Ernter des Leids 1 – Der verschwundene Priester

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Dienstag, der 3. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Im Morgengrauen treffen Melina, Wilbur, Krätze und ich uns draußen vor dem „Derben Vogt“. Im Auftrag von Bürgermeister Olmor Kemp sollen wir von Pfeilersruh nach Kreutzing wandern und im dortigen Dom um einen Priester zu bitten, der den Platz des ermordeten Vater Salomon einnehmen soll.
Im Grunde wollte ich nie wieder nach Kreutzing zurückkehren. Zu viele schmerzhafte Erinnerungen sind für mich mit meiner Heimatstadt verbunden. Doch für mein eigentliches Ziel, die Pilgerfahrt zu den mystischen Orten, an denen die Alten Götter umher streifen sollen, verfüge ich im Augenblick nicht über genügend Mittel. Daher sah ich mich gezwungen, zumindest für eine Weile in den Dienst des Dorfs Pfeilersruh zu treten und kann in der Folge Bürgermeister Kemp seinen Wunsch nicht ausschlagen. Da ich nicht weiß, was uns auf dem Weg nach Kreutzing und in der großen Stadt selbst erwarten wird, habe ich mir neben meinem Dolch noch einen äußerst schlagkräftigen Knüppel zugelegt. Zusammen mit den Übungen, die ich mit Harald Krey abgehalten habe, hoffe ich, meine Gefährten und mich selbst im Notfall besser verteidigen zu können.

So finden wir uns schließlich auf der Straße wieder, die nach Kreutzing führt. Das Wetter meint es gut mit uns und so passieren wir ohne Schwierigkeiten nach einer Stunde Fußweg das Gehöft von Olmor Kemp, das sich stolz aus einem Meer von goldgelben Getreidefeldern erhebt. Der weitere Weg schlängelt sich zwischen Hecken und Wiesen hindurch. Die Nördliche Weite ist hier nur dünn besiedelt; ein paar Bauernhütten und Einsiedlerklauseln, mehr gibt es hier nicht. Gegen Nachmittag erreichen wir ausgedehnte Apfelbaumplantagen und nähern uns damit dem Dorf Avelten.
Diese Ansiedlung wird von Menschen und Halbingen bewohnt. Hier wird der berühmte Ebbelwoi gekeltert. Wir steigen für die Nacht im Gasthaus „Zur Apfelblüte“ ab.
Krätze erkundigt sich bei dem Wirt der „Apfelblüte“ nach Edgar, dem Reliquiendieb, der in Pfeilersruh einen Fingerknochen der Heiligen Astrid stahl und von Krey hier in Avelten gestellt werden konnte. Es stellt sich heraus, dass Edgar ein unverbesserlicher Tunichtgut mit einem klaren Täterprofil zu sein scheint: Auch hier hat er lange Finger in der Dorfkirche gemacht und versuchte, die Kollekte zu stehlen. Dabei wurde Edgar jedoch erwischt und von den Dörflern festgesetzt, die ihn schließlich an Krey aushändigten. So konnte auch die Reliquie aus Pfeilersruh sichergestellt werden. Der Wirt berichtet noch, dass Edgar als Strafe zur Zwangsarbeit im Steinbruch verurteilt worden ist. Weitere Informationen hätte noch der Aveltener Wachmann Terence Hügel zu bieten, doch uns reicht das und wir begeben uns zur Nachtruhe.

Mittwoch, der 4. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Am zweiten Tag unserer Wanderung erreichen wir gegen drei Uhr nachmittags die Brücke, die über den Flusslauf führt, der das nördliche und südliche Düsterwasser miteinander verbindet. Damit wir nicht nach Einbruch der Nacht vor den verschlossenen Toren Kreutzing stehen, beschließen wir hier im Gasthaus abzusteigen. Melina macht sich Gedanken wegen ihrer knappen Reisekasse, doch Wilbur bietet ihr freundschaftlich seine finanzielle Unterstützung an.

Donnerstag, der 5. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Nachdem wir den Fluss überquert haben nähern wir uns zur Mittagsstunde den Mauern von Kreutzing. Der dröhnende Klang der schweren Kirchenglocken des Doms weht uns wie zur Begrüßung herüber, als sich die Stadt vor uns auf mehreren Hügeln gelegen ausbreitet. Kreutzing zählt 10.000 – 15.000 Seelen, die zwischen seinen bis zu sechs Meter hohen Wehrmauern, seinen großen Straßen und zahllosen Gassen, in schönen Häusern, bescheidenen Hütten und ärmlichen Baracken leben. Ein besonderes Mysterium stellen natürlich die sechs schlanken, hohen und schneeweißen „Feentürme“ dar, die älter als die Stadt sind und über keine sichtbaren Eingänge zu verfügen scheinen. Sie sollen wie die Wälder der Nördlichen Weite noch aus der Zeit der Elfen stammen.
Kreutzing ist eine große Stadt, zwar nicht mit Hexton vergleichbar, aber hier gibt es neben dem Fischerhafen, dem Tempelbezirk Seelenheil, dem Armenviertel Kummer, das von den giftigen Abwässern aus den Gerbereien und Färbereien – Tränenstrom genannt – durchflossen wird, dem Viertel der Kaufleute und dem Industrieviertel Schloten, dessen dicker Smog sich bei Ostwind über die ganze Stadt legt, auch eine Ingenieursakademie. Soweit ich weiß, werden hier erste Versuche mit Gaslaternen durchgeführt und an Entwürfen für Luftschiffe getüftelt. Alles Dinge, die Enna nie zu sehen bekommen wird…
Meine Gefährten beraten, wie wir nun vorgehen wollen und ich dränge meine schmerzlichen Erinnerungen zur Seite. Gemeinsam beschließen wir, zunächst unserem Auftrag nachzukommen und die Bitte von Bürgermeister Kemp im Dom des Neuen Gottes vorzutragen. Also machen wir uns auf den Weg in den Tempelbezirk Seelenheil.

Seelenheil wird durch Mauern von den übrigen Vierteln getrennt, so wie jedes Viertel umfriedet worden ist, um dem Gewusel von Menschen, Halblingen sowie vereinzelten Zwergen und Goblins eine gewisse Ordnung zu geben. Doch der Tempelbezirk ist für alle frei zugänglich. Hier gibt es auch nach wie vor Schreine der Alten Götter, wie den Gehörnten König oder der Sommerkönigin, an denen Enna und ich uns oft getroffen haben. Doch sie alle versinken fast im Schatten des Doms zu Kreuzigen und werden von seiner Größe überstrahlt. Obwohl gerade kein Gottesdienst gefeiert wird, steht einer der zwei Torflügel des Haupteingangs des Tempels offen und Gläubige gehen ein und aus.
Im Inneren des Doms steht ein großer Altar mit einer Statur der Heiligen Astrid vor einem runden Buntglasfenster, welches das Symbol des Neuen Gottes in strahlenden Farben wiedergibt: Eine gewaltige Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt und so einen Kreis bildet. Auch wenn ich nicht mehr dem Neuen Glauben anhänge, so macht diese Atmosphäre nach wie vor einen tiefen Eindruck auf mich, und meinen Gefährten scheint es nicht viel anders zu ergehen.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich Krätze etwas von uns entfernt, um sich in dem Gotteshaus umzusehen. Indes fallen Wilbur zwei Priester auf, die sich im Hauptschiff aufhalten, aber nicht im Gebet versunken zu sein scheinen. Wir erklären den Geistlichen unser Anliegen und sie empfehlen uns, mit Domkaplan Paulus zu sprechen. Einer der Priester macht sich sogleich auf den Weg um zu schauen, ob der Domkaplan Zeit für uns hat.
Just in diesem Moment wird Krätze von einem Mönch angesprochen, der den kleingewachsenen Goblin beim „Herumschnüffeln“ zwischen den Kirchenbänken erwischt hat. Während Krätze aus dem Gotteshaus heraus komplementiert wird, kehrt „unser“ Priester zurück und erklärt, dass wir nun bei Vater Paulus vorsprechen sollen.
Er führt uns aus dem Dom in ein Nebengebäude, in dem sich das Amtszimmer des Priesters befindet.
Vater Paulus stellt sich als schlanker, grauhaariger Mann Mitte Vierzig bis Anfang Fünfzig heraus, er trägt einen schwarzen Talar und einen Anhänger mit einem goldenen Schlangensymbol. Aus seinen hageren Gesichtszügen stechen seine fleischigen Lippen heraus, über die er sich während unseres Gespräches auffällig oft leckt. Der Domkaplan ist bestürzt, vom Tode des Priesters Salomon zu hören. Offensichtlich hat die Nachricht, die Bürgermeister Kemp mit einem Händler vor uns nach Kreutzing geschickt hat, den Dom nicht erreicht. Vater Paulus will von uns wissen, wie Vater Salomon sein Leben verloren hat und widerstrebend berichtet Wilbur von den Geschehnissen um Aldemars Nekromantieexperimente, dem geschändeten Friedhof und dem geflüchteten Wechselbalg Adira.
Vater Paulus ist schockiert von den Ereignissen und sieht die Schuld daran bei Adira, der nichtmenschlichen Frau, die den Sohn des Bürgermeisters zu diesen Taten verleitet haben muss. Er erwägt sogar kurz, die Inquisition nach Pfeilersruh zu entsenden, doch wir versichern, dass Adira auf unbekannte Art und ohne jede Spur zu hinterlassen entkommen ist. Wilbur ist entnervt von der Einstellung, die ganze Schuld bei Adira zu suchen, während der Sohn des Bürgermeisters mit Hausarrest davon kommt.
Schließlich empfiehlt uns Vater Paulus jedoch, mit Vater Gregorius zu sprechen. Der Priester betreibt die Armenspeisung in Kummer und könnte auch die Kirche ín Pfeilersruh leiten. Wir erhalten eine knappe Wegbeschreibung und verabschieden uns von Vater Paulus.

Draußen vor dem Dom treffen wir Krätze wieder, der etwas geknickt wirkt, weil er aus dem Gotteshaus heraus komplementiert worden ist. Wir berichten von unserem Besuch beim Domkaplan. Krätze fragt warum wir ihm fast die ganze Wahrheit über den Tod von Vater Salomon berichtet haben. Doch hätten wir uns eine Lüge ausgedacht, hätte ja der neue Priester von Pfeilersruh über kurz oder lang erfahren, wie sein Vorgänger wirklich zu Tode gekommen ist. Solche Dinge bleiben schließlich nie lange ein Geheimnis.
Krätze nickt und berichtet dann, er kenne Vater Gregorius über die Armenspeisung.
Der Priester sei ein authentischer Mann, für den der Dienst an den Armen und Ausgestoßenen wirklich eine Herzensangelegenheit ist.
Gemeinsam brechen wir in Richtung Kummer auf. Im Armenviertel angekommen, zieht Melina ihre Kapuze besonders tief ins Gesicht und gibt sich äußerst unauffällig. Anscheinen will sie keinerlei Aufmerksamkeit erregen. Die engen, schmutzigen Gassen sind gefüllt mit verlausten Menschen, Unrat, Straßenkötern und Goblins. Schließlich erreichen wir die Armenküche, die in einer kleinen, unscheinbaren Kapelle untergebracht ist. Ein paar Bettler warten dort auf ihre Mahlzeit und in einer der Bänke sitzt eine alte Frau und strickt. Von der Greisin erfahren wir zu unserer unangenehmen Überraschung, dass Vater Gregorius seit ein paar Tagen verschwunden ist. Das letzte Mal wurde er vor drei Tagen bei der Armenspeisung gesehen. Die Gemeinde habe eine Anzeige bei Alyssa von den Braunröcken aufgegeben, doch die Alte meint, dass sich von den Stadtgardisten oder den Priestern niemand ernsthaft für das Schicksal des mildtätigen Geistlichen interessieren wird …

Gregprius' Zeichnung

Zeichnung im Schreibtisch von Vater Gregorius

Wir schauen uns die Privaträume des Priesters um, die sich hinter der Armenküche befinden. Der Raum zur Linken ist eine einfache, aufgeräumte Unterkunft. Der Raum zur Rechten ist das Zimmer von Vater Gregorius: eine ähnlich schmucklose Einrichtung, ergänzt um einen Schreibtisch und ein Symbol des Neuen Gottes, das an der Wand hängt. Das schmale Bett ist ordentlich gemacht. In der Truhe am Bett befinden sich Talare und Unterkleidung. Auf dem Schreibtisch befinden sich einige unbeschriftete Papiere, ein Beutel mit feinem Sand zum Ablöschen der Tinte, ein Zinnfläschchen mit einem Heiltrank sowie zwei Spruchrollen. Eine enthält einen hocharchaischen Text; eine theurgische Formel für den Zauber „Denunzieren“. Auf der zweiten Rolle wurde ein beunruhigendes Symbol aufgemalt: ein Totenschädel mit schlitzartigen, raubtierhaften Augenhöhlen, Reißzähnen im Oberkiefer, gewundenen Widderhörnern und zwei kleineren, nach oben ragenden Hörnchen, in blutroter Tinte. Das Symbols ist uns völlig unbekannt, wo hat Gregorius es nur abgemalt, was soll es bedeuten und wo steckt der Priester nur?
Wilbur findet ein Paar Hausschuhe, jedoch weder eine Jacke noch Straßenschuhe. Anscheinend ist Vater Gregorius von der Kirche aus aufgebrochen, dann aber nicht wieder hierher zurückgekehrt. Eine Befragung der Bettler ergibt, dass Vater Gregorius angeblich zuletzt im Norden von Kummer, in der Hafengegend gesehen worden ist. Einer der Bettler gibt uns noch den Rat mit einem Mann namens Wotan, genannt „die Silberzunge“, zu sprechen. Er habe Einfluss im Viertel und wisse immer, was in Kummer vor sich geht.

Bei dem Namen scheint sich Melina noch ein Stück tiefer in den Schatten ihrer Kapuze zurückzuziehen. Der gewaltsame Tod von Vater Solomon hat uns zum rätselhaften Verschwinden von Vater Gregorius geführt. Es scheint keine gute Zeit für Diener des Neuen Gottes zu sein…

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