Bad Neighbours

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Upsala, 2.November 1880

Was für eine Nacht, ich habe kaum ein Auge zugetan und fühle mich noch völlig derangiert, Karius liegt auf meinem Schoß und sieht so zerwühlt aus wie ich mich fühle.

Zunächst hatte uns nur der Geist von Oscar Hjort, der wieder mal sehr unterkühlt wirkte, im Kaminzimmer aufgesucht, um erfolglos zu versuchen uns Etwas mitzuteilen, was ihm weder durch das Hindurchgleiten durch Ida noch durch das Hindurchgleiten durch Norvid gelang. Ich meldete mich spontan als Medium und konnte ihn etwas länger halten, was sehr unangenehm war, denn ich hatte den Eindruck, dass etwas anderes als Oscar von mir Besitz ergreifen wollte. Außerdem bekam ich einen unangenehmen Krampf, was Clara dazu veranlasste mit dem Revolver auf mich zu zielen und Ida dazu in lautstarkes Beten zu verfallen, während Norvid vorschlug, dass sie mich mit „geweihter Spucke“ bespuckt – danke für gar Nichts an dieser Stelle an alle drei, zum Glück bin ich robustes Straßenkind genug, um mich davon rasch zu erholen.

Nach dieser Heimsuchung war uns allen kalt und wir waren furchtbar müde. Unser schönes gemütliches Schloss entpuppte sich jedoch des Nachts als ungemütlich, furchteinflößend und aufs Übelste belebt. Schon auf dem Weg in unsere Gemächer hörte Ida immer wieder ein steinernes Knirschen und Clara und Norvid hörten das Geräusch von fallenden Münzen und im Anschluss sahen wir alle einen großen Schatten am Fenster vorbeihuschen, wohlgemerkt im ersten Stock. Uns wurde keine Zeit gelassen diese unheimlichen Eindrücke zu verdauen, denn im blauen Salon spukte Jemand herum und bediente sich dazu noch hemmungslos an unseren Spirituosen. Wir hörten und spürten die Anwesenheit von was auch immer und fanden Spuren von rotem Lippenstift und ein benutztes Glas vor, außerdem ein aufgeschlagenes Buch: „botanischer Garten von Karl von Linne“. Als ich durch Fenster schaute sah ich einen riesigen, sehr tief fliegenden Raben, der sich in Rauch aufzulösen schien, aber noch bevor ich davon berichten konnte fing Clara an entsetzt zu schreien und in den Kamin zu schießen. Dort hatte ein leibhaftiger Myling gehockt.

Kaum dass wir entsetzt und immer noch übermüdet aus dem blauen Salon getaumelt waren, führte uns das bitterliche Weinen und Schluchzen eines kleinen Mädchens in Norvids Zimmer, in dem Jemand, der nicht Norvid gewesen war, die Balkontüren weit geöffnet hatte. Wir alle sahen das, mit Brettern vernagelte, Brunnenhaus im Garten stehen und hörten das, daraus erklingende Schluchzen. Während wir schaudernd zum Brunnenhaus blickten, nahm auch Norvid einen dieser riesigen, rauchigen Raben wahr, ihm fiel auf, dass seine Augen rot leuchteten.

Weiter hinten im Garten und auf einem der Grabmäler war darüber hinaus noch, von einem Moment auf den anderen, die schaurige, bläulich leuchtende Gestalt eines Ritters zu sehen, die sich vom aufwallenden, inzwischen kalt um das Schloss kriechenden, Nebel abhob. Jeder Zuhörer dieses Berichtes wird uns wohl verzeihen, dass wir in diesem Moment – Keuschheit hin, Schicklichkeit her – beschlossen im selben Raum die Nacht zu verbringen – mit nichts anderem natürlich als dem Versuch zu Schlafen. Einem erfolglosen Versuch, soviel sei verraten.

Neben weinenden Kinderstimmen, Schlaflieder singenden Frauenstimmen, einer aktiv auf die Nebengebäude des Schlosses – und vielleicht auch auf das Schloss selbst – einschlagenden Axt, Kanonenschlägen und der Dudelsackmusik des Grauens, die blutige Bilder im Kopf entstehen ließ, erfasste uns das größte Grauen als eine tiefe Stimme in unser Innerstes eindrang und davon sprach, dass sie unsere Präsenz und Ankunft spüren würde. Sie stellte sich als unser Meister vor und prophezeite uns, dass wir ihn befreien und vor ihm niederknien würden.

Nach höchstens zwei Stunden spärlichsten Schlafes graute der Morgen und noch bevor wir Gelegenheit hatten im Geiste die Worte Kaffee und Frühstück zu formen, pochte es zweimal an der Tür. Beim ersten Mal stellte sich Inspektor Kasper Lyström vor, mit dem Wunsch, einen Kennenlerntermin mit uns zu vereinbaren, was wir ihm für den nächsten Morgen zusagten.

Der zweite Besuch war – schon wieder – Ingrid Bäcklund, die Literaturschaffende von der Tagespresse. Sie tischte uns diesmal eine abenteuerliche Geschichte auf, über Träume, in denen ihre Urgroßmutter – ehemaliges Mitglied der Gesellschaft von Schloss Gyllenkreutz – ihr verraten haben sollte, dass sie ein Tagebuch auf dem Dachboden finden würde. Dies hätte sie gefunden, so sagte sie, und es würde gar brisante Informationen über Geschehnisse, die auf Schloss Gyllenkreutz stattgefunden haben sollen, enthalten. Wir ließen uns darauf ein, sie am Nachmittag diesen Tages im Bürger & Bäcker zu treffen.

Dorthin, und damit Gott sei Dank zu einer Tasse starken Mokkas, führte uns auch unser erster Weg, denn wir waren mit Olaus Klint verabredet. Dieser war von unseren Berichten über die vergangene Nacht unangenehm beeindruckt, rückte aber auch mit ein paar wichtigen Informationen zu unseren unangenehm grauenvollen Nachbarn heraus:

Ein Myling ist ein von der eigenen Mutter ermordetes Kind, dass irgendwo verscharrt wurde. Es kann sehr mächtig werden und nimmt manchmal die Gestalt eines Vogels mit Menschenkopf an. Es gibt drei Möglichkeiten es loszuwerden: 1. Das ihm zugefügte Unrecht sühnen 2. Den Körper in geweihtem Boden zusammen mit dem Tuch eines Heiligen verbrennen 3. Ihm einen neuen Namen geben – und dem ursprünglichen Träger des Namens damit ein Stück Seele entreißen.

Die riesigen Nachtraben sind Selbstmörder oder Massenmörder, die das Grabtuch Christi suchen und ebenfalls in geweihten Boden gehören. Die Rittergestalt ist ein Wiedergänger, der, da er noch nicht mal transparent ist, sehr mächtig sein muss.  Dass Oscar bei uns auftaucht ist sonderbar, da er weder Wiedergänger noch Draug sein kann, nachdem wir ihn in heiligem Boden bestattet haben, Der Pfarrer Niels Klarhed mit der Bindehautentzündung war wohl übrigens Messdiener in seiner jetzigen Kapelle zu dem Zeitpunkt des Todes von Oscar Hjort.

Olaus berichtete auch, dass er davon gehört hatte, die Kirche – in persona der Priester Samuel Köningsmark – wolle die Vormundschaft für Linnea Elfeklint beantragen, was uns rasch zur Kanzlei Lundquist & Rask aufbrechen ließ.

Hier sitzen wir nun – ich für meinen Teil, noch immer abgeschlagen und übermüdet – und lesen einen Brief, der hier hinterlegt wurde: Eine gewisse Freundin Olga Kraus schreibt Linnea, dass nur sie helfen kann. Es geht um ein Geheimnis, dass die beiden verbindet. Olga schreibt, dass sie mit ihren Freundinnen zurzeit im Strandhotel Mölle in einem kleinen Fischerdorf festsitzt und sehnlichst auf ihren rettenden Besuch wartet.

Eine Nacht außerhalb von Schloss Gyllenkreutz schlafen? Worauf warten wir. Nichts wie hin!

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