Am Morgen des 18. Boron 1030 BF bemerkte ich geschäftiges Treiben auf der Angenburg. Obrist Sebor, Oberbefehlshaber der kaiserlichen Truppen, war im Aufbruch inbegriffen. Es hieß, dass er sein Kommando von nun an als Statthalter in Andergast fortsetzen würde. Ich machte mich also rasch auf zur Burg, um vorzusprechen. Schließlich war ich hierher einzig deswegen zurück gekehrt, um den zweiten Vampyr (so es ihn denn gab) zur Strecke zu bringen.
Der Obrist ließ mir ausrichten, dass er erst am morgigen Tag gegen Mittag die Zeit finden würde, über dieses Thema mit mir zu sprechen.
Als ich am Abend im Gasthaus „Schwarzer Bauer“ saß, kehrten meine alten Weggefährten von der Front zurück. Ragnar Fenrirson hatte vor drei Tagen Geburtstag, so tat er einen aus, und wir verbrachten einige Zeit mit Geschichten und Getränken.
Am nächsten Mittag gingen wir gemeinsam zur Burg und suchten Obrist Sebor auf. Dieser war in Eile, teilte uns aber mit, dass es Anhaltspunkte dafür gäbe, dass es sich bei dem Waffenmeister des Saalbergs wirklich um einen Vampyr handelte. Wir sagten zu, uns um das Problem zu kümmern und klärten die Entlohnung. Alle wählten Beuterecht, nur Meister Retus und ich verzichteten darauf und wollten Sold für die Zeit. Pro Tag erhielten wir einen Dukaten. Zur Klärung der weiteren Vorgehensweise verwies uns Obrist Sebor an Vater Gregor von Rondra, dem hiesigen Kaplan und Ritter der Göttin.
Ihn suchten wir gemeinsam direkt im Anschluss an das Gespräch mit Sebor im Tempel auf. Vater Gregor war in den vergangenen Wochen zum Saalberg gereist und war mittlerweile davon überzeugt, dass der Waffenmeister des Barons, Guldewart vom Berg, von Rondra verflucht war und seit mehr als einhundertfünfzig Jahren sein Unwesen trieb. Vater Gregors Plan war es, mit einem Banner Adariten zur Burg zu reiten und den Waffenmeister zu stellen. Auf die Hilfe des Barons, Egbert von Geistmarkt, der mit seiner Ehefrau Sibylle auf dem Saalberg lebte, war wenig Hilfe zu erwarten, da er über die Jahre nun deutlich unter dem Bann des Waffenmeisters stand. Vater Gregor befürchtete, dass der Vampyr, sobald er vom anrücken der Truppen erfuhr, fliehen würde. Deswegen sollten wir vor reisen und uns am Haus des Waffenmeisters, etwa zwei Stunden von der Burg entfernt, postieren und seine Flucht verhindern, oder ihn zumindest so lange aufhalten, bis Vater Gregor sich ihm stellen könnte. Da dieser Plan sehr risikoreich war, wir es mit einem machtvollen, alten Vampyr zu tun hatten, beschloss Gregor, eine unserer Waffen mit einem Segen zu versehen und dem Träger ein Medaillon zu geben, mit dem er Guldewart vom Berg zum ehrenhaften Zweikampf fordern konnte und sich der Waffenmeister dieser Forderung nicht entziehen können würde.
Sowohl Gargrimmsch als auch Ragnar waren bereit, ihre Waffen segnen zu lassen und sich dem Vampyr zu stellen. Wer diese Aufgabe übernehmen würde, sollte ich, so war es Ragnars Vorschlag, mit einem Münzwurf entscheiden. Diese Entscheidung viel auf Gargrimmsch. – Nun ja, eigentlich hatte Ragnar gewonnen, aber Gargrimmsch hatte einfach die besseren Voraussetzungen, längere Zeit gegen den Vampyr zu bestehen. – Am Opferstock leistete ich später Abbitte für meine kleine Lüge.
Für unsere Operation verabreden wir den 28. Boron. Gegen Mittag wollte Vater Gregor auf dem Saalberg eintreffen, wir sollten uns ab dem Morgen an dem Haus des Waffenmeister bereit halten.
An dieser Stelle muss ich einen kleinen Einschub machen. Während ich in den vergangenen Monaten in Weiden weilte, begegnete ich in den Wäldern meiner Heimat einem Mann. Sein Name war Ansgar. Er kam von weit her, von den Grenzen des Frostreichs der Hexe Glorana, genauer von den Nebelzinnen. Er überragte unseren Thorwaler noch um einen Kopf und war weit über zwei Schritt groß. Sein Haar war blond, fast weiß und er war über und über mit Narben übersät. Er war, wie er selber sagte, ein Fjarninger und war den weiten Weg in die Gegend von Uhdenwald gereist, weil die Schamanin seines Dorfes ihm prophezeit hatte, dass sein Schicksal und das des gesamten Dorfes an einem Mann hing, den er finden müsse. Dieser Mann sollte angeblich ich sein!
Auch wenn ich der Prophezeiung nicht viel Bedeutung beimaß, so glaubte Ansgar doch fest daran, und man kann nicht ganz von der Hand weisen, dass es durchaus möglich sein könnte, dass bestimmte Ereignisse unser beider Leben verknüpfen würden. So begleitet der Fjarninger mich seit dem Tag unserer Begegnung. Nur von den Städten und Dörfern hielt er sich fern und zog es vor, im Wald zu bleiben. Als ich in Wengenholm eintraf und auf meine Gefährten wartete, hatte Ansgar sein Lager abseits des Dorfes im Süden aufgeschlagen.
Nachdem wir den Rondratempel verlassen hatten, zog ich Ragnar beiseite und fragte ihn, was er über Fjarninger wissen würde. Danach erzählte ich ihm von Ansgar, und wir gingen gemeinsam zum Lager meines Begleiters. Ich stellte beide gegenseitig vor. Schon bald verfielen sie in eine thorwalsche Mundart und unterhielten sich angeregt. Ich verstand zwar kein Wort, war aber beruhigt, dass dieses erste Zusammentreffen friedlich verlief. Wir beschlossen sogar, mit Ansgar nach Wengenholm zu gehen und uns gemeinsam das Dorf anzuschauen. Um auch den Anderen der Gruppe den Fjarninger vorzustellen, lud ich Ansgar am morgigen Abend in den „Schwarzen Bauern“ ein.
Während wir am 20. also beisammen saßen, erschien der Fjarninger im Gasthaus. Zunächst war Stille und alle starten ihn an, doch rasch löste sich die Stimmung, und ich stellte Ansgar vor. Alle waren einverstanden, dass er uns zum Saalberg begleitet.
(Als kleine Anekdote sei hier noch erwähnt, dass ich an diesem Abend erfuhr, was der elfische Ausdruck für Zwerg übersetzt bedeutete: „Kleiner Bartmurmler“.)
Bei Dämmerung des 21. Boron brachen wir zur Burg auf, erreichten am 23. den Fluss Saale und schlugen uns südlich durch die unwegsame Wildnis. Der Strecke war beschwerlich und kostete uns viel Zeit, dafür blieben wir aber unentdeckt. In der Nacht zum 28. Boron erreichten wir das Haus des Waffenmeisters Guldewart vom Berg.