Aus den Aufzeichnungen von Zahir Errant von Boron, welcher auf seiner Reise begleitet wurde vom Adeptus Minor Kolja Turleff, dem horasischen Krieger Don Marco di Adante, dem Gelehrten Ninjo Lattanziani und Erian Tappenbeg, einem Hallodri und Frauenschwarm.
Nach dem Gespräch mit Ebelfried Eisinger gingen Kolja Turleff und ich zu den Anconiten. Die Heiler, sowohl Magier als auch Laienbrüder, lebten in ihrem Ordenshaus etwa eine halbe Meile gen Praios außerhalb der Stadt. Wir wurden freundlich empfangen, man konnte uns aber nicht weiter helfen. Die Morde wurden damals von einem Bruder des Ordens namens Conius untersucht. Dieser befand sich zur Zeit aber auf einer Reise und wurde erst in einigen Tagen zurück erwartet. Die anwesenden Brüder kannten nur die Berichte, die man sich auch in der Stadt erzählte.
Wir kehrten zurück und trafen auf dem Markt die Anderen. Kaum hatten wir uns begrüßt, stürmte zunächst Kolja, dann auch Don Marco, Ninjo und Erian plötzlich los in Richtung eines einige Meter entfernt stehenden Planwagens. Später erzählten sie mir, dass sie bei dem Gefährt einen Mann erblickt hatten, welchen sie bereits vor einiger Zeit, kurz nach ihrem Aufbruch in Elenvina, am Flussufer stehend gesehen hatten. Der bärtige Mann war dort in einer Kutte gekleidet und sah wie ein Druide aus. Er schien sie auf dem vorbeifahrenden Schiff zu beobachten. Seiner hier habhaft zu werden, gelang allerdings nicht. Er floh hinter den Wagen und war dann einfach verschwunden. Kolja konnte noch Spuren von Magie feststellen, hatte aber auch keine gute Idee, wohin der Kerl verschwunden war.
Danach trennten wir uns wieder. Kolja und ich gingen zur Garnision, welche zugleich der Sitz der Vögtin von Albenhus, Galburga von Hardenfels, war. Dort teilte uns der wachhabende Weibel mit, dass der Büttel, der in besagter Nacht den Mord an der Hure untersuchte, sein Name war Erik, zur Zeit Nachtwache habe und nicht vor Ort anzutreffen sei.
Auch meine anderen Gefährten hatten wenig Glück. Im Stadtarchiv ließ sich nur feststellen, das Raschim Al-Fessir keine Stadtrechte für Albenhus hatte.
Zuletzt gingen Kolja und ich noch ins Gasthaus „Zum torkelnden Einhorn“. Der Wirt dort konnte sich nicht mehr all zu gut an die Geschehnisse von vor vier Monaten erinnern. Der Reisende aus Havena war in Begleitung eines weiteren Mannes, der am nächsten Morgen, als der Wirt die Leiche fand, bereits verschwunden war. Der Tote war Mitte Zwanzig und hatte zumindest im Gasthaus keinerlei Kontakte zu irgendwelchen Novadis.
Am nächsten Morgen, dem 3. Rondra 1017 BF, berichtete Erian Tappenbeg von einem Novadi, welcher bei der toten Hure Rahjana Stammgast war, er kannte keinen Namen und hatte nur eine ungenaue Beschreibung bekommen.
Für den Nachmittag bestellten wir den Büttel Erik in das Haus Eisinger und befragten ihn. Er fand auf der Patrouille in den frühen Morgenstunden die Leiche der Hure bei den Baracken an der Grenze zur Fischerstadt. Genauere Informationen hatte er nicht. Bestattet wurde die Tote vom hiesigen Boronpriester Vater Hilberian.
Am Abend, nach kurzem Vorgespräch, gingen wir gemeinsam mit Ebelfried Eisinger zum Fest von Raschim Al-Fessir. Der Gastgeber empfing und, Wasserpfeife rauchend, auf einem Lager von Kissen. Zahlreiche Händler der Stadt, auch Zwerge aus dem nördlich des Flusses gelegenen Stadtteil Alben, waren unter den Gästen. Ebenso der Weibel der Stadtwache, mit dem Kolja und ich bereits sprachen und eine Kollegin von ihm. Es verstrich eine Weile, in der es mir gelang, mit den Wächtern des Anwesens zu sprechen. Einer von ihnen, Hakin mit Namen, könnte der Stammgast der Hure gewesen sein, dieser hatte zur Zeit allerdings frei – zumindest behaupteten seine Kollegen dies.
Ein Höhepunkt des Festes war ein magischer Bauchtanz, genannt Sarisad, welcher von einer wunderhübschen Tulamidin namens Delila aufgeführt wurde. Ein berauschendes und entrückendes Erlebnis. Die Ablenkung nutzte unser Freund Erian, sich im Haus etwas genauer umzusehen. Im Arbeitszimmer des Novadis fand er in einem Geheimfach im Schreibpult ein verdächtiges Fläschchen, dazu ein Brief mit folgendem Wortlaut:
„Mein teuerster Raschim!
Ich bin Euch zu tiefsten Dank für die erste Lieferung verpflichtet, anbei das versprochene Geld. Es ist gut zu wissen, auf wen man sich verlassen kann, und solche verschwiegenen Geschäftspartner wie Ihr sind heute leider nicht sehr häufig unter Rastullahs Sonne.
Mittlerweile habe ich einen weiteren Abnehmer gefunden, weswegen ich gleich ein weiteres Mal auf Eure geschätzten Dienste zurückgreifen möchte. Bitte besorgt mir zum nächstmöglichen Termin eine weitere Dosis dieses beeindruckenden Mittels, und dieses Mal sollte es sogar die doppelte Menge sein: also einen halbe Unze Purpurblitz.
Es soll wieder euer Schaden nicht sein, die Übergabe und Bezahlung erfolgt auf dem bekannten Weg.
Ich verlasse mich ganz auf Euch.Rastullah zu Ehren
Euer B.“
Recht bald nach Erians Rückkehr verließen wir zusammen mit Eisinger das Fest. Wir besprachen uns kurz mit unserem Gastgeber und gingen dann mit den Beweisen zur Garnision. Der Weibel dort informierte die Vögtin und eilte mit zehn Mann zu Al-Fessirs Anwesen, um dort alle Bewohner zu verhaften. Einzig die beiden Mohadiener, Sibu und Bubu blieben in dem Haus zurück.
Am Mittag des kommenden Tages fand die Gerichtsverhandlung unter den Augen der Vögtin und dem Vorsitz eines Praiosgeweihten statt. Die Beweise wurden vorgebracht, unsere Aussagen angehört und Raschim Al-Fessir, obwohl er alle Anschuldigungen gegen sich bestritt, unter dem Segen Praios’ verurteilt zu lebenslanger Kerkerhaft. Außerdem sollte er im Anschluss an die Verhandlung bis zu einem Geständnis peinlich befragt werden.
Ebelfried Eisinger, der seine Freude über das Ergebnis der Verhandlung kaum verbergen konnte, lud uns im Anschluss ins „Admiral Sanin“ ein.
Obwohl sich Eines ins Andere fügte und alles wunderbar zusammen zu passen schien, hegte ich Zweifel. Und nicht nur mir ging es so. Auch meinen Gefährten war eine gewisse Skepsis anzumerken. Irgendwie passte alles zu gut zusammen und auf der anderen Seite auch nicht. Raschim Al-Fessir wirkte aufrichtig, als er die Anschuldigungen leugnete. Eisinger hatte uns quasi darauf gestoßen, nach Gift zu suchen, dass in dem Haus auch sehr ungeschickt aufbewahrt war. Dazu noch der belastende Brief. Kurzum: Ich beschloss, am Nachmittag noch einmal zu den Anconiten zu gehen. Ich hatte Glück. Bruder Conius war von seiner Reise zurück gekehrt. Als ich mit ihm sprach, verstärkte sich mein Verdacht. Er hatte beide Leichen untersucht. Der Reisende aus Havena wies deutliche Spuren von Gift auf (eine geschwollene blaue Zunge) und war augenscheinlich erstickt. Die Hure Rahjana hingegen war unverletzt, hatte aber unter sich gelassen. Purpurblitz ist ein teures und schwer zu beschaffenes Gift, welches vor allem dadurch auffällt, dass man an dem Toten keinerlei Spuren feststellen kann. Außerdem wirkt es sehr schnell. Der Mann aus Havena war zwar vergiftet worden, aber sicher nicht mit Purpurblitz. Bei der Hure war es möglich, dass dieses Gift verwandt worden war, aber warum sollte jemand ein teures Mittel benutzen, um eine Straßenhure zu töten? Die Geschichte wurde immer dubioser.