29. Mai im Jahre des Herrn 1733 – Gasthaus Straußenfeder zw. Kronau und Waldenau
„Bringt mir den Schlüssel, ihr habt eine Stunde!“
Diese Worte hallen nach. Uns ist klar, dass, falls wir den Schlüssel nicht besorgen, diese Ausgeburt der Hölle uns und den Rest der Belegschaft hier zu Kleinholz verarbeiten wird. Aber welcher Schlüssel und für was? Der offensichtlich einzige, der hierzu ausreichend Antworten hätte geben können, ist der Wirt und der ist einen Kopf kürzer. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe ja schon viel Blut gesehen, aber dass ein Kopf einfach so abgerissen wird? Schauerlich.
Wir gucken uns noch fragend an, als wir einen sehr lauten, spitzen Schrei aus Richtung Küche hören gefolgt von einem lauten Scheppern und Klirren. In der Tür zur Küche steht die Frau des Wirtes und hat ein volles Tablett fallen lassen. Kreidebleich taumelt sie in Richtung des Leichnams, Don Ignacio fängt sie aber ab und versucht sie zu beruhigen.
Karl hilft einem der Verletzten Gardisten des Adligen mit erster Hilfe, so dass dieser wahrscheinlich überleben wird. Während wir mit Blessuren davongekommen sind, sind zwei der Gardisten tot und einer schwer verletzt. Der Adlige selbst, er stellt sich als Werner von Schönstadt vor. Er dankt uns für unsere Hilfe und weist uns darauf hin, dass in Waldenau ein Kopfgeld auf Berthold Schwarz ausgesetzt wurde, das etwa 300 Gulden betragen soll. Den Leichnam sollten wir auf jeden Fall mitnehmen.
Wir wollen uns im Haus näher umsehen, um dem Kettenrasseln nachzugehen. Vorher wollen wir aber noch die Leichen herausbringen. Die Schwarzfedern sind uns dabei recht egal, aber die beiden Gardisten wollen wir lieber in den Stall bringen. Heinrich merkt an, dass das vielleicht nicht allzu klug wäre, da die Pferde unruhig werden könnten. Also entscheiden wir uns für die Scheune. Roland, Don Ignacio und ich bringen die erste Gardistenleiche dorthin, um dann aber zu bemerken, dass das Tor von innen verrammelt ist. Fenster oder eine Tür gibt es nicht.
Derweil gehen Heinrich und Karl in die Küche, wo sie durch die Hintertür die Scheune beobachten können. Karl hört wieder Kettenrasseln.
Roland fackelt nicht lange und bricht die Tür der Scheune auf. In dem Moment fällt drinnen ein Musketenschuss, der Roland aber verfehlt. Schnell gehen wir links und rechts in Deckung. Ich rufe nach drinnen, dass wir keinen Ärger suchen; ein kurzer Blick in die Scheune macht aber klar: wer immer da drin ist, will nicht verhandeln. Denn als ich um die Ecke blicke, ertönt ein zweiter Schuss, der mich trifft.
Don Ignacio klettert behände zu einem der oben gelegenen Luken, während Heinrich und Karl zu uns stoßen. Don Ignacio kann nicht viel erkennen, aber zumindest mehrere gefesselte Körper auf dem Boden, was er uns sogleich mitteilt. Wir fackeln nicht lange und stürmen die Scheune, Heinrich und Roland voran. Drinnen erwarten uns zwei Personen, offensichtlich Schwarzfedern. Interessanterweise ist das eine aber ein Rattenwesen. Machen die gemeinsame Sache? Fragen können wir die beiden nicht; nach kurzer Konfrontation liegen die beiden in ihrem eigenen Blut am Boden. Das Rattenwesen verwandelt sich wie erwartet zurück.
Am Boden sehen wir nun ein Dutzend gefesselter Personen. Alle schlafen. Karl untersucht sie kurz und stellt zwei Dinge fest; erstens leben alle und zweitens wurden sie wahrscheinlich mit einem starken Schlafmittel sediert. Ich fange an, ein paar der Fesseln durchzuschneiden, als eine Person mit einer Blutverkrusteten Wunde am Kopf erwacht.
Es handelt sich um einen etwa 60 Jahre alten Mann mit weißem Haar, dem man seine Kopfschmerzen ansieht. Er stellt sich als Wilhelm Fuchs vor und ist der Vater der Wirtsfrau Mathilde. Die Gefesselten hier wurden auf Befehl der Schwarzfedern betäubt und hierhin gebracht. Es handelt sich um die eigentlichen Gäste.
Wir teilen Wilhelm das Ableben seines Schwiegersohnes mit und erwähnen dabei auch den Namen Baluzius. Er erbleicht und will sofort zum Haus, kann aber kaum laufen, sodass Don Ignacio ihn stützt. Roland, Heinrich und ich wollen die restlichen Gefesselten befreien und uns eigentlich um die Leichen kümmern. Da hören wir einen Ruf von Karl, der den beiden anderen zum Haus gefolgt ist. Er sieht außerhalb der Umfriedung erst eine und dann mehrere riesige, etwa 50cm große und sehr hässliche Kröten, die in Richtung des Gasthauses blicken. Schnell verlassen Roland und Heinrich die Scheune während ich ein Messer neben einen der schon befreiten werfe, alle Personen schlafen noch, dann die Scheune wieder von innen verrammle und selbige über eine der Luken verlasse.
In der Küche angekommen, vernehmen wir jetzt alle deutliches Kettenrasseln von oben. Wilhelm will sofort zu seiner Tochter, wohin wir ihn begleiten. Werner von Schönstadt und sein Gardist sind sehr nervös, auch sie haben inzwischen die Kröten bemerkt.
Mathilde ist nur bedingt aussagefähig und brabbelt irgendetwas von ihrem Sohn und dass wir diesen in Ruhe lassen sollen. Den Schlüssel, den wir beim toten Wirt vermuten, finden wir nicht. Wir gehen alle ins Obergeschoss, um dem Kettenrasseln nachzugehen. Bis auf Karl, der noch kurz mit der Wirtin spricht und danach mit Wilhelm hinter uns hergelaufen kommt.
Die beiden berichten, dass der Sohn Namens Jonas wohl tatsächlich in seinem Zimmer eingesperrt beziehungsweise festgekettet ist. Vor vier Wochen schlug in der nahegelegenen Kapelle der Blitz ein und kurz darauf verwandelte sich das Wesen des Sohnes. Er sprach mit fremder Stimme und begann, sein Umfeld negativ zu beeinflussen. Der tote Wirt hatte sich wohl von einem Priester Hilfe geholt, der ihm dann besondere Ketten gab, mit denen er seinen Sohn festkettete.
Wir stehen etwas unschlüssig vor der Tür, die geschlossen und mit zwei zusätzlichen Riegeln versehen ist. Aus dem Zimmer hören wir deutliches Rasseln und Lachen. Zunächst gehen wir wieder in die Küche, wo wir uns kurz beraten. Wir sind uns einig, dass wir zu Kapelle gehen müssen, dort scheint diese Verwandlung seinen Anfang genommen zu haben.
Doch will ich trotzdem erst mit dem Sohn sprechen. Also gehe ich in Begleitung von Karl und Roland nach oben und öffne die Tür. Drinnen sehe ich ein Kinderzimmer und auf dem Bett sitzt ein etwa 12 Jahre alter Junge, der Oberkörper frei und verschwitzt, die Haare wirr und die Arme mit Ketten am Bett gefesselt. Er hebt langsam den Kopf, er hat gelbe Augen und spricht mit einer erwachsenen, süßlichen Stimme. Er ist überfreundlich und seine Stimme scheint in meinem Kopf zu sein. Er stellt sich als „Baluzius, 6. Seneschall der Höllenarmada im Dienste Asmodeus“ vor. Baluzius? So nannte sich doch auch das rote Ungetüm von vorhin?
Abgesehen von einem äußerst unguten Gefühl, dass mich in seiner Anwesenheit beschleicht, erfahre ich nur wenig. Er erwähnt einen Priester, wahrscheinlich der mit den Ketten, welcher tot sein soll. Und dass man ihn doch befreien möge. Was ich selbstverständlich nicht tue und stattdessen das Zimmer verlasse und die Tür schließe. Die Stimme ist weiter in meinem Kopf und macht verlockende Angebote. Sogar meine toten Familienmitglieder will er wieder auferstehen lassen, wenn er dafür freikommt. Ich schüttele diesen Gedanken ab.
Wieder unten packen wir unsere Sachen und machen uns zum Aufbruch bereit. Werner von Schönstadt spricht uns an und meint, dass er uns helfen kann. Er hätte nützliche Dinge dabei und wir sollten ihm zur Scheune folgen. Dort angekommen kramt er in seiner Kutsche, in der viele Kisten stehen. Aus einer holt er eine gewaltige Muskete mit fünf Läufen. Dieses ist eine Waffe aus dem Besitz des Grafen, die er uns leihweise zur Verfügung stellt. Ihr Name ist Luzifer Breitfeuerkanone und er drückt sie mir in die Hand.