Geboren um zu sterben 3 – Das Verhör von Philippus Phrent

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Montag, der 9. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Natürlich waren wir Willens Meister Dreen bei dieser Lösegelderpressung zu helfen. Bei manchen von uns war der innere gute Samariter der entscheidende Antrieb, bei den anderen die Aussicht auf Goldkronen. Wir baten Dreen um eine Unterhaltung mit Philippus, da wir ja bereits wussten, dass er sich im Anwesen aufhielt. Der Advokat Brünne verabschiedete sich und sagte zu Dreen, dass er sich nun besser um die besprochenen Angelegenheiten kümmern werde.

Phrent trat mit sicherem Schritt und aufrechtem Kopf hinter dem Diener in den Salon ein. Wir konnten ihn das erste Mal genau mustern. Phrent war so um die 20 Jahre alt und trotz seiner Blessuren im Gesicht und dem Arm in der Schlinge war er ein unverkennbarer Schönling dem vermutlich die ein oder andere Frau schmachtend zu Füßen lag. Alabasterfarbende Haut, etwas welliges Haar, große Augen, aber nicht so durchtrainiert wie unser Gastgeber Dreen. Das so sichere Auftreten wackelte leicht als der Jüngling die Anwesenheit des Oberhaupts der Kaufmannsgilde bemerkte. Der verschränkte seine Arme hinter dem Rücken und drehte sich demonstrativ von Phrent weg und blickte aus dem Salonfenster. Wir waren offensichtlich am Zug.

Nach kurzer Vorstellung verteilen sowohl Phrent als auch wir uns auf den edlen Salonstühlen. Melina beginnt im Wesentlichen mit der Befragung, was denn gestern Abend überhaupt geschehen sei. Der junge Mann berichtet bereitwillig, wenn auch etwas konfus, aber Melina führt die Unterredung geschickt immer wieder auf die eher entscheidenden Begebenheiten zurück. Wie üblich sonntags waren er und seine Verlobte im Trinkrauch zum Abendessen mit auch einigen anderen Freunden aus der Oberschicht. Darunter unter anderem Anselm der Sohn vom Lederwarenhändler, Kaetlin der Schustersohn, eine Beatrice und so weiter und so fort. Auf dem Rückweg haben sie ebenfalls wie üblich die kleine Gasse genommen, die unmittelbar auf die Eisenstraße von Kreutzing führt. In dieser kleinen Gasse hatten vielleicht ein halbes Dutzend Männer ihnen aufgelauert. Die Männer hatten sich ein wenig vermummt, deswegen konnte Phrent keine detaillierte Beschreibung liefern. Einer der Männer hatte ihn angerufen, war aber direkt auf ihn zugekommen und hatte ihm dann mit einem Totschläger eins über den Schädel gezogen. Phrent war sofort zu Boden gegangen, vermutlich sogar ein paar Sekunden bewusstlos gewesen. Als er wieder zu sich kam, hörte er noch die Schreie von Kandes war aber viel zu benebelt um zu helfen. Melina beendete diesen ersten Teil der Befragung mit der Feststellung, dass er ja nicht besonders lang um seinen guten Freund Karl Brünne getrauert hätte, die Meldung des Mordes war ja erst seit ein paar Tagen bekannt. Phrent machte schon den Eindruck als würde der Verlust ihn Schmerzen, aber dass er schon länger sich an den Gedanken gewöhnen musste schließlich war er schon seit zwei Wochen vermisst.

Ohne Phrent Zeit zu geben sich von Melinas spitzfindiger Frage zu erholen, fuhr Wilbur mit der Frage fort was Philippus denn über Ghule wisse. Die Frage schüttelte Phrent gar nicht so besonders durch, so dass wir den Eindruck gewannen dass der junge Mann relativ genau wusste was ein Ghul war. Das war interessant. Wilbur beschrieb Phrent (und damit auch den am Fenster stehenden Dreen) war wir erlebt hatten in jener Nacht im Murr Haus. Und da Karl Opfer dieses Ghuls geworden war, hatte die Entführung von Kandes eventuell auch damit zu tun. Vehement stritt Phrent diese Verbindung ab. Was sollte schon ein verfluchtes Haus mit seiner Verlobten zu tun haben. Die Frage nach dem Gefallenen Soldaten ließ keinen Zweifel daran, dass Phrent dieses spezielle Etablissement noch nie betreten geschweige denn davon gehört hatte.

Ganz die Schmeichlerin übernahm Melina wieder die Verhörzügel. Sie begann Phrent zu fragen, wie denn die Beziehung zu Kandes so war. Seit einem Vierteljahr waren die beiden schon miteinander verlobt. Es handelte sich nicht um eine arrangierte Ehe sondern es waren tatsächlich Knospen der Liebe zwischen Kandes und ihm gesprossen. Melina bemerkte, dass aber doch bei gewissen Leuten bekannt war, dass Karl, nun ja, ein wenig mehr für Phrent über hatte als eine Männerfreundschaft. Phrent war das bekannt, hatte aber keinerlei Interesse und das auch so Karl gespiegelt. Er hatte außerdem den Eindruck in der letzten Zeit gehabt, dass Karl seine Aufmerksamkeit nun Anselm widmete. Vermutlich hatte das was mit der Verlobung zu tun, dass Karl es eingesehen hatte keine Chance mehr zu besitzen.

Abrupt riss abermals Wilbur das Verhör an sich und wollte wissen in wie weit sich der junge Mann mit Nekromantie schon in seinem Leben beschäftigt hatte. Phrent warf einen kurzen Seitenblick auf den immer noch am Fenster stehenden Dreen, was uns zwei Dinge verriet. Erstens, ja er hatte sich damit schon beschäftigt. Und zweitens, obwohl wir ihn immer mehr mit unseren Fragen piesackten hatte Phrent mehr Sorge vor dem Eindruck den sein Schwiegervater in spe von ihm gewinnen könnte als vor uns. Wilbur nickte Krätze kurz zu, woraufhin der zu Dreen ging und diesen bat den Raum zu verlassen. Dreen erfasste die Situation schnell und ließ sich tatsächlich nicht weiter bitten und verließ den Raum. Mit strahlenden Augen und breit grinsend kam Krätze wieder zurück zur Sitzgruppe. Der kleine Goblin hatte gerade einen der mächtigsten Männer der Stadt aus dem Raum zitiert.

Wilburs Fragen wurden nun immer eindringlicher und kreisten immer wieder um den Ghul, das Murr Haus und Nekromantie. Phrent müsse doch einsehen, dass man ihn nur helfen könnte wenn er kooperierte. Philippus wand sich zwar, blieb aber im Großen und Ganzen bei seinen Darstellungen und das die Entführung von Kandes damit nichts zu tun hätte. Aber von Minute zu Minute bröckelte die Fassade immer weiter und immer mehr. Dem Goblin wurde das ganze Rumgejammer irgendwann zu bunt und beschwor ein magisches Geschoß, dass er zwischen die Beine von Phrent schoss und ihn zischelnd aufforderte endlich zu reden. Japsend riss Phrent seine Beine vom Boden hoch und klammerte sich an ihnen auf den Stuhl und begann wimmernd zu erzählen.

Es war eine Mutprobe. Eine dumme Mutprobe hatte sie in das Murr Haus eindringen lassen. Karl wäre ganz vernarrt danach gewesen und hatte immer wieder mal erwähnt sich dem Murr Haus zu stellen. Die ganze Clique war mitgekommen aber rein gegangen waren nur Karl, Kandes und er selber. Sie hatten auch den Geist gesehen der sich im blauen Leuchten die Kehle aufschnitt. Sie waren im Erdgeschoß geblieben und irgendwann hatte Karl den versteckten Türmechanismus am alten Bücherregal gefunden und so hatten sie die Treppe nach unten entdeckt. Sie waren aber nicht nach unten gegangen, denn noch auf der Kellertreppe waren sie vom Ghul angegriffen worden. Karl hatte es erwischt. Er selber war schreiend aus dem Haus raus mit Kandes. Kandes! Kandes! Sie war viel mutiger als er und hatte sich nicht dem blanken Entsetzen hingegeben.

Das Gespräch verstummte. Damit sich Phrent ein wenig abregen konnte, boten wir ihm einen Cognac aus der reichhaltigen Auswahl Dreens an und gönnten ihm eine kurze Pause. Danach fuhr der Halbling unerbittlich fort. Er begann von der Dämonenfratze zu berichten, die man auf Karls Unterarm gefunden hatte. Wilbur wunderte sich was man wohl unter der Schiene von Phrent finden würde. Philippus beteuerte, dass da nichts sei und dass das alles nichts mit der Entführung zu tun habe. Das ganze ging ohne wirklichen Fortschritt ein paar mal im Kreis umher, bis schließlich auch dem gutmütigen Wilbur der Geduldsfaden riss. Er würde hier nicht mehr weiter kommen. Vielleicht müsste er Leute hinzu ziehen, die von sowas mehr verstünden wie zum Beispiel Hochinquisitor Radolphus, der ja gerade in der Stadt sei. Philippus ohnehin schon blasse Haut wurde noch ein paar Nuancen bleicher und seine Augen schrien praktisch Panik. Raptusartig schoß er von seinem Stuhl zum Fenster. Phrent suchte sein Heil in der Flucht. Doch Joran, der bisher mehr oder weniger stiller Zeuge des Verhörs war, beförderte mit einem beeindruckenden Kraftakt Philippus wieder zurück auf seinen Salonstuhl. Nachdem Phrent wieder saß, tätschelte der Krieger ihm wohlwollend auf die Schulter doch der Flüchtling war nun endgültig fertig mit seinen Nerven. Er zuckte unter Berührung zusammen und nässte ein. Wilbur verschaffte uns Gewissheit. Er schnitt mit ein paar flinken Schnitten den Verband auf und entfernte die Schiene. In der Armbeuge von Phrent prankte eine kleine Tätowierungen einer dämonischen Fratze.

So bloß gestellt verfiel Phrent in einen beinah apathischen Zustand. Er presste die Lippen aufeinander zu allen weiteren Fragen nach dieser Tätowierung und etwaigen Umtrieben. Bei Fragen zu Kandes antwortete er noch kooperativ wenn auch fahrig. Er war wirklich verliebt und in Sorge. Immer wieder betonte er dass die Dinge nichts miteinander zu tun hatten. Hier würden wir heute nichts mehr erfahren. Phrent hatte vor etwas so viel mehr Angst als vor uns, seinen unmittelbaren Peinigern.

Wir baten Dreen zurück in den Salon. Mit hochgezogener Augenbraue erfasste er den Haufen Elend namens Phrent, die eingenässte Stelle und zog seinen eigenen Schlüsse. Dankbarerweise ersparte er uns die gewonnen Erkenntnisse aus dem Verhör mit ihm zu teilen. Seine Sorge galt einzig und allein seiner Tochter und nicht ihrem jämmerlichen Freund. Wir ersuchen Dreen seinen Stiefsohn in spe für die Nacht hier zu behalten als sein ‘Gast’. Das wäre wohl nicht unbedingt einfach aufgrund von Philippus Vater, aber dem Vorsteher der Kaufmannsgilde würde schon was einfallen. Allerdings wollte er doch die Gründe für diese Maßnahme erfahren und so deuteten wir an mit welchen Untersuchungen uns Jonas Kreucher im Namen der Stadt Kreutzing beauftragt hatte. Nur um alle Eventualitäten abgeklopft zu haben fragte Melina noch nach, ob es denn bekannte Feinde gäbe, denen Dreen diese Tat zu trauen würde. Der verneinte und verdutzte uns darüber hinaus noch. Das geforderte Lösegeld wäre in diesem winzigen Umfang absolut lächerlich. Entweder es handelte sich um die blutigsten Anfänger, die die Welt je gesehen hatte, oder man wollte ihm eh direkt mittels Kandes verletzen. Wir nahmen die Goldkronen an uns und verabschiedeten uns.

Die Zeit bis zur Übergabe nutzte Krätze damit bei Caribdus vorbei zu schauen. Wilbur hatte sich gefragt, ob man die Goldkronen auf magische Weise verfolgen könnte. So wäre die Observation deutlich sicherer zu gestalten. Natürlich kam der Magier ein wenig ins Schwelgen und wirkte aber dann einen Zauber auf eine der Münzen und versicherte Krätze und Joran, dass er diese Münze in den nächsten Tagen wieder ausfindig machen könnte. Anschließend trafen wir uns alle zum Abendessen im Borscht und Heilbutt und diskutierten. Nicht alles reimte sich zusammen. Es war kein Wort vom Organräuber gefallen. Manche fanden es plausibel, dass Phrent und seine Freunde tatsächlich nicht im Keller waren und dementsprechend auch nicht die Diebe des Auges der Leere waren. Manche fanden das wiederum nicht. Es war zwar ein totaler Schuss ins Blaue, aber Krätze wettete mit Joran, dass das Geld von den zwei Fatzken, die im Gefallenen Soldaten aufgefallen waren, geholt werden würde.  Wie dem auch sei, es war Zeit sich auf die Lauer zu legen.

Die Alte Fischerei war das größte Bordell der Stadt und lag in Hafennähe, wo sonst. Ein strickender Ork war der stadtbekannte Türsteher über den sich aber niemand nachhaltig lustig machte. Geführt wurde das Etablissement von einer Magda, soweit wir wussten. Der Plan war folgender: Joran und Wilbur würden das Gold kurz vor Mitternacht in der bereits ausgespähten Kiste deponieren. Schon deutlich vorher hatten Krätze in einem Müllhaufen und Melina in der Nähe von ein paar Güterkisten ihre Observationsposten bezogen. Alles verlief wie am Schnürchen. Wenige Minuten vor Mitternacht deponierten Wilbur und Joran das Gold und gingen zurück zum vereinbarten Treffpunkt an einem Tor in der Nähe. Mit Verhallen des letzten Glockenschlags der mitternächtlichen Stunde tauchte eine Gestalt auf. Gehüllt war sie in einen langen Umhang, den sie eng um sich zugezogen hatte. Die Gestalt gab sich aber ansonsten keinerlei Mühen sich besonders zu verbergen und ging freimütig über den angrenzenden Platz. Seltsam. Unter der Kapuze hervor funkelte deutlich sichtbar ein Augenpaar. Die Gestalt ging zur markierten Kiste, nahm die Schatulle an sich und ging ganz unspektakulär den gleichen Weg zurück wie sie gekommen war. Krätze konnte es nicht fassen. Es war das Uhrwerk aus dem Schuppen gegenüber dem Murr Haus.

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