Der Vorabend des Julefestes
Gerade noch rechtzeitig kam ich am letzten Tag des sich neigenden Junis 370 ac in Solace an. Mir boten sich noch einige Stunden Tageslicht, die ich nutzte um mich in Solace umzusehen. Auf dem Markt herrschte buntes Treiben – fahrende Händler und Schausteller waren gekommen und ganz Solace vergnügte sich beim Dorffest. Ich stattete den Anlegestegen am Kristallmyrsee einen Besuch ab, und einige Kinder gaben mir Auskunft über die Örtlichkeiten. Doch nichts gab mir einen Hinweis auf die bevorstehenden Ereignisse dieser Nacht, wie sie in dem Brief angedeutet worden waren. Diesen Brief trug ich seit 5 Wochen bei mir – seit der Nacht, in der drei Chemosh-Priester Skelettkrieger vom Schlachtfeld zwischen Remming und Lythborg auf einen Kahn luden und flußabwärts nach Starport brachten. Einen der Priester hatte ich niedergestrecken können und ihm einen Brief abgenommen: “In der Nacht zum Julefest in Solace am Anleger, eine Stunde nach dem Gebet.”. Auch in dem heruntergekommen Gasthaus “Zum Trog” erfuhr ich nichts bedeutsames. Hier erfuhr ich nur, dass Caramon Majere – der jetzige Konkurrent des Wirtes – früher ein Säufer und Stammgast im “Zum Trog” war. So legte ich mich kurz vor Mitternacht am Anleger auf die Lauer und wartete.
Glockenspiel und Elfenmelodei
In einem Ruderboot kamen ein unter einer schwarzen Kapuze verhüllter Kultist, der von zwei gerüsteten Wachen begleitet wurde. Sie trafen sich mit einem weiteren Kultitsten, der auf einem Pferd aus dem Dorf kam. Alle vier gingen ins Dorf und ich folgte ihnen. Aus den Stallungen vom “Gasthaus zur letzten Ruh” trat ein dritter Kultist hervor, und plötzlich wurde Solace von lieblichem Glockenspiel erfüllt. Es war nicht laut, aber durchdringend. Die fünf machten alsbald kehrt, und ich verbarg mich vor ihnen hinter einem Stamm der mächtigen Mallornbäume. Da erschienen mit Getöse drei weitere Gestalten aus dem “Gasthaus zur letzten Ruh”, sprangen auf das Dach der Stallungen und rannten hinter den fünfen hinterher. Die Wachen zogen Ihre Waffen blank, versperrten den Weg und gaben den drei Kultisten Zeit zu flüchten. Diese drei Gestalten waren sich weder einig noch sicher, was zu tun wäre. Einer von ihnen war Priester und im dem silbrigen Licht seiner geweihten Paladinstatuette sahen wir in die kränklichen Gesichter unserer Kontrahenten. Doch es war an mir, die beiden Wachen mit einem Feuerzauber anzugreifen. Nun entbrannte der Kampf, und es war gut, dass der Zwerg und der Barbar dem Priester und mir endlich beistanden, denn die Wachen vermochten Ihre Schwerter mit tödlicher Genauigkeit einzusetzen. Doch das Feuer verzehrte Ihre geschändeten Leiber in Windeseile, und wir rannten weiter zum Anleger. Zwei Kultisten waren schon uneinholbar weit mit ihrem Ruderboot Richtung Südwesten auf den See hinaus, als der dritte aus dem Wald hervor kam. Er trug eine dieser silberen Masken, wie ich sie schon zuvor gesehen hatte, und rief dem Zwerg “Stirb” entgegen. Dieser fiel sogleich leblos zu Boden. Dann ritt er durch uns hindurch und verließ das Dorf nach Süden zur Brücke, die am Südende des Sees über einen Fluss führt, der vom Kristallmyrsee gespeist wird.
Ich hatte alles beisammen, doch meine drei Mitstreiter – der Zwerg hatte es noch einmal überstanden – zog es zurück zu Ihren Habseligkeiten in Ihrer Herberge. Wir diskutieren das Glockenspiel und was uns hierher nach Solace geführt hatte. Der Paladin-Priester Silthanis Kanan war aus Qualinesti gekommen, um Grabschändern dieses Glockenspiel wieder abzunehmen. Es war ein elfisches Artefakt und war aus einem alten Grab einer Elfin entwendet worden. Der hünenhafte und kaum bekleidete Barbar Rahn An’Gorth war wie ich über das Neumeer gekommen, hatte diese Kultisten in einem Wald südlich der Hafenstadt Crossing beobachtet und war ihnen seitdem auf der Spur. Er hatte seit Jahren schon einen Traum, in dem eine weiß gewandetete Elfe mit güldenem Haar die Melodei dieses Glockenspieles sang. Der Zwerg Angrim Thorwallen stammte aus einer Familien von Baumeistern aus Thorbadin. Einer seiner Ahnen war einst vom König von Thorbadin mit dem Mythrilmedallion “Der Schlüssel zur Stadt” ausgezeichnet worden. Doch unlängst war es gestohlen worden. Der Dieb war elendig am “Fauligen Tod” gestorben – Angrims Beschreibung entsprach meinen Beobachtungen auf Burg Blackgaard – in seinem letzten Moment hatte der verratene Verräter “Solace” gesagt. Auch Angrim träumte seit Jahren von der singenden Elfe, wenn auch einen etwas anderen Traum. Durch diesen Traum schien er die übliche “Reserviertheit” abgelegt zu haben, die Zwerge gegenüber Elfen sonst hatten – geriet er doch geradezu ins Schwärmen. Ich stellte mich als Orhdred Wood vor. Der fünfte im Bunde war der elfische Fährtenleser Ansaril, der Silthanis begleitete und die Spur des Reiters noch etwas verfolgt hatte und nun zu uns zurückgekehrt war. Niemand vermochte zu sagen, zu welchem Zweck das Glockenspiel oder das Medallion gestohlen worden waren, oder ob diese Artefakte besondere Mächte besaßen.
Verfolgung der Kultisten
Tief in der Nacht brachen wir denn endlich auf, folgten den Reiterspuren gen Süden, wandten uns nach Westen als wir die Brücke überquerten und trafen im Morgengrauen auf das verlassene Ruderboot am Ufer. Zu fünft waren die Kultisten der Straße folgend gen Westen Richtung der Wächtergipfel geritten. Die Straße war über Meilen hinweg gut einsehbar, doch wir vermochten niemanden auszumachen. Wir befürchteten einen Hinterhalt, doch Rahn, der einen nach Süden fliegenden Vogel aus Zeichen auffasste, riet uns dem Vogel querfeldein zu folgen. Der schwer beladene Angrim brach sich uns folgend mit viel Geschnaufe einen Weg durch das Unterholz. Doch alsbald kamen wir auf einen Waldpfad, der sich zwischen Hügeln wand, und wir waren wieder auf der Spur der fünf Reiter. Es wurde düster, kalt und neblig, und wir fürchteten bereits im Düsterwald zu sein als sich ein dutzend Zombies aus der Erde erhoben. Hier wurde wir erstmals Zeuge von Paladins Macht – Silthanis ließ sie alle mit einer einzigen Anrufung zu Staub zerfallen. Unbehelligt setzten wir unseren Marsch fort und erreichten kurz vor Sonnenuntergang den Waldrand, hinter dem sich eine 100 Schritt steil abfallende Klippe befand. Wir hatten den Rand des Düsterwaldes erreicht. Direkt vor uns stand eine einzelne Felsnadel. Sie ragte 15 Schritt von der Klippe entfernt aus dem Düsterwald, und oben drauf befand sich eine alte Festung. Sie war flach gebaut und zur Verteidigung gegen Drachen errichtet worden. Während wir im Unterholz verborgen Pläne ausheckten, tauchte einer der Kultisten auf und sandte drei Raben gen Osten aus. Wir beschlossen erst einmal auszuruhen, um uns dann im Schutz der Nacht hinüber zu begeben.
Die Nacht der lebenden Toten
Die Brücke war natürlich eingezogen worden – provisorisch spannten wir ein Seil zwischen der Felsnadel und der Klippe und hangelten uns über den Abgrund. Die Festung erstreckte sich hauptsächlich in den Felsen hinein. Oben auf der Mauer angekommen, sahen wir das verschlossene Tor, von dem aus ein Gang in einen Hof hineinführte, in dessen Mitte sich ein großes, verrostetes Eisengatter und der alte Sockel eines Kranes befanden. Der Hof war gesäumt von einem Arkadengang im dem sieben Türen waren. In dem Gang war eine weitere Tür, die in das verlassenes Gewölbe führte, von wo aus die Brücke bedient werden konnte. Unter den Arkaden waren sechs schlosslose Türen, die von innen verriegelt waren und uns anschwiegen. Am Kopfende befand sich eine größere, eisenbeschlagene Tür mit einem kniffeligen Schloss, dass niemand von uns zu öffnen vermochte. 20 Schritt unter dem Gatter machte ich den Boden einer großen Halle aus, die schwach von dort brennenden Fackeln erhellt wurde. Angrim und Rahn schlugen mit Ihren Äxten je eine der sechs einfachen Türen auf, und ihnen kamen mehrere Zombies entgegen – von unten erklang ein Gong und ich erspähte zwei Priester und hörte weitere, die Ihre nächtliche Litanei herunterbeteten. Meine Gefährten waren in zähe Kämpfe verstrickt, die erst durch die zweimalige Anrufung Paladins, dann aber jeweils sofort, beendet werden können. Dann lösten sich Riegel, die vier anderen Türen öffneten sich und es ergossen sich weitere Zombies auf den Hof – wir verschanzten uns in einem der beiden Räume, aus dem es aber keinen weiteren Ausgang gab. Silthanis war nach kurzen Überlegen bereit, seine verbliebenen Kräfte für einen Ausfall zu nutzen. Dieser erwies sich als erfolgreich und es öffnete sich die siebte Tür. Zehn Krieger, deren Knochen in Rüstungen mit dem goldenen Todelschädelsymbol Chemoshs hineingewachsen waren, kamen heraus und ihr Hauptmann forderte, dass wir uns ergaben. Angespornt von dem Kampf in Solace, rief ich wieder die Flamme in meine Hand. Doch Ihre Überzahl wäre uns bald zum Verhängnis geworden, hätte Silthanis nicht mit einem letzten Aufbäumen die Krieger zu Asche verbrannt.
Der Weg in die Eingeweide der Festung schien frei, und wir versorgten schnell unsere Wunden. Ein dichter Nebel quoll aus der siebten Tür und kroch langsam in den Hof. Überrascht flohen wir über das Seil zurück auf die Klippe. Angrim und Rahn waren noch auf der Felsnadel, als sich mit markerschütterndem Gekreische ein skelettierter Geier aus dem Nebel erhob. Auf seinem Rücken saß ein Skelett mit rotglühenden Augen und flog gen Osten. Wir wagten uns nicht wieder hinein und verbargen uns im Wald.
Ein zweiter Anlauf
Am nächsten Morgen wollten wir einen erneuten Versuch unternehmen. Das Seil war noch gespannt und der gewandte Ansaril balanzierte wieder hinüber. Als er in der Mitte über dem Abgrund beinahe gestürzt wäre, konnte er sich gerade noch am Seil festhalten. Doch einer der Priester erschien über der Mauer und entzündete das Seil hinter Ansaril, der gegen die Felsnadel geschmettert wurde. Nachdem wir Gewißheit hatten, dass die verbliebenden Burgbewohner in Alarmbereitschaft waren, verknoteten wir die beiden Hälften und spannten das Seil erneut. Ansaril kam unbehelligt herüber, und wir zogen zurück nach Solace. Kaum waren wir wieder im Wald, entdeckten wir das Mausoleum von Lady Vendara Sal Gander (*956, †995, etwa 500 Jahre vor der Umwälzung), die einst vielleicht die Burgherrin war. Spät am Abend des 2.7.370 erreichen wir Solace. (jhb)