Verderbnisnacht

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30.04.21 – Nachdem wir uns von Edira verabschiedet haben, die in der hiesigen Niederlassung des Orda Magica bleiben wird, sitzen meine Weg-gefährten und ich zusammen im Gasthaus und überlegen, wie unsere Reise von Agrella aus weitergehen kann. Unser gemeinsames Ziel ist Distelfeste, eine Stadt weit im Norden Ambrias, deren Ruf bereits viele Glücksritter angelockt haben soll. Denn Distelfeste ist das Tor zum Davokar, jenem mystischen Urwald, in dem es neben nahezu unerschöpflichen natürlichen Ressourcen auch geheimnisvolle, versunkene Ruinen zu finden geben soll, die noch ganz andere Reichtümer verbergen mögen. Aber es gibt auch unheilvolle Berichte von Expeditionen, die für immer im Dickicht des Waldes verschollen sind. Der Davokar gilt als verfluchte Heimat von schrecklichen Monster und Stammesgebiet der Elfen, die menschliche Eindringlinge wie Tiere jagen sollen. Uns ziehen teilweise sehr unterschiedliche Interessen in diesen Urwald: von Herogai weiß ich, dass er hofft, dort an dem Untoten Mal-Rogan endgültig Rache nehmen zu können. Meister Tribor hat in Distelfeste einen Auftrag seines Ordens auszuführen. Was genau der Hexenjäger Floki und der Bader Temedo dort zu finden hoffen, habe ich noch nicht ganz durchschaut. Irgendwas verbindet die beiden und es scheint keine langjährige Freundschaft zu sein.
Ich selbst hoffe im Davokar Antworten darauf zu finden, was genau ich bin – mehr Mensch oder mehr Elf? Oder werde ich als Wechselbalg immer zwischen beiden Welten gefangen sein?

Doch zunächst muss es uns gelingen, überhaupt von Agrella nach Dieselfeste zu gelangen. Der Wirt erklärt uns, dass es von hier aus zwar eine Straße nach Yndranos im Norden gibt. Von der Hauptstadt wird sicher auch ein Weg nach Distelfeste führen. Aber einfacher sei es, über den Fluss Eplis zu fahren: dieser fließt aus dem Davokar heraus, an der Stadt Kurun – Zentrum des Herzogtums Namgor – vorbei und ergießt sich schließlich in den Ebelsee, an dessen Ufer Agrella liegt.
Sicher ließe sich ein Flussschiffer finden, der stromaufwärts fahren und uns bis Kurun mitnehmen wird – wenn die Bezahlung stimmt.
Floki knurrt Temedo zu, dass er für dessen Überfahrt aufkommen wird. Herogai scheinen die Kosten für die Passage kein Kopfzerbrechen zu machen, wie es bei Meister Tribor aussieht, weiß ich nicht. Aber meine eigene Reisekasse wird langsam knapp. Fürs Erste wollen wir uns im Hafen nach einem geeigneten Schiff umsehen und fragen, zu welchem Preis wir mitfahren können. Floki trennt sich von uns, um seine Beute aus dem Kampf mit den Wegelagerern zu versilbern.

Die Straßen von Agrella sind voller Menschen und der strenge Geruch ihres Unrates hängt über der Stadt, vermischt sich mit dem Duft von Eintopf und Pfeifenkraut. Da ich die Einsamkeit der Berge und Wälder gewohnt bin, ist mir das entschieden zu viel Trubel und ich werde froh sein, wenn wir wieder unterwegs sind.
Im Hafen angekommen fragen wir nach einem Schiff, das wohl bald nach Kurun aufbrechen wird und werden an einen Kahn verwiesen, der den Namen „Flussmaid“ trägt. Der Einmaster dümpelt vertäut am Kai, weder Matrosen noch ein Käpt´n scheinen an Bord zu sein. Da schwingt sich vom Mast geschickt eine kleine Gestalt herab. Erst halte ich es für ein Kind, doch es handelt sich um ein kleingewachsenes Wesen mit graublauer Haut, öligem, schwarzen Haar und ziemlich großen, ausgefranzten Spitzohren. Es mustert uns aus kleinen, dunklen Augen und in seinem platten Gesicht verzieht sich ein lippenloser Mund zu einem breiten Grinsen voller nadelspitzer Zähne. Mit schnarrender Stimme fragt das Wesen – es scheint weiblich zu sein – was wir wollen. Meister Tribor erklärt, dass wir eine Passage nach Kurun buchen wollen. Die Kreatur verweist auf Käpt´n Okwall, der es sich jedoch gerade in einem der Hurenhäuser im Hafen gutgehen lässt und sicher nicht vor morgen Mittag für uns zu sprechen ist. Andere Schiffe würden so bald nicht nach Kurun aufbrechen.
Mangels Alternativen beschließen wir, am morgigen Tag erneut die „Flussmaid“ aufzusuchen. Herogai und Temedo versuchen noch, das Pferd des Söldner ein einen Händler zu verkaufen. Doch niemand ist bereit, mehr als zwei Taler für das treue Tier zu bezahlen – das ist Herogai dann doch zu wenig.

01.05.21 – Als wir zur Mittagszeit wieder an der „Flussmaid“ vorsprechen, erkennt uns das Wesen sofort wieder und ruft lauthals nach dem Käpt´n.
Okwall stellt sich als beleibter Mann Ende der Dreißig mit schütterem Haar aber ausladendem Vollbart heraus. Die kleine, etwas verschlagen aussehende Gestalt wird von ihm Nigra gerufen und scheint sein Vertrauen zu besitzen. Wir tragen unser Anliegen vor. Der Käpt´n rät uns, gleich bis Jakaar mitzureisen, diese Stadt soll näher an Dieselfeste liegen. Den Landweg über die Straßen zu nehmen hält er für keine gute Idee. Dort treibe sich allerlei Gesindel herum: Barbaren, Räuber, Elfen … ich ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht.
Als Preis für die Fahrt nennt Okwell zwei Schilling pro Person, wenn es nach Kurun gehen soll (vier Tage) und 5 Schilling pro Kopf, wenn wir bis Jakaar reisen wollen (10 Tage). Wir beraten uns kurz und beschließen dann, die längere Reise bis nach Jakaar zu buchen, auch wenn meine Barschaft damit fast erschöpft ist. Käpt´n Okwell erklärt uns, dass wir morgen bei Sonnenaufgang an Bord sein sollen.
Da es auf der „Flussmaid“ aber keinen Platz für Herogais Pferd geben wird, muss es nun doch zwingend verkauft werden. Doch heute hat er mehr Glück. Zusammen mit Meister Tribor findet sich ein Händler, der bereit ist, drei Taler für das Tier auf den Tisch zu legen.

02.05.21 – Wir haben uns noch vor Tau und Tag vom Wirt wecken lassen, um rechtzeitig am Hafen sein zu können. Wir zahlen den Besitzer des Gasthauses aus, nehmen rasch ein karges Frühstück zu uns – und stellen fest, dass Floki nicht da ist. Auch seine Schlafstatt ist unberührt. Sicher hatte er noch Geld vom Verkauf seiner Beute übrig und dieses in den Bordellen verprasst! Einen Fluch auf den Lippen packen Meister Tribor und Herogai Flokis Reisebündel und eilen zum Hafen, damit Okwell nicht ohne uns ablegt. Temedo und ich eilen ins Hurenviertel um nach Floki zu suchen. Nachdem wir ein Duzend schmierige Bordelle, üble Spelunken und verdreckter Seitengassen durchsucht und einige fremde, verkaterte Zecher gefunden haben, fehlt von Floki noch immer jede Spur. Dafür hat es längst zu dämmern begonnen und es wird immer heller. Die Zeit läuft Temedo und mir davon.
Da wir keine Wahl haben, eilen wir zum Hafen. Keuchend berichten wir, dass der Gefährte wie vom Erdboden verschluckt ist. Wer weiß, in wessen Armen oder in welchem Hinterhof Floki noch liegt. Käpt´n Okwell will nicht länger warten und lässt die Taue lösen. Wir gehen an Bord, soll der Hexenjäger doch sehen, wie er nach Distelfeste kommt. Schließlich hat er ein gesteigertes Interesse an Temedo…
Die „Flussmaid“ entfernt sich vom Anleger und driftet langsam auf den Ebelsee heraus. Die Fahrt nach Distelfeste hat begonnen.
Plötzlich ertönt Tumult am Kai. Wir drehen uns um und entdecken Floki, der hurtigen Schenkels versucht, dass Schiff einzuholen. Wo auch immer er die Nacht verbracht hat, anscheinend musste er überhastet aufbrechen: Wams und Hose trägt er zwar, doch rennt er barfuß durch den Hafen, Stiefel und Mandel als Bündel unter dem Arm geklemmt. Dicht hinter ihm prescht ein Mann zu Pferde heran, das Gesicht vor Wut verzehrt. Wir rufen der Besatzung zu, dass unser Gefährte doch noch kommt, aber Okwell kann den Kahn jetzt nicht wenden. Nigra hingegen reagiert blitzschnell und wirft Floki ein Tau zu. Der Hexenjäger holt aus und schleudert sein Bündel zu uns an Bord. Der Reiter hat ihn fast erreicht. Floki vollführt einen Hechtsprung und taucht in das Hafenbecken ein. Dort pack er das Seil und lässt sich von uns auf das Schiff ziehen. Das Pferd bäumt sich an der Kaimauer auf und sein Reiter schickt uns eine ganze Reihe an Verwünschungen mit auf die Reise. Floki klettertet an Deck, triefend nass und anscheinend wurde er ziemlich verprügelt. Wortlos packt er seine Siebensachen und macht Anstalten, sich unter Deck zu verziehen. Auf unsere Frage „Ehefrau oder Tochter?“, verweigert Floki missmutig die Aussage…

Wir lernen die kleine Besatzung des Kahns schnell kennen.
Neben Käpt´n Okwell und Nigra, die aus einem Volk stammt, dass „Goblins“ genannt wird und sich als äußerst geschickte Kletterin herausstellt, gehören noch der Bootsmann Arelo dazu, der sich mit Okwell das Steuer teilt und die beiden miteinander verwandten Matrosinnen Tamri und Belda. Der Laderaum der „Flussmaid“ ist voller Tuchwaren, auch unsere Hängematten für die Nacht sind dort.
Die Fahrt über den gewaltigen Ebelseel ist ruhig und ohne Zwischenfälle. Gegen Abend erreichen wird die Stelle, an welcher der Eplis in den See mündet.

03.05.21 – Die „Flussmaid“ segelt stromaufwärts. Viel gibt es für uns nicht zu tun, die Landschaft zieht gemächlich vorbei. Während der Freiwache erzählen die Matrosinnen allerlei Geschichten über die Vertreibung der Barbarenclans durch die Ritter es neuen Reiches Ambria. Die Flüsse sind wichtige Verkehrswege, da alle großen Städte an den Wasserläufen liegen. Ausgerechnet Dieselfeste allerdings ist nur schwer erreichbar, da die Stadt nicht an einem beschiffbaren Flusslauf liegt. Die Stadt wird von einem Bürgermeiser namens Nachtschwarz regiert. Er soll sie als Belohnung von Königin Korinthia erhalten haben.
Unser Etappenziel Jakaar hingegen liegt am See Jolgomar und ist von vielen Barbaren bewohnt, gilt aber als sicherer Hafen. Von dort sind des nur zwei Tage über Land bis zur berühmt-berüchtigten Stadt Dieselfeste. Von all den schrecklichen Gerüchten, die wir über den Davokar gehört haben, sollen wir nicht alles glauben, meinen Tamri und Belda. Im Süden des Waldes gibt es bereits ambrische Stützpunkte im Wald, der Davokar sei dort sicher. Nur tiefer im Wald müsse man aufpassen, dort gibt es monströses Getier und mörderische Elfenbanden. Bei solchen Reden ziehe ich mir den Schal vors Gesicht und halte mich im Hintergrund. Hoffentlich kann ich meine Natur verheimlichen, bis wir Jakaar erreicht haben.
Was Tamri und Belda etwas Sorgen bereitet, ist die unterschwellige Angst, dass die Titanen das Sterben des Landes und die Untoten nicht ewig aufhalten könnten. Schnell murmeln sie ein Gebet zu Prios, dass er sie schützen möge.

06.05.21 – Wir haben Kurun ohne Zwischenfälle erreicht. Die Stadt ist deutlich kleiner als Angrella. Auf einer Anhöhe erhebt sich eine Festungsanlage, in der die Anwohner Schutz finden können. Zu den Füßen des Hügels erstreckt sich die Siedlung hinter eine Palisade, weitere Häuser wurden außerhalb der Umfriedung errichtet. Käpt´n Okwell lässt im kleinen Hafen anlegen und wir sehen uns die Stadt an. Neben einer Kirche des Prios gibt es noch ein Bordell, ein Kapitelhaus des Orda Magica und eine Kaserne. Dazu noch einige Schenken, in der wir ein Bier trinken gehen. Da es am nächsten Morgen früh weiter gehen soll, halten wir uns nicht zu lange in der Stadt auf.

08.05.21 – Je weiter wir auf dem Eplis stromaufwärts nach Norden reisen, desto wilder scheint das Land zu werden. Vereinzelte Waldgebiete verwachsen immer mehr zu einem dichten Forst, der nur noch hin und wieder von Lichtungen und Grasland durchbrochen wird. Wenn ich am Bug des Kahns stehe und nach Norden sehe, scheint der Horizont bereits völlig vom Urwald bedeckt zu sein.

09.05.21 – Der Eplis weitet sich zum See Jolgomar, dessen Nordufer bereits vom Davokar verschlungen wird: eine undurchdringliche, grüne Mauer.
Der Wind streicht durch die Blätter und weht bekannte und fremdartige Tierlaute zu uns herüber. Zwei andere Handelsschiffe kreuzen im Lauf des Tages unseren Weg, es bewölkt sich. Als es dämmert, lässt Käpt´n Okwall auf dem See ankern und wir begeben uns zur Nachtruhe.

Mitten in der Nacht werden wir von Temedo geweckt. Er wurde durch ein ungutes Gefühl wach und hat oben an Deck ein lautes Platschen gehört.
Ein seltsamer Frosthauch liegt in der Luft, unser Atem steigt als Dunst aus unseren Mündern, als wäre es Winter. Was geht hier nur vor? Beunruhigt weckt der Bader noch Bootsmann Arelo und Tamri.
Käpt´n Okwell schläft in seiner Kajüte, Goblin Nigra oben im Krähennest. Wir eilen an Deck, wo Belda Wache halten sollte, doch von der Matrosin fehlt jede Spur. Ich werfe einen Blick nach steuerbord über die Reling und sehe auf der tintenschwarzen Wasseroberfläche noch einige Blasen zerplatzen. Schnell alarmiere ich die anderen, auch Nigra und der Käpt´n sind jetzt wach. Rasch binde ich mir ein Seil um den Leib und springe dort, wo ich die Blasen ausgemacht habe, in den See.
Unterwasser ist alles schwarz, aber das Wasser ist wärmer als die eisige Nachtluft. Mit kräftigen Zügen tauche ich in die Tiefe.
Meine ausgestreckten Hände ertasten etwas, ist es Belda?
Ich bekomme ihren Körper zu fassen, sie bewegt sich nicht.
Irgendwas Kaltes, Schleimiges hat sich um ihre Hüfte geschlungen. Plötzlich werden wir zu Seite weggezogen, in Richtung Boot.
Die Luft wird mir knapp, doch ich versuche noch einmal, Belda nach oben zu ziehen. Aber das Ding, das die Frau ergriffen hat, ist stärker. Beldas schlaffer Körper wird mir aus den Armen gerissen und mir bleibt keine Wahl mehr: ich muss auftauchen um nicht selbst zu ertrinken. Nach Luft ringend ziehe ich mich an dem Seil an Deck und erfahre, was in der Zwischenzeit dort passiert ist:

Das Monstrum, was Belda zu sich in den See gezogen hat, griff erneut an. Mit einem spindeldürren langen, mit viel zu vielen Gelenken ausgestatteten Arm griff es nach Meister Tribor und schlug eine Klauenhand in die Brust des Magiers. Herogai gelang es, die Bestie mit seinem Schwert zu verwunden, worauf sich der Arm in den See zurückzog. Meister Tribor schildert, ein glühendes Auge in der Handfläche des Ungeheuers erblickt zu haben. Ich berichte, dass die Kreatur Belda getötet hat. Verängstigt stammelt die Besatzung des Schiffes etwas von Flussdämonen, Meister Tribor vermutet eine befleckte Kreatur oder eine Ausgeburt. Was auch immer es für ein Monstrum ist, es scheint irgendwo unter dem Schiff zu lauern.
Käpt´n Okwell lässt die „Flussmaid“ von der Mitte des Sees ans Ufer manövrieren, in der Hoffnung, dass uns das Ungeheuer nicht ins seichtere Wasser folgen kann. Tamri stehen die Tränen in den Augen. Sie gehorcht zwar, wirft aber dem Käpt´n aber finstere Blicke zu.
Temedo versorgt Meister Tribors Wunde. Wir beraten uns mit Okwell und teilen Wachen für den Rest der Nacht ein. Mal wieder hat sich gezeigt, dass wir dieses Land, seine Geheimnisse und Schrecken nicht unterschätzen dürfen. Auch wenn die Ambrier meinen, ihre Zivilisation hier schon gefestigt zu haben …

Herogai, Arelo und Tamri übernehmen die erste Dreierschicht, gefolgt von Floki, Temedo und Nigra. Den Abschluss bilden der Käpt´n, Meister Tribor und ich. Während unserer Wache fällt mir der versteckte Schein eines Lagerfeuers tief im Wald auf. Anscheinend lagert dort noch jemand. Doch in dieser Nacht soll es zu keinen weiteren Zwischenfällen kommen.

10.05.21 – Am nächsten Morgen geht es dem Magier besser, seine Wunde ist mit einer frischen Borke überzogen. Wir fahren weiter den Fluss entlang. Gegen Mittag fallen Temedo und Meister Tirbor ein paar in Fellen gekleidete Männer auf, die uns vom Ufer her beobachten. Späher eines Barbarenclans? Die fremden Waldläufer ziehen sich zurück und werden nicht mehr gesehen…

Temedo berichtet, das Nigra während der gemeinsamen Wache angefragt hat, ob sie uns nach Distelfeste begleiten könnte. Schon seit einiger Zeit überlegt die Goblinfrau wohl schon, ob sie zu ihrer Sippe, die in der Stadt lebt, zurückkehren sollte. Schließlich sei sie mit zwanzig Jahren nicht mehr die Jüngste. Beldas Tod scheint sie in ihrem Wunsch, nach Hause zurückzukehren, bekräftig zu haben. Sie hat Temedo geraten, nicht bis nach Jakaar mitzufahren. Vorher zweigt ein Nebenarm des Flusses vom Eplis ab, an dem eine kleine Verladestation liegt.
Von dort könnten sie entlang des Flusses direkt bis nach Dieselfeste reisen. Wir sind mit Nigras Vorschlag einverstanden und würden sie mit nach Distelfeste geleiten. Als wir mit Okwell über den Verladepunkt sprechen, erklärt er, diesen nicht ansteuern zu wollen. Er kann uns aber auf Höhe der Flussmündung von Bord lassen. Als der Kahn das Flussdelta erreicht, legen wir kurz am Ufer an. Dass die Goblinfrau ebenfalls von Bord geht, trifft Okwell völlig überraschend, offenkundig wusste er nichts von ihren Plänen. Er versucht, sie zurückzurufen, doch Nigra winkt ihm nur fröhlich grinsend zum Abschied und übernimmt dann die Führung.
Wir folgen ihr den Flusslauf entlang und nach kurzer Zeit haben wir den Anleger erreicht. Gegenwärtig liegen dort nur zwei Ruderboote vor Anker, eine Palisade umfriedet den Außenposten. Anscheinend kann man auch hier mit unliebsamem Besuch rechnen, aber die kleinere Tür, die im Tor der Palisade eingebaut wurde, ist nicht verschlossen.
Die Anlage besteht aus einem kleinen Gasthaus, einem Schuppen, einem Hühnerstall und einem Pferch, in dem sich ein paar Schweine suhlen. Überraschenderweise gibt es hier auch einen Pavillon, der das Symbol Prios´ trägt und neben einer kleinen, mit hellen Steinen eingefassten Quelle errichtet wurde. Doch dann bietet sich uns ein Anblick, der uns kurzzeitig etwas aus dem Konzept bringt.
In einem Gemüsebeet hockt eine bullige Gestalt, die im Sitzen größer ist als wir im Stehen. Zur vollen Größe aufgerichtet, müsste der Kerl mindestens vier Schritte messen. Unter seiner grauen Haut bewegen sich kräftige Muskelstränge. Spitze, ausgefranzte Ohren stehen von seinem haarlosen Schädel ab und mächtige Hauer schieben sich aus dem Maul. In seinen Pranken, stark genug, um den Kopf eines Mannes wie einen faulen Apfel zu zerdrücken, hält das Monstrum eine Harke und jätet Unkraut. Nigra schnalzt mit der Zunge. „Das sieht man auch nicht oft. Ein Oger als Gemüsegärtner.“
Während sich meine Gefährten den Gasthaus nähern – ohne den Oger aus den Augen zu lassen – schließe ich die Tür und erklimme die Palisade. Schon auf dem Weg hierher hat mich ein ungutes Gefühl beschlichen. Mein Instinkt sagt mir, dass wir beobachtet werden …

Währen ich Wache halte, machen sich die anderen mit den Bewohnern des Anlegers bekannt. Die Wirtin Keldra und ihre Familie bewirtschaften den Außenposten, der neben Flussschiffern vor allem fromme Pilger anzieht, die sich Leuterung erhoffen. Sie berichtet von einem Mann namens Jakad, der erste Schwarzmantel, dem es gelang in den Davokar einzudringen. Dort wurde er jedoch von einer Monstrosität angefallen und verwundet. Es gelang dem Theurgen, sich zu der Quelle zu schleppen, die wir im Hof gesehen haben. Als er daraus trank, gewährte ihm der Gott Prios Heilung. Danach machte Jakad sich wieder auf in den Davokar und erreichte sogar die Hochebene von Kavosti.
Bei Kavosit handele es sich um eine Stadt oder ein Versammlungsort, an dem die verfeindeten Barbarenclans zusammenkommen um Verhandlungen zu führen. Die Barbaren sollen verschiedene Götter anbeten, wie die Ambrier es taten, bevor der Glaube an Prios Staatsreligion wurde. Daher kommt es zwischen den einzelnen Clans immer wieder zu Spannungen. Die Barbaren haben keine Könige sondern werden von Häuptlingen geführt. Diese Häuptlinge wiederrum werden von weisen Frauen, den Hexen, beraten. Und in Kavosti konnte der Theurg Jakad mit der Huldra sprechen, der mächtigen Oberhexe, wie Kledra berichtet. Die Hexen hätten dazu beigetragen, dass sich die Barbaren und Ambrier gegenseitig tolerieren. Sogar ein Tempel des Prios konnte in Kavosti errichtet werden. Mittlerweile leben einige Ambrier dauerhaft in der Stadt und nutzen den Versammlungsplatz für Verhandlungen mit den Clans. Als sie nach dem Oger fragen, berichtet Keldra, dass dieser irgendwann aus dem Wald auftauchte ohne ein Wort sprechen zu können. Er blieb bei ihnen, erhielt den Rufnahmen „Mangold“ und scheint eine Vorliebe für Gartenarbeit zu haben.
Hin und wieder sei er auch ganz nützlich, um unverschämte Gäste vor die Tür zu setzen, ansonsten ist er aber friedlich.

Während sich meine Kameraden das alles anhören, beginnt es langsam zu dämmern. In einiger Entfernung steigend krächzend Vögel aus dem Wald auf. Ich hatte Recht, da draußen treibt sich jemand rum.
Oder etwas …
Der Oger erhebt sich zu voller Größe, stapft rüber zum Gasthaus und klopft einmal an die Türe. Dann trottet er rüber zu einem Unterstand,
der ihm als Lagerplatz zu dienen scheint. Eine junge Frau kommt aus dem Gasthof, um ihm Nahrung zu bringen. Dann treten meine Gefährten heraus, winken mich herunter und erzählen mir, was sie erfahren haben.
Da wir zum Teil schon mit dem unheilbringenden Odem, der befleckten Orten anhaften kann, Bekanntschaft geschlossen haben, trinken Meister Tribor, Temedeo und ich von der Heiligen Quelle. Soweit ich es als Waldläufer beurteilen kann, schmeckt das Wasser nicht anders als aus anderen Quellen, aber wer weis.

Den anderen berichte ich von meinen Beobachtungen und dass meine Instinkte mir sagen, dass etwas Bedrohliches vor sich geht. Vorsichts-halber teilen wir wieder Wachen ein, Nigra übernimmt die erste Schicht, gefolgt von Herogai. Später in der Nacht löse ich den Söldner ab.
Tatsächlich sollte ich Recht behalten: Während meiner Wache bemerke ich eine kleine Gestalt, die sich an die Palisade heranschleicht.
Es handelt sich jedoch nicht um einen Barbaren, sondern um einen weiteren Goblin. Ich spanne meinen Bogen, ziele mit einem Pfeil auf die Kreatur und frage drohend, was sie hier will.
Der Kerl blickt nervös zu mir hoch, legt den Finger an die Lippen und sieht sich gehetzt zum Waldrand um. Leise fleht er um Einlass, er brauche dringend unsere Hilfe, oder sein Stamm würde uns angreifen. Misstrauisch mustere ich den Goblin, ist das vielleicht nur ein Trick? Aber der Kerl wirkt ehrlich verzweifelt. Also nicke ich, klettere nach Untern und ziehe ihn durch die kleine Tür hinter die Palisade.
Die Tür verriegele ich wieder, ohne den Goblin aus den Augen zu lassen, dann führe ich ihn vor ihr her zu dem Schlafraum meiner Gefährten. Die Wirtin Keldra wird ebenfalls alarmiert. Der ängstliche Goblin, der sich als Schuggludd vom Stamm Varagulda vorstellt, befindet sich ein einer wesentlich schlechteren körperlichen Verfassung als Nigra: Er ist kränklich und blass, die Augen rot unterlaufen. Viel zu Beißen hat er wohl auch nicht erhalten. Zitternd berichtet er uns, dass seine Leute von einem Zauberer namens Aschfaru zu einem Angriff auf den Außenposten gezwungen werden. Der Zauberer bereitet einen Trank zu, nach dem die Goblins scheinbar süchtig sind und der sie in einen Blutrausch versetzt. Wildkau ist der Name des Giftes.
Schuggludd entdeckte in den Aufzeichnungen des Zauberers die Rezeptur des Gegenmittels und hat deshalb noch einen klaren Kopf. Aber seine Stammesgenossen kann er nicht allein retten. Der Goblin befürchtet, dass viele von ihnen sterben werden, wenn sie blutgierig gegen den Anlegeposten geschickt werden. Er bittet uns um Hilfe, da er keinen anderen Ausweg für seinen Stamm sieht. Wir sollen den Zauberer töten. Auf die Frage, wie viele Krieger die Varagulda haben, wedelt mehrfach er mit seinen vierfingrigen Händen und stammelt „Acht!“. Keldra fällt ein, dass vor einiger Zeit ein zerlumpter Mann namens Aschfaru hier gewesen ist. Er wirkte verrückt und hatte ein besonderes Interesse an der Heiligen Quelle gezeigt, die er für seine Herrin beanspruchen wollte. Keldra ließ ihn von Mangold rauswerfen. Schuggludd erklärt jammervoll, dass Aschfaru einer seltsamen Menschenfrau hörig sei, die er nur „Nachtklinge“ nennt.
Noch sei der Zauberer dabei, das Wildkau zu brauen, aber viel Zeit bleibt nicht mehr, bis das Gift fertig ist. Wir beschließen uns die Sache mal anzusehen. Acht Goblinkrieger scheinen – zumindest ohne Wildkau – eine einschätzbare Bedrohung zu sein und Schuggludd wirkt äußerst verzweifelt. Während Keldra, ihre Familie und der Oger Mangold hier bleiben, lassen wir anderen uns von Schuggludd etwa eine viertel Meile in den Davokar führen. Bald leuchtet Feuerschein zwischen den Baumstämmen hervor und wir erreichen den Rand einer Senke, in der die Goblins ihr Lager aufgeschlagen haben. In der Mitte der Senke hängt ein großer Kessel über dem Feuer, daneben stehen ein Zelt und ein Pferd. Ein schlaksiger Mann, in Felle gehüllt und mit Hautmalereien versehen, rührt mit einem großen Löffel die gefährliche Mixtur im Kessel um. Um ihn herum lagern die Goblins Nur sind des nicht acht, wie wir verstanden haben, sondern viermal acht Stammeskrieger (das also bedeutete Schuggludds wiederholtes Winken!). Meine Gefährten mache ich auf zwei weitere Goblins aufmerksam, die mit Pfeil und Bogen in den Bäumen hocken, sie scheinen uns noch nicht bemerkt zu haben.
Ein paar Goblins stehen auf und nähern sich ungeduldig dem Kessel mit Wildkau. Doch Aschfaru tritt sie gereizt aus dem Weg. Das Gift ist offenkundig noch nicht so weit. Wir überlegen, ob es nicht das Beste wäre, wenn sich Schuggludd ins Lager schleicht, ich Aschfaru mit einem Pfeilschuss ins Herz zu töte, und der Goblin das Gegengift in den Kessel schüttet, um das Wildkau zu verderben. Da werden die Zeltvorhänge bei Seite geschlagen. Die Frau, welche unheilvoll „Nachtklinge“ genannt wird, tritt heraus. Sie scheint ambrischer Abstammung zu sein, ihr Haar ist dunkel, sie trägt eine Kettenrüstung und an ihrer Seite hängt ein großes Breitschwert. Deutlich können wir im Feuerschein die scheußlichen schwarzen Adern sehen, die sich über ihr Gesicht ziehen. Wir haben ein solches Mal schon gesehen: Mal-Rogans untote Fratze trug ebenfalls diese Äderung zur Schau. Jetzt wird klarer, warum Aschfaru die Heilige Quelle für „Nachtklinge“ erobern soll. Das ist gar nicht gut. Wir brauchen einen verdammt guten Plan und ziehen uns vorerst in den Schutz der Nacht zurück…

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