14. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Wir haben auf der Ostseite des Düsterwaldgebirges inzwischen ein gutes Stück an Höhe gewonnen, auf etwa 1.500 Höhenmeter schätzen wir unsere Lage. Das Gebirge an sich ist nicht wirklich klein, einzelne Gipfel sollen bis zu 4.000 Meter hoch sein.
Der Aufstieg ist nicht ungefährlich, aber zumindest bleiben wir weitgehend unbehelligt von garstigem Viehzeugs. Wir erreichen gegen Abend, es ist noch hell, ein Plateau mit einem kleinen Wasserfall. Dieser kommt ein paar Meter über uns aus dem Berg, fällt über eine Felskante mehrere Meter nach unten und bildet dort einen Teich, von dem das Wasser den Berg weiter herunterfließt.
Das Plateau ist nicht groß und bildet im Berg ein halbrund, ist also etwas windgeschützt. Nach Nordosten hat man einen großartigen Ausblick bis zum Erebor. Eigentlich ist dieses Plateau eine sehr pittoreske Stelle, wäre da nicht das Gelumpe, dass dieses Gebirge bevölkert.
Da wir noch Tageslicht haben, beginnen wir, das Buch zu suchen. Hinter dem Wasserfall finden wir einen Felsspalt, der aber nur handbreit bis vielleicht 50 cm ist. Ich klettere neben dem Wasserfall nach oben auf die Kante, über die das Wasser fließt. Oben ist ein Sims, auf dem man stehen kann und ein Schacht. Dieser ist sehr interessant, etwa zwei Meter breit, relativ ebene Wände und er geht ziemlich gerade mitten in den Berg hinein. Soweit man sehen kann, hunderte von Metern.
Ich lasse mich mit einem Seil ein bis zwei Meter hinab, weil der Felsspalt einige Meter durch den Berg bis zu diesem Schacht reicht. Auch von dieser Seite ist er ähnlich breit wie von vorne. Ich suche kurz im Schacht, finde aber nichts. Da ich von unten im Schacht etwas wahrnehme, klettere ich schnell wieder hoch und dann zurück aufs Plateau. Kurz nach mir kommt ein nicht enden wollender Schwarm an Fledermäusen aus dem Schacht, es müssen Tausende sein, die in die Abenddämmerung davon fliegen. Ein beeindruckendes Schauspiel.
Da wir zunächst nichts weiter finden, ruhen wir uns aus und warten. Nach etwa zwei Stunden geht der Mond am Himmel auf und Earendil holt die Schriftrolle, die ihm Ormal gegeben hatte, heraus. Er spricht Worte, die nur die Elben verstehen, woraufhin sonderliche Dinge passieren, eine silbrige Wolke entsteht aus der Rolle und schwebt zu dem Felsspalt hinter dem Wasserfall. Dort entsteht in der Spalte, oben, wo sie im Schacht endet, eine Nuss in dieser Wolke, die in der Luft schwebt. Roderic klettert nach oben und sucht an dieser Stelle. Er kann einen magisch verborgenen Ledereinband und einen faustgroßen Gegenstand in Leder eingewickelt finden. Mit beidem im Gepäck klettert er wieder zu uns herunter.
Bei dem Buch handelt es sich tatsächlich um das erwartete, das verschollen geglaubte Buch des Geheimen Feuers. Roderic überreicht es mir und ich stecke es ein. Amras möchte zwar hineinsehen, aber wir vertrauen ihm nicht. Was auf Gegenseitigkeit beruht, vermute ich.
Der faustgroße Gegenstand ist eine silberfarbene Nuss, bei deren Anblick die Elben unter uns fassdeckelgroße Augen machen. Wir anderen finden den Anblick zwar faszinierend, die Bedeutung ist uns aber auch nicht ganz klar. Es handelt sich laut Amras wohl um den Samen eines Mallorn-Baumes, uralt und den Elben heilig. Und offenbar heute äußert rar.
Wir beratschlagen kurz und entscheiden, hier zunächst ein Nachtlager aufzuschlagen, da der Abstieg nachts zu gefährlich ist. Inzwischen steht der Mond voll am Himmel und scheint fast senkrecht in den Schacht. Das erinnert uns an den Hinweis mit Earendils verfluchtem Schwert.
Galion klettert zwischenzeitlich zum Schacht und berichtet, nachdem er zurück gekommen ist, dass ein Abstieg in den Schacht nicht ungefährlich, aber möglich und machbar ist. Die Aussicht, hunderte Meter durch einen engen und gefährlichen Schacht zu klettern, in dem jeder falsche Schritt tödlich endet, klingt nicht verlockend. Nach kurzer Beratung entscheiden wir aber fern jeder Vernunft und im Vertrauen auf göttliche Willkür, den Versuch zu wagen. Also brechen wir das Lager ab und klettern zum Schacht hoch.
Im Mondlicht sieht man jetzt tatsächlich, dass im Schacht immer wieder Vorsprünge abstehen, auf den man sich herunter hangeln kann. Also seilen wir uns an und beginnen vorsichtig den Abstieg. Da wir immer wieder Pausen machen müssen, dauert das ziemlich lange. Nach etwa drei Stunden haben wir 100-150 m geschafft, da es aber inzwischen Mitternacht sein muss, brauchen wir eine längere Pause. Da wir immer wieder kleine Gänge gesehen haben, die vom Schacht abzweigen, klettern wir in einen hinein und suchen uns eine größere Höhle, in der wir dann ein Lager aufschlagen.
15. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Am nächsten Morgen, den wir hier unten zunächst natürlich nicht wahrnehmen, machen wir uns weiter auf den Weg. Es gibt hier sehr viele Gänge, die für mich alle gleich aussehen. Alle sind natürlichen Ursprungs und interessant, da recht groß (wir können meist aufrecht laufen) und sehr gewunden, auf- und abwärts verlaufend. Dazu kommen wir immer wieder dem Schacht nahe, in den wir durch Öffnungen blicken können. Ein wenig Tageslicht bekommen wir also mit.
Der Einzige, der sich so richtig wohlfühlt, ist Narvi. Zum Glück ist er diese Umgebung gewöhnt und hat einen guten Orientierungssinn unter Tage. Er geht voran und sucht einen Weg weiter nach unten. Durch zwischenzeitliche Blicke in den Schacht sehen wir auch, dass uns das gelingt. Wir hören zwar häufig Geräusche, Orks, so es denn welche sein sollten, können wir aber ausweichen.
16. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Wir kommen gut voran.
17. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Wir kommen weiter gut voran.
18. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Wir kommen immer noch gut voran.
19. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Ein weiterer „Tag“, an dem wir laufen und suchen, verstreicht ereignislos.
20. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Bei allen außer Narvi kommt etwas Langeweile auf.
21. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Am diesem Tag passiert auch nicht aufregendes, aber am nächsten Morgen berichten die Elben über einen merkwürdigen Traum. Darin geht es um einen Haut, die über einem Altar zum Trocknen aufgehängt ist. Bizarr. Ferdibrand und Narvi träumen zudem von einer wunderschönen Elbin, die für die beiden kocht.
22. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
Wir haben alle denselben Traum gehabt. Ferdi wiederum träumt zudem, wie die schöne Elbin die Haut vom Altar nimmt und ihm um die Schultern legt.
23. April 2951 D.Z. – Düsterwaldberge
In der Nacht halten wir wie gewohnt reihum Wache, als während Earendils Wache etwas passiert. Zunächst fällt ihm auf, dass sein Schwert Anguirel in einer silbernen Farbe leuchtet. Im nächsten Moment werden wir alle von einem markerschütternden Schrei eines Wolfes geweckt! Dier Schrei klingt voller Wut und Verzweiflung und kommt praktisch aus dem Nichts. Nach einem Schoßhund klingt das nicht, eher nach dem Vieh, das Aerandirs Schar vernichtet hat. Damit sollten wir uns nicht anlegen.
Schnell raffen wir unsere Sachen zusammen und versuchen, zu entkommen. In der absoluten Dunkelheit und nur mit Laternen bestückt kein leichtes Unterfangen, zum Glück ist Narvis Orientierungssinn nicht beeinträchtigt, so dass wir zumindest nicht blind umherirren, sondern einen ordentlichen Weg finden. Trotzdem kommen wir eher stolpernd voran, denn das wutentbrannte Jaulen des Wolfes kommt näher. Zum Glück scheint es nicht allzu nahe, solange man das in diesen Tunneln richtig einschätzen kann.
Wir haben den Eindruck, dass der Werwolf vom Düsterwald auf der Jagd ist, nach uns. Ob er die Anwesenheit des Schwertes bemerkt hat? Aber warum stört ihn das? Das herauszufinden wäre zwar interessant, aber wenig Gesundheitsfördernd.
Wir sind sicherlich einige Stunden unterwegs, in denen ich schon lange die Orientierung verloren habe. Narvi scheint sich seiner Sache allerdings sicher und die Gänge sehen auch nicht immer gleich aus. Das immer wiederkehrende Geheule des Wolfes ist mal näher, mal weiter weg, aber wir halten es zumindest von uns fern. Und irgendwann hören wir ein noch fürchterlicheres, fast minutenlanges Geschrei des Wolfes, das aber nicht mehr näher kommt.
Am Ende des Ganges, in dem wir uns befinden, glitzert etwas, es scheint, als wenn wir auf unserer Flucht vor dem Wolf den unterirdischen See gefunden haben, auf dem sich etwas Mondlicht spiegelt. Das Heulen verstummt und eine Stille macht sich breit, in der wir das Tröpfeln von Wasser hören. Und noch etwas, ein merkwürdiges Klackern, das wir nicht zuordnen können. Das silberne Leuchten des Schwertes ist weg.
Wir bewegen uns langsam vorwärts als plötzlich aus einem Seitengang zwei riesige Scheren stoßen und uns angreifen! Irgendetwas Großes, vielleicht Krebsartiges fällt über uns her, das wir kaum erkennen, aber es ist riesig und sehr stark. Nach schwerem Kampf, den wir ohne größere Ausfälle überstehen, zieht sich das Vieh zurück. Wir hören noch ein Klackern, dann ist es still.
Wir gehen nun weiter und stehen nach kurzer Zeit in einer riesigen Höhle vor einem See. Ein skurriler Anblick, mitten im See steht ein großer Stalagnat, eine Säule, die aus Stalaktit und Stalagmit zusammengewachsen ist und leicht grünlich leuchtet. Warum, wissen wir nicht, wollen wir vielleicht auch gar nicht. Dieser Ort scheint uralt zu sein, auch nach elbischen Maßstäben.
Earendil taucht das Schwert Anguirel, mit dem er vorher das Riesenvieh verletzen konnte, an der Stelle ins Wasser, wo das Mondlicht aus dem Schacht auf das Wasser trifft. Für etwas zwei Sekunden wirkt er wie gelähmt, steht dann aber wieder auf. Das Schwert leuchtet in diesem Moment blau und hat ein silbrigen Schimmer.
Als er sich aufrichtet, hören wir ein Geräusch aus dem Dunklen See. Aus diesem erhebt sich eine nebelhafte Gestalt und breitet zwei Schwingen aus….