Der Regen, in dem wir uns fanden, war nicht der erste Regen, der ihr den Namen Makona ah hata’hon (Lacht-im-ersten-Regen) gab. Aber auch dieser Regen war legendär, zumindest für uns. Spülte er doch unser beider Tränen hinfort. Ihre, da sie von ihrem Stamm verstoßen worden war und meine, da ich meinen Vater Ron, gerade beerdigt hatte. Ich stand noch am Grab, durchnässt und voller Trauer, als ich sie am Rande der kleinen Lichtung sah. Auch sie war durchdrungen vom Regen, hielt vornübergebeugt ein kleines Bündel mit ihren ganzen Besitztümern im Arm, die sie vor der Nässe mit ihrem Körper zu schützen versuchte. Ich erkannte anhand der Verzierungen ihre Zugehörigkeit zum Stamm der Odawa.
Meine Amme, die mich nach dem viel zu frühen Tode meiner Mutter großzog, wenn mein Vater die Fallen kontrollierte oder die Felle zum Verkauf nach Killarney, der nächsten Stadt, brachte, war auch eine Odawa. Somit reichten meine wenigen Kenntnisse ihrer Sprache, um ihr die Trockenheit der Hütte meines Vaters, jetzt meine, anzubieten. Es war Liebe auf den ersten Blick und eine Seelenverwandtschaft, wie sie nur jene verspüren können, die alles verloren haben, was ihnen wichtig war. Doch die Odawa, wie auch die Weißen, hielten nichts von unserem Zusammenleben. So blieben wir noch einige Wochen in der Hütte, dann verließen wir die Gegend. Zu viele traurige Erinnerungen verbanden uns mit diesem Ort. Ich ließ die Hütte und die beiden Gräber meiner Eltern zurück, Makona ihren Stamm, der sie nur aufgrund der Vision des Schamanen ihres Stammes verstoßen und fortgeschickt hatte. Was genau das war, ließ sich trotz aller gegenseitiger Liebe und vorsichtigem Nachfragen nicht aus ihr herausbekommen. Also drängte ich sie auch nicht. Dachte ich doch, wir hätten noch ein ganzes Leben zusammen. Wie falsch ich damit lag…
So nutzen wir den Sommer und zogen zusammen nach Süden, bis wir am Rande des Gebietes der Sioux siedelten und uns eine kleine Farm aufbauten. Doch natürlich brauchten wir mehr, als uns das Land und die Farm geben konnten. Deshalb ließ ich meine Makona allein und verdingte mich als Cowboy bei einigen Viehtrecks. Es war eine harte, aber ehrliche und gute Arbeit. Von meinem dürftigen Lohn kaufte ich das nötigste für unser kleines Zuhause. Notdürftig kamen wir über die Runden. Doch dann bekam ich die Gelegenheit als Kurier beim berühmten Pony Express zu arbeiten. Die Arbeit war zwar gefährlich, aber wesentlich besser bezahlt. Somit verbrachte ich die meiste Zeit zwar wieder unterwegs als Pony Express Kurier, jedoch reichte die Bezahlung für ein gutes Leben für uns beide.
Bei einem der Heimurlaube kurz vor Vollmond im Frühling kamen einige Sioux und nahmen Makona mit. Atokala, der Schamane des nächsten Stammes, die sich die Langen Speere nannten, hatte eine Vision gehabt und nach ihr rufen lassen. Sie folgte freiwillig, nur ich durfte nicht folgen. Also wartete ich zwei ganze Nächte und Tage, waren wir doch nur geduldet auf ihrem Land und von ihrer Gnade abhängig. Unter dem Vollmond des dritten Tages hielt ich es nicht mehr aus und machte mich auf die Suche. Zu groß waren die Sorgen geworden.
Schon nach einem kurzen Ritt fand ich das Lager der Langen Speere. Schon aus einiger Entfernung sah und roch ich ihre Feuer. Doch als ich mich vorsichtig näherte, sah ich nur ein paar Sioux in der Nähe des Feuers liegen, aber niemand rühre sich. Als ich näher kam, erkannte ich, dass sich diese Leute nie wieder bewegen würden. Grausam verstümmelt und entstellt waren sie, als ob ein wildes Tier in rasender Wut sie alle niedergemetzelt hätte. Doch kein Tier kann einen ganzen Stamm mitsamt Frauen und Kindern töten. Es musste ein ganzes Rudel gewesen sein.
Ganz vorsichtig stieg ich von Ronda, meinem treuen Ross und schlich durch das Lager. Irgendwo, so befürchtete ich, könnte meine Frau liegen. Doch außer ihrem Anhänger aus Türkis fand ich nichts, dass auf ihr Schicksal schließen lies. Zum Schluss blieb nur noch das bunt bemalte Tipi des Medizinmannes übrig. Vorsichtig und leise schaute ich durch den Eingang und da sah ich die Kreatur: Sie fraß noch an einem Bein, dass, wie ich vermutete, einst dem Schamanen gehört hatte. Einzelteile des Medizinmannes lagen im ganzen Zelt verteilt.
Ich muss wohl vor Schreck ein Geräusch gemacht haben, denn die Kreatur sah auf, sprang quer durch das Tipi und riss mich von den Beinen. Schnell rappelte ich mich auf und schoss mehrmals auf das Wesen, dessen Körper wie eine Mischung aus Mensch und Wolf aussah. Doch die Kugeln ließen es nur zucken und konnten die Bestie nicht auf Abstand halten, obwohl ich einige gute Treffer landete. Letztendlich kniete die Wolfskreatur auf mir, ihre Klauen hatten meine Brust aufgerissen und bohrten sich nun in mein Fleisch, als sie mich am Aufstehen hinderte. Messerlange geifernde Fänge näherten sich meiner Kehle, Speichel tropfte auf mich herab. Doch mit letzter Kraft und ungeachtet der wahnsinnigen Schmerzen nutzte ich die letzte Kugel meines Colts und schoss dem Monster direkt zwischen die Augen.
Schwer getroffen rannte die Kreatur in den Wald. Blutend, auch schwer verletzt und am Ende meiner Kräfte schleppte ich mich zu meinem Pferd, stieg auf und verlor im Sattel immer wieder das Bewusstsein. Aber mein treues Ross fand den Weg zu einem anderen Stamm der Sioux, wo man meine Wunden und das Wundfieber über mehrere Tage behandelte. Im Fieber hatte ich eine Erscheinung. Ein geschecktes Pferd kam zu mir, linderte meine Schmerzen und sprach zu mir. Es sagte, wir würden uns schon immer kennen, aber jetzt sei ich bereit für eine Zusammenkunft mit ihm.
Lange hatte dieser Geist gewartet bis sich meine Seele so weit entwickelt hatte, um das Zusammentreffen mit ihm unbeschadet zu überstehen. Es hatte die Gestalt des Pferdes angenommen, da ich Pferden gegenüber meist mehr Zuneigung empfand als ich für Menschen fühlte. Es teilte mir mit, ich hätte jetzt ein zweites Leben bekommen, ein Leben dessen Sinn sich mir bald erschließen werde, aber ich solle bei Vollmond besonders vorsichtig sein. Tatsächlich überlebte ich die Verletzungen. Sie nannten mich Mattakka alon (Der-den-Tod-bei-rundem-Mond-sah). Sobald ich wieder aufstehen konnte, befahl mir der Schamane des Stammes zu gehen, denn ich würde sonst auch Unglück über seinen Stamm bringen. Gaben Sie mir etwa die Schuld für das Massaker an den Langen Speeren? Ich wollte noch für die Hilfe danken, doch mit gespannten Bögen und gezückten Tomahawks vertrieben sie mich, riefen mir nach, dass der Tod mir folge.
Also suchte ich nochmal im Lager der Langen Speere nach meiner Makona, aber die anderen Sioux hatten schon alle Leichen bestattet und ich fand kein Zeichen meiner Frau. Mit ersterbender Hoffnung kehrte ich zu unserer kleinen Farm zurück, doch auch dort war sie nicht. Voller Trauer trank ich meine ganzen Vorräte an Whiskey und kann mich deshalb auch nur vage an die nächsten Tage erinnern. Als es keinen Schnaps mehr gab, kam ich langsam wieder zu mir. Was auch immer mit meiner Makona geschehen war, sie würde nicht wollen, dass ich mir das letzte bisschen Verstand versoff und der Pferdegeist hatte von einem neuen Leben gesprochen.
Also verschloss ich unser Haus, nahm mein Pferd und ritt wieder zur Station des Pony Express. Ich stürzte voll mich in die Arbeit. Und dann kam der Tag, an dem ich eine Nachricht von Butte City zur Zwischenstation brachte. Sie sollte sofort von einem anderen Reiter weiter nach Billings gebracht werden. Der Reiter war jedoch krank, also nahm ich einen Schluck Wasser, sattelte das nächste Pferd und ritt weiter, die ganzen 190 Meilen. Unterwegs meinte ich ein Rudel Hasen zusehen, die sich blutverschmiert über die Leiche eines Büffels hermachten, doch ich war in Eile und glaubte, meine erschöpften Sinne hätten mir einen Streich gespielt. Damals wusste ich ja noch nicht, was ich jetzt weiß.
In Billings angekommen, nahm ich mir eine kurze Pause, aß etwas und verbrachte einige Minuten auf dem Donnerbalken. Dann steckte ich die Antwort auf die Nachricht in die Mochilla, sattelte ein neues Pferd und ritt zur Zwischenstation zurück. Unterwegs fiel mir das abgenagte Skelett des Büffels auf, aber es konnten unmöglich Hasen gewesen sein… und für so etwas hatte ich auch keine Zeit, ich hatte eine Antwort zu überbringen.
An der Zwischenstation wollte ich dem nächsten, jetzt hoffentlich gesunden Reiter die Nachricht übergeben, doch Indianer oder Räuber hatten die Station überfallen und ihn getötet. Aber sobald ich dort ankam, trabte mein treues Pferd aus einem nahen Wäldchen auf mich zu. Ich wechselte also auf meine „Ronda“ und beendete in weniger als 2 Tagen einen Ritt von fast 400 Meilen… so bekam ich meine Spitznamen „Twoday Montana“, der, seinen wir mal ehrlich, wesentlich besser als mein französisch-schottischer Name ist.
Das war vor ein paar Monaten, aber meine neue Bestimmung habe ich immer noch nicht gefunden. Nun bin ich gerade auf der letzten Etappe beim Überbringen einer wichtigen Nachricht an den Scheriff von Deadwood. Diese Nachricht ist ihm persönlich zu übergeben mit dem Codewort Matthäus 7, 15. Solch einen seltsamen Auftrag hatte ich noch nie, aber sie scheint enorm wichtig zu sein, musste ich sie doch in das Futter meiner Weste einnähen lassen. Das ist alles sehr seltsam, und dass ich damit beauftragt wurde liegt wahrscheinlich an meinem frisch erworbenen Ruhm. Aber genau so seltsam sind dieser Haufen Leute, die mit mir in diesem stinkenden Zug sitzen. Wie viel lieber säße ich jetzt doch im Sattel meines Pferdes, aber die Sioux lassen ja kaum jemanden durch ihre Nation reiten…
Matthäus 7, 15 “Nehmt euch in acht vor denen, die falsche Lehren verbreiten! Sie tarnen sich als sanfte Schafe, aber in Wirklichkeit sind sie reißende Wölfe.