“Alles ging gehörig schief”, dachte sich Bruno Jones als er von oben hinab blickte in den umgekippten Eisenbahnwaggon. Die gesicherte Kiste, die Allan Seyberth vom Boston Museum of Fine Arts und John Crocker, der Schaffner des Night Flyers, jeden Tag mehrmals kontrolliert hatten, war aufgesprengt. Überall war Blut. Von Allan Seyberth und John Crocker keine Spur. Vermutlich stammte das Blut von ihnen. Irgendetwas muss in dieser Kiste gewesen sein, irgendeine Kreatur, die nun frei war, und mordend durch das Land zog. – “Wie war das nur passiert, dass er in diesen Schlamassel geraten war”, dachte sich Bruno.
Vor ein paar Tagen war er nachmittags am Bahnhof von Farpoint in den Zug nach Deadwood gestiegen. In seiner Tasche den Steckbrief eines gesuchten Verbrechers, den er dort vermutete. Der Zug fuhr pünktlich um sechzehn Uhr fünfzig los. Die ersten Tage der Reise waren ziemlich ereignislos. Immer wieder tauchten auf den Hügeln Indianer auf vom Stamme der Sioux. Man sagte, dass sie den Zug in Ruhe lassen, aber sollte jemand sich durch das Land frei bewegen würden sie ihn gnadenlos niedermachen. Bruno hatte es sich während der Fahrt an seinem Fensterplatz gemütlich gemacht, für ein Bett im Schlafwagen war er zu geizig. Wenn er nicht schlief, beobachtete er das Treiben im Zug. Es war ziemlich voll. Deadwood war ein aufstrebender Ort. In der Gegend war Gold gefunden worden, und das Gold zog die Menschen an wie der Mist die Fliegen.
Neben dem Personal befand sich eine illustre Runde Menschen an Bord des Zuges:
- Penelope Brown, junge Miss von der Ostküste, die in Deadwood verheiratet werden soll
- Gregory Dawson, professioneller Pokerspieler, Südstaatler
- Jacob Emmet, schweigsamer Mormone aus Deseret
- Laura Giles, Tochter eines Rinderbarons aus Wyoming
- Elam Ferguson, schwarzer Revolverheld aus dem Süden
- Abiel & Aloysius Squatpump, franko-kanadische Brüder und Trapper
- Ling Chuwei, bewaffneter Chinese, spricht kein oder wenig Englisch
- Denise Merrit, Journalistin aus dem Mittleren Westen
- Wilson Family, Farmersfamilie aus Montana, Ehepaar und zwei Jungen
- Harold Buchanan, Koch und Barkeeper des „Night Flyer“
- Richard Chasen, ehemaliger Soldat der Konföderierten
- Allan Seyberth, Beauftragter vom „Boston Museum of Fine Arts“, Brite von der Ostküste
- John Crocker, Schaffner im „Night Flyer“
- John Green, ein Mann des Glaubens und Monsterjäger (wie sich zeigen sollte)
- Doctor John Statson, ein Arzt
- Terry Blame, ein Huckster (auch wenn keiner das von ihm wusste)
- Doctor Thomas Van Der Brock, ein Holländer und Wissenschaftler
Dazu noch einige chinesische und schwarze Arbeiter.
Bis zu jener verhängnisvollen Nacht hatte sich Bruno von den anderen Passagieren ferngehalten. Einzig Miss Penelope Brown hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Ihm war aufgefallen, dass sie die meiste Zeit der Reise recht betrübt wirkte. Als er sie dann weinend an ihrem Platz vorfand, konnte er das nicht ignorieren. So kamen sie ins Gespräch. Miss Brown erzählte Bruno dass sie auf dem Weg nach Deadwood war, um dort verheiratet zu werden. Ganz offensichtlich versetzte sie das nicht in Jubelstürme. Bruno wusste nicht, was ihn an dieser Geschichte anrührte, aber er fühlte sich auf eine seltsame Art und Weise zu Miss Brown hingezogen, und so verbrachte er einige Zeit mit ihr. Anfänglich schien sie Angst vor ihm zu haben was nicht verwunderlich war, schließlich war er ein großer bedrohlicher schwarzer Mann. Doch nach und nach gelang es Bruno das Eis zu brechen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
In der Nacht, in der alles begann, erwachte Bruno, weil eine seltsame Unruhe im Zug herrschte. Er beobachtete, wie der Schaffner, John Crocker, und Allan Seyberth recht lautlos durch das Abtei huschten und nach hinten im Zug verschwanden. Terry Blame folgte ihnen. Jetzt war Bruno neugierig. Auch er schlich dem Trio hinterher und beobachtete, wie die beiden den Gepäckwagen und die Kombüse abkoppelten. Bruno wollte gerade eingreifen, als sich die Ereignisse überschlugen. Während die letzten beiden Wagons langsam den Hang hinabrollten, gab es plötzlich eine Explosion. Dann machte der Zug kreischend eine Notbremsung.
Alle wurden durch die Gegend geschleudert. Unaufhaltsam steuerte der Night Flyer auf einen Abgrund zu. Dort, wo eben noch die Brücke war, klaffte nun ein tiefes Loch. Der Zug würde nicht vorher zum stehen kommen. Jetzt schlug die Stunde des Holländers. Geistesgegenwärtig entkoppelte er die Lok und den vordersten Waggon. Der Lokführer und der Heizer waren nicht zu retten, Sie stürzten mit in die Schlucht. Aber der Rest des Zuges kam, wenn auch sehr knapp, kurz vor dem Abgrund zum stehen. Thomas Vanderbroch wischte sich gerade den Schweiß von der Stirn und wollte aufatmen, als draußen Schüsse fielen.