20. Oktober 2512, Übersreik, Reikland
Liebe Hildrun,
es freut mich, dass Cousine Elfriede nun endlich heiraten wird! Gerne wäre ich dabei, aber ich kann diese Stadt leider immer noch nicht verlassen. Zwar sind wir nicht mehr zwangsweise Wache, doch bindet uns der Vertrag mit Rudi noch an diesen Ort. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis wir unseren Teil des Vertrages erfüllt haben.
Aber genug gejammert; du willst sicherlich erfahren, wie es uns zuletzt ergangen ist. Ich will dir erzählen, wie es im Roten Mond und später in der Arena, dem Zinnsporn, weiterging.
Alanus stand verwirrt in der Tür und schien seinen Augen und Ohren nicht zu trauen. Auch wir andern drei bekamen nun mit, was da im Schankraum vor sich ging. Ja, wir hatten richtig gehört. Der Laden hier wurde überfallen und die beiden hießen… Kürbis und Honighäschen. Sigmar ist mein Zeuge, ich wusste nicht, ob ich lachen oder laut lachen sollte. Alanus hatte sich etwas zurückgezogen, so dass er nicht gesehen wurde. Ein kurzer Blick in den Schankraum zeigte, dass die beiden nicht wirklich gefährlich und dazu äußerst albern aussahen: geckenhafte Kleidung und kindische Masken. Aber wir sind ja in Übersreik, wenn nicht hier, wo dann? Auch wie sie redeten, flößte mir mitnichten Respekt ein. Die säuselten „Honighäschen hier“ und „Kürbis da“ und waren mehr mit sich als ihrer Umwelt beschäftigt. Wir sahen uns an, zuckten mit den Achseln und zogen unsere Waffen. Nicht, dass uns die Gäste leidtäten. Nein, die waren eh alle korrupt hier. Aber die beiden gäben bestimmt ein gutes Kopfgeld.
Leider bedeutete uns Franz Lohner, ruhig zu bleiben. Er machte eine kurze Ansage, dass ja alle heile nach Hause wollen und jeder etwas abgeben sollte. Das passierte dann auch: die beiden Witzfiguren nahmen jedem etwas Geld ab und zogen dann unbehelligt davon. Lohner gab danach jedem Gast aus seiner Kasse etwas zurück.
Unsere ungläubigen Blicke sehend, erklärte er uns die Geschichte. Die beiden waren berühmt-berüchtigt (warum auch immer wir in sechs Monaten Wache nie von ihnen gehört hatten, bleibt ein Rätsel), aber beim Volk wohl sehr beliebt. Sie nahmen den Leuten nie alles ab, verteilten dafür aber Geld unter den Armen. Wir sollten sie in Ruhe lassen. Schade um das Kopfgeld, aber noch mehr Ärger konnten wir ohnehin nicht brauchen. Warum Lohner die Gäste von seinem Geld entschädigte und damit ja mehr oder weniger die beiden Gecken bezahlte, sollte sein Geheimnis bleiben.
Er erzählte uns noch ein paar Gerüchte zum Waisenhaus Sankt Bastian. Kinder sollten dort missbraucht werden. Ich hoffte nur, dass das nicht stimmt.
Wir verließen dann den Roten Mond, als uns ein Bote mit einer Nachricht erreichte, dass wir am nächsten Morgen bei General Jendrick von Dabernick und dem Stadtrat in der Burg Schwarzfels zu den Vorgängen in Gotheim vorsprechen sollten.
Da der Tag noch jung war, besuchten wir eine Kneipe im Kaufmannsviertel, um mehr über das Waisenhaus herauszufinden. Was Franz Lohner erzählt hatte, erfuhren wir auch hier. Das war mehr oder weniger ein offenes Geheimnis. Wie wir da weiter vorgehen sollten, wussten wir noch nicht.
Ruben wollte noch zur Gilde der Messerschmiede, weil er hoffte, dass der Elfenschmied Dordean Trauersinn ihm etwas zu der Greifenstatue aus Metall erzählen konnte. Von diesem erfuhren wir auch etwas zur Statue, zusätzlich zu einigen anderen Geschichten aus Bögenhafen.
Die Geschichte mit dem Flusstroll, der dort sein Unwesen getrieben hatte, wussten wir bereits. Auch von der Klinge Hannah Baumanns, die in Bögenhafen den Magier Gunther Schwoch getötet hatte, wussten wir, dass sie von dem Meisterschmied Anatoli Karamasur, einem Kisleviten, geschmiedet worden war. Dordean erzählte uns, dass Anatoli sich mit dem Wandelnden Griff eingelassen hatte und verschwunden war. Und er hatte einen Greifen geschmiedet. Genau genommen hatte er mehrere gemacht, bis einer absolut perfekt war. Wo die anderen waren, wusste niemand. Aber wenn, sollten wir sie in Bögenhafen suchen.
Wenn wir mehr zu den Anhängern von Constant Drachenfels wissen wollten, sollten wir bei Eluharath Wellenkamm nachfragen. Der hatte wohl schon vor langer Zeit die Anhänger bekämpft und kannte sich mit dunklen Kulten aus. Mit diesem hatten wir zwar schon gesprochen, aber vielleicht konnten wir zukünftig noch mehr von ihm erfahren.
Der Tag war schnell vergangen und wir machten uns auf den Weg Richtung Zinnsporn. Eine durchaus beeindruckende Anlage war das hier. Eine Arena, die vielen Menschen Platz bot und in der viele Veranstaltungen stattfanden. Derzeit waren es die Gladiatorenkämpfe. Kruger entdeckte im Gefolge der Familie Karstadt eine Person, die seinem Mentor zum Verwechseln ähnlich sah. Vor dem Eingang hatte sich etwa ein Dutzend Personen postiert. Sie hatten Plakate dabei und skandierten, dass die Tierkämpfe aufhören sollten und man Rücksicht auf die Tiere nehmen sollte. Die Gruppe bestand aus normalen Bürgern und der Anführerin, einer Shallya-Priesterin und nannte sich die Tierfreunde von Übersreik, TVÜ.
Einige der Personen unterhielten sich leise und ich bekam zufällig mit, dass sie nachts eine Aktion planten und Tiere aus ihren Käfigen befreien wollten. Das kam mir doch sehr merkwürdig vor. Wilde Tiere wie Wölfe und ähnliches einfach befreien?
Liebe Hildrun, falls du eines Tages nach Übersreik kommen möchtest, wovon ich dir dringend abrate, wirst du bemerken, dass es hier alles gibt. Auch irgendwelche Irren, die wilde Bestien auf unschuldige Menschen freilassen wollen.
Wir nahmen unsere Plätze ein, die durchaus gut waren. Nicht so gut, wie die Logen der feinen Gesellschaft, aber immerhin besser als die des gemeinen Volkes. In einer Loge, zum Glück weit entfernt, sahen wir Orban Geldrecht. Dass der sich traute, öffentlich aufzutreten, war sehr verwunderlich.
Das Spektakel, und wie es herausstellte, war es das auch, nahm seinen Anfang. Als erstes betrat Felix Eisenseite, der alte Champion wie man uns erzählt hatte, die Arena. Er kämpfte gegen einige blutrünstige Hunde und Wölfe und war wirklich gut. Mit ein paar Blessuren gewann er den Kampf souverän und machte dabei eine gute Show. Etwas blutig war es mir schon, aber dem Volk gefiel es.
Als nächstes betrat der neue Champion Reikhart Gestenstark die Arena. Von Ulric gesegnet sollte er sein und wie wir dann mit eignen Augen sahen war das eine zutreffende Beschreibung. Er kämpfte gegen drei Schwarzbären, mit denen er schnörkellos und ohne Show kurzen Prozess machte. Das Volk jubelte ausgelassen. Danach war eine Pause.
Nach dieser ging es gleich weiter, wieder mit Reikhart. Dieses Mal kämpfte er gegen Menschen, und zwar gegen fünf Gladiatoren gleichzeitig. Diese waren keine Anfänger, sondern geschulte Kämpfer. Und doch hatten sie keine Chance. Reikhart dominierte, nahm nur wenige leichte Treffer hin und tötete einen nach dem anderen. Während Reikhart die Bären schnell und respektvoll getötet hatte, spielte er hier mit den Gegnern. Er dominierte sie nicht nur, er führte sie vor und schlachtete sie ab. Einem riss er den Arm heraus, ein anderer wurde enthauptet.
Ich gebe es offen zu: das war zu viel für mich. Das hier war kein fairer und ehrenhafter Kampf, es war ein blutiges Gemetzel. Und auch meine Gefährten sahen nicht aus, als würden sie es genießen. Uns wurde klar, warum hier an verschiedenen Stellen Eimer standen. Das Publikum jubelte zwar frenetisch, etliche mussten sich aber die Eimer übergeben. Es war nicht schön.
Dann gab es etwas Rahmenprogramm, ein paar Schausteller traten auf und ein paar Schaukämpfe wurden ausgetragen.
Dann war der Winterwolf, von dem wir ebenfalls schon gehört hatten, an der Reihe. Das Tier mit Namen Eisfang war riesig, bestimmt 1,80 Meter hoch mit gewaltigem Gebiss. Es kämpfte gegen mehrere Kampfhunde, die aber hoffnungslos unterlegen waren und schnell getötet wurden. Danach gab es eine weitere Pause und dann kämpfte wiederum Eisfang gegen drei Bären. Auch hier war die Überlegenheit des Winterwolfes eindeutig, die Bären wurden schnell besiegt.
Das war dann auch der letzte Kampf dieses sehr blutigen Abends, worüber ich sehr froh war. Nochmal würde ich mir das hier nicht antun.
Nach der Veranstaltung gingen die Leute ihrer Wege, aber dennoch standen draußen noch viele Gruppen herum und unterhielten sich. Wir hören, dass der neue Champion Reikhart Gestenstark noch nie außerhalb des Zinnsporns gesehen wurde. Wenn wir ihn uns genauer ansehen wollen, dann müssten wir auf jeden Fall in die Katakomben des Zinnsporns kommen.
Mir fiel Wilhelm Schettler ins Auge, der Leiter des Zinnsporns. Ich erzählte ihm von den Tierschützern, die eine Aktion planten. Er wollte es zwar nicht glauben, nahm den Hinweis aber wohlwollend auf. So kamen wir mit ihm ins Gespräch. Er war selber ein, wie er selbst behauptete, bekannter Schauspieler gewesen. Vom Variete-Theater in Übersreik hielt er überhaupt nichts und wunderte sich sehr, dass ein berühmter Schauspieler dort freiwillig auftreten sollte. Interessantes erfuhren wir zwar nicht, hatten aber zumindest schon mal Kontakte geknüpft.
Wir machten uns dann auf den Weg zurück zur Stadt. Das Tor war noch offen und wir schlenderten über den Marktplatz. Da bemerkte Ruben eine Gestalt, die aus einer Gasse getorkelt kam. Dietmar Leiber!? Bevor wir mehr tun konnten als verdattert zu gucken, flog ein Bolzen durch die Luft.
Wie das ausgegangen ist, liebe Schwester, schreibe ich dir bald.
Bis dahin liebste Grüße und Sigmars Segen,
Dein Konrad