nur leider noch nicht, daher lass mich berichten, was uns zuletzt widerfuhr.
Wie erwähnt, hatte unsere Freundin Cordelia ja etwas Probleme mit zwei zwielichtigen Gestalten, die sie beobachteten. Nun wollte Cordelia sich mit einem Bekannten treffen und befürchtete, dass diese Gestalten hinter eben diesem her waren. Daher hatten wir einen Plan ausgeheckt, die beiden abzuhängen.
Cordelia wollte auf dem Weg durch die Pfeifenbeinallee über einen kleinen Platz gehen, der nur von zwei Seiten zugängig ist. Hier wollten wir lauern und mit verschlossenen Toren und im Weg stehenden Kisten die Gestalten aufhalten.
An und für sich funktionierte das auch ganz passabel. Gerwin sperrte ein Tor am Eingang, Ruben lenkte einen Wächter, der auf dem Platz Wache stand, ab und Alanus und ich stellten den Ausgang mit Kisten zu. Das hielt die beiden ausreichend auf. Gerwin war währenddessen auf die Dächer geklettert und ihm fiel auf, dass die beiden Gestalten zu schnell wieder auf Cordelia aufschlossen.
Ihm war aber noch eine andere Person, die über die Dächer kletterte und Cordelia zu folgen schien, aufgefallen. Arbeitete die mit den beiden Gestalten zusammen? Gab sie den beiden Hinweise? Was für eine Person das war, konnte Gerwin nicht erkennen, aber sie bewegte sich sehr gewandt und trittsicher auf den Dächern.
Wir anderen drei beeilten uns jetzt auch, Cordelia zu erreichen. Auf der nächsten breiteren Straße konnten wir sehen, dass die beiden Cordelia im Blick hatten und ihr mit Abstand folgten. Cordelia steuerte auf eine Herberge namens Ruggers Persion zu. Gerwin sprang kurzentschlossen vom Dach, ging an ihr vorbei uns raunte ihr zu, dass sie noch verfolgt wurde. Sie antwortete aber, dass es zu spät ist und sie ihren Bekannten jetzt treffen muss.
Also tat Gerwin etwas, dass nicht nur uns völlig überraschte, sondern vielleicht sogar ihn selbst. Er ging den beiden Gestalten entgegen und als er direkt neben der Frau war, nahm er sie plötzlich in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf!
Völlig überrascht versuchte die Frau, ihm einen Schlag zu versetzen, verfehlte aber. Auch der Mann versuchte, sehr laut und sehr ordinär fluchend, Gerwin zu schlagen, der duckte sich aber behände weg und konnte entfliehen.
Verfolgen wollten die beiden Gestalten ihn nicht, da ihnen Cordelia wichtiger war. Fluchend liefen sie ihr hinterher. Wenn das Gerwins Plan war, hatte er hervorragend funktioniert.
Cordelia war inzwischen um die Herberge herumgegangen, was die beiden auch taten. Wir folgten, nur Alanus ging vorne in die Herberge. Dort betrat er einen Schankraum, wo einige breitschultrige Kerle saßen und Bier tranken. Als Alanus den Raum betrat, verstummten alle- wie sich später herausstellte, handelt es sich bei diesem Etablissement um die Gilde der hiesigen Flussschiffer, die Fremde argwöhnisch beobachteten. Oben hörte er in diesem Moment irgendwo Gegenstände scheppern.
Wir anderen drei gingen um die Ecke der Herberge und sahen ein offenes Tor, dass zum Hinterhof führte. Wir warfen einen vorsichtigen Blick in selbigen und sahen die beiden Gestalten mit gezogenen Waffen unschlüssig herumstehen. Plötzlich hörten wir erst einen Schrei und dann einen Schuss aus einer Pistole! Das kam eindeutig aus einem offenen Fenster aus dem Obergeschoss der Herberge.
Gerwin rannte quer über den Hof, um über einen Anbau auf das Dach der Herberge zu klettern. Die beiden Gestalten waren sehr überrascht und der Mann konnte Gerwin einen kräftigen Hieb verpassen, aber Gerwin schaffte es auf den Anbau. Alanus rannte drinnen die Treppe hoch und Ruben und ich rannten über den Hof in den Anbau, in dem die Küche untergebracht war, um drinnen zur Treppe zu kommen. Klettern wie Gerwin wollten wir dann doch nicht.
Alanus erreichte den Raum kurz vor Gerwin. Hier bot sich ein gleichermaßen merkwürdiges wie erschreckendes Bild. Auf dem Boden lag ein Mann mittleren Alters mit einer Schusswunde in der Brust und schien tot zu sein. Vor ihm stand eine schwerbewaffnete Frau mit einer rauchenden Pistole in der Hand, die gerade eine zweite zog um damit auf Cordelia, die in einer Ecke kauerte, zu schießen. Auch Cordelia wurde in die Brust getroffen und sank röchelnd zu Boden.
Alanus griff kurzentschlossen an, jedoch war die Frau nicht nur schwerbewaffnet, sondern auch blitzschnell und verletzte ihn schwer am Bein. Gerwin hatte derweil das Fenster erreicht. Die Frau warf ein Messer nach ihm, verfehlte jedoch glücklicherweise. Gerwin, schon schwer angeschlagen, ließ sich vor dem Fenster auf das Dach sinken. Die Frau sprang auf das Fensterbrett, als Ruben und ich das Zimmer erreichten. Ich konnte noch einen Schwertstreich in ihre Richtung führen, traf aber nicht und wurde in einer Abwehrreaktion ebenfalls von ihr verletzt. Dann schwang sie sich hinaus und rannte über die Dächer davon.
Mir war noch eine Brosche an ihrem Revers aufgefallen, ziemlich eindeutig ein Hexenjäger Symbol.
Von draußen hörten wir sehr lautes und wiederum ordinäres Gefluche der beiden Gestalten. Es klang fast so, als fluchten sie, weil die Frau entkam. Diese Frau war definitiv zu schnell und zu stark für uns und da wir alle angeschlagen waren, ließen wir von einer Verfolgung ab.
Ruben kümmerte sich umgehend um die schwerverletzte Cordelia und konnte dank seiner ausgezeichneten Heilkünste ihr Leben retten. Der andere verletzte Mann war tatsächlich noch nicht verstorben und auch sein Leben rettete Ruben. In der Zwischenzeit waren einige der kräftigen Burschen von unten zu uns gekommen.
Nun war es an der Zeit, ein paar Sachen zu erklären. Die kräftigen Burschen der Gilde konnten schnell beruhigt werden. Sie kannten Cordelia und schätzten sie und waren deshalb froh, dass Ruben sie retten konnte. Wir sollten aber mit Omma Rugger sprechen, die in dieser Herberge das Wort führte.
Auch mit den beiden Gestalten konnte einiges geklärt werden. Sie waren mitnichten hinter Cordelia oder ihrem Bekannten her. Sondern hinter der Attentäterin. Also hatten wir uns gegenseitig einen Bärendienst erwiesen, indem wir uns behinderten. Sie durch ihre Geheimniskrämerei und wir dadurch, dass wir sie aufhielten. Kommunikation, so wichtig.
Es stellte sich heraus, dass die beiden, mit Namen Ingrid Wenig und Yannick Fanger, Kopfgeldjäger sind. Sie waren schon länger auf der Spur der Frau und wollten Cordelia nur als Köder nutzen. Wir verabredeten ein Treffen zwei Stunden vor Sonnenuntergang.
Dann machten wir “Omma” Anna Rugger unsere Aufwartung, eine freundliche alte Dame, die im Schankraum in der Ecke in einem Ohrensessel saß und strickte. Sie war sehr gut informiert und wusste auch etliches über uns. Auch sie schätze ein, dass uns übel mitgespielt wurde und meinte, dass viele in der Stadt ein Interesse an uns hatten. Sie offensichtlich auch, denn als Gegenleistung für die Beherbergung und Bewachung von Cordelia und Alexander, so hieß der Bekannte von Cordelia, verlangte sie irgendwann einen Gefallen von uns.
So funktionierte diese Stadt: Leuten Gefallen für Dinge abverlangen, für die sie nichts konnten. Wir willigten gezwungenermaßen ein, aber mit dem Hinweis, dass wir für nichts Illegales zur Verfügung stehen. Ruben sagte noch zu, täglich nach den beiden Verletzten zu sehen und ihre Verbände zu prüfen.
Cordelia inzwischen ansprechbar und uns sehr dankbar über ihre Rettung. Ihr Bekannter heißt Alexander Grün und sie gab uns ein paar Silbermünzen und vier Heiltränke, einer davon war ein „Erholungstonikum“ und ist wohl nicht ganz Nebenwirkungsfrei.
Dann machten wir uns auf den Weg zurück zur Wache. Unterwegs hörten wir Gerüchte, dass die Seuche in Speichelfeld weiter wütete und die örtliche Medicus-Gilde eine Medici geschickt hatte. Ich fragte mich kurz, warum erst jetzt, aber gut. Es ist halt Übersreik.
Nachdem wir die Brücke überquert hatten, sahen wir die Zauberin vor dem Brückenhaus sitzen. Ruben ging zu ihr, um ihr eine Warnung vor der Attentäterin auszusprechen. Sie bedankt sich freundlich, danach gehen wir zur Kaserne und schliefen etwas.
Rechtzeitig machten wir uns wieder auf zur “Explodierten Sau” und trafen die beiden Kopfgeldjäger. Sie erzählten uns ihre Geschichte.
Die Attentäterin heißt Hannah Baumann, ist eine abtrünnige Hexenjägerin und tötet alle Personen, die des Zauberns mächtig sind. Egal, ob Hexer oder zertifizierte Zauberer. Das ist mitnichten Aufgabe einer Hexenjägerin und deshalb sind dafür 1.000 Gulden Kopfgeld auf sie ausgesetzt.
Die beiden jagten Hannah schon seit Bögenhafen, wo sie persönliche Gegenstände von ihr in die Finger bekamen. Daraus ging hervor, dass Cordelia wohl Zauberkräfte besitzt, die aber zu schwach für eine Akademie waren. Für Hannah war es aber wohl schon genug. Da die beiden das nun wussten, wollten sie über Cordelia an Hannah herankommen. Was auch fast funktioniert hätte.
Wir verabreden, dass wir zusammen versuchen wollten, Hannah zur Strecke zu bringen und wir mit 400 Gulden am Kopfgeld beteiligt werden sollen. Vielleicht ergibt sich ja eine Gelegenheit, da Cordelia noch lebt. Leider ist auch bekannt, dass Hannah ihre Opfer mitunter lange beobachtete. Insofern würde das wohl kein kurzfristiges Unterfangen werden.
Wir verabschiedeten uns, um Rudi zu treffen und unsere Runde zu beginnen. Der Galgenvogel begrüßte uns wieder überaus freundlich und gab uns dann eine Sonderaufgabe. Die Hauptfrau hatte uns schon diesen Auftrag erteilt, Rudi wusste dann wohl auch, worum es ging. Wir sollten eine andere Wachweibelin namens Trudi Schreiber beobachten. Es bestand der Verdacht, dass sie ihre Position ausnutzte und mit örtlichen Banden zusammenarbeitete. Ich fragte mich eher, warum man Rudi nicht auch zur Verantwortung ziehen sollte, behielt diesen Gedanken aber für mich. Wir sollten herausfinden, ob Trudi das tatsächlich tat. Heute hatte sie frei und Rudi gab uns den Auftrag, sie zu beschatten.
Wir warteten vor der Kaserne, bis Trudi diese verließ. Wir folgten ihr unauffällig bis zu Satriolis Wurstladen. Dort trieben sich einige Halblinge herum. Trudi wurde in den geschlossenen Laden eingelassen und verließ diesen nach etwa einer Viertelstunde. Dann ging sie in Richtung nördliches Hafenviertel und zog sich in eine Kapuze über, schlug ein paar Haken und betrat Speichelfeld.
Hier lungerten sehr viele Bettler und Gammler herum und vor allem hustete ständig jemand. Trudi warf ab und an einem Bettler was in den Hut, folgte aber ohne Umwege ihrem Weg bis zu einem Haus. Das sah sehr fragwürdig aus. Mehrstöckig, aber sehr heruntergekommen, um nicht zu sagen: einsturgefährdet. An der Tür sah sie sich kurz um und gab ein bestimmtes Klopfzeichen, das Gerwin verstehen konnte.
Wir warteten kurz und gingen ebenfalls zum Haus. Wir nutzen aber nicht das Klopfzeichen von Trudi, sondern klopften normal. Ein Oger öffnete die Tür. Warum sollte einen das hier eigentlich noch wundern? Er sah nicht nur beschränkt aus, er war es auch. Aber er war recht freundlich und nachdem sich Ruben als Heiler vorstellte, ließ er uns freudig ein und stellte sich als Gino vor.
Wir standen in einem größeren Vorraum mit einem Tresen, geradeaus einer wackeligen Treppe nach oben und links und rechts zwei Gängen mit jeweils mehreren Türen. Trudi war nicht zu sehen.
Gino führte uns in eines der Zimmer. Es war sehr dunkel und hier standen mehrere Betten, auf denen Personen lagen, einige röchelten vor sich hin. Es stank hier wirklich schlimm. Wir lüfteten, durften das aber nur kurz. Immerhin bekamen wir eine Laterne.
Gino ging wieder hinaus, Ruben sah sich die Menschen hier an. Zwei waren schon verstorben und eine Person fiel auf: es war sicher die Medici, die hier ebenfalls im Fiebertraum lag. Das war keine sehr gute Nachricht. Ich fragte mich langsam, welche Seuche ich mir hier einfangen könnte. Ruben untersuchte die Frau und tippte auf eine Blutseuche, die aber eigentlich nur durch Blutverletzungen übertragen werden kann. Gerwin schlich sich derweil auf den Flur, um das Stockwerk zu erkunden.
Plötzlich nahm Alanus einen Schatten wahr und schon im nächsten Moment hörten wir das platzen von Glasflaschen und komische Geräusche, die sich nach Geschnatter oder ähnlichem anhörte. Es roch sofort nach Alchemie und mir wurde schwarz vor Augen. Ruben und Alanus konnten sich wachhalten und Ruben erschuf in seiner Hand ein Licht.
Drei humanoide Gestalten standen im Raum. Sie waren aber recht klein und dünn und vollkommen verhüllt. Alanus griff einen an, traf aber nicht. Die Gestalten machten wieder komische Geräusche, die sich für Alanus nach Ratten anhörten. Sie warfen kleine Flaschen auf den Boden, wodurch erst Ruben und dann auch Alanus ohnmächtig wurden.
Wir wurden wach und fanden uns auf Betten liegend wieder. Auch Gerwin war dabei. Die Fenster hier wurden soeben von draußen verrammelt. Auf dem Flur herrschte Tumult, etliche Bewohner und auch Gino waren hier versammelt. Es stellte sich heraus, dass wir nur kurz bewusstlos gewesen waren. Gino hatte uns gefunden und in einem leeren Zimmer auf Betten gelegt.
Nicht nur unser Zimmer, das gesamte Haus wurde von außen zugenagelt. Durch ein paar Spalten konnten wir nach draußen sehen. Um das gesamte Haus wurde gerade eine Bannmeile gezogen, wir sahen Shallya Priesterinnen und Stadtwache. Und die Ansage, dass das Haus nun unter Quarantäne stand und wir nur tot oder geheilt herauskommen würden.
Wo in Sigmars Namen waren wir nun wieder hineingestolpert?
Ich hoffe, du hörst bald wieder von mir!
Herzlichst
Dein Konrad