Geboren um zu sterben 3 – Ein unglückseliger Morgen

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Donnerstag 26.5.888 n.G.
Amir und ich trafen am Ende der durchwachten Nacht im Speisesaal des Doms auf Velten und Severin. Wir berichteten, wie wir das Uhrwerk zu einem Schuppen neben einem mit Brettern vernagelten, scheinbar verlassenen Gebäude gegenüber dem Murr-Haus verfolgt hatten, wo es den Rest der Nacht verbracht hatte. Es hatte surrende Geräusche von sich gegeben, auf die wir uns keinen Reim hatten machen können.

Während wir warteten, dass Frühstück gemacht wurde, berichteten die beiden uns, was ihnen diese Nacht widerfahren war (s. Teil 2). Wir überlegten, was wir machen konnten, um Kandess Dreen aufzuspüren. Amir betonte, wie sehr er Philippus Phrent misstraute. Severin vermutete aufgrund der ähnlichen Kleidung, dass sie auf der Insel Mitglieder der Schweren Jungs aus Kummer gesehen hatten. Amir wollte zurück zum Uhrwerk gehen, weil er hoffte dort die Tochter vorzufinden. Velten und er gerieten sich abermals in die Haare, ob man sich vorsichtig umschauen oder schnell zuschlagen sollte. Ich stimmte Amir zu, denn uns lief die Zeit davon.

Als wir auf die noch im Dunkeln liegende Straße kamen, an der der Schuppen des Uhrwerks lag, sahen wir linker Hand einige Schemen im Licht von Laternen. Severin schlich sich dorthin, während wir nach rechts zum Schuppen gingen, aus dem keine Geräusche mehr drangen. Ich ging um das alleinstehende Haus – alle Fenster und Türen waren mit Brettern verschlossen – und der zögerliche Velten stand Schmiere.

Severin sah Alissa, die neben einer abgedeckten Leiche mit ihrem Korporal sprach. Sie waren mit vier weitere Braunröcken am Tatort. Einige Anwohner, die bereits wach waren, guckten verstohlen aus ihren Fenstern. Alissa erhielt den Befehl, umgehend im Hauptquartier Bericht zu erstatten, weil es sich bei der Leiche um eine ranghohe Persönlichkeit zu handeln schien. War Kandess tot?! Ein anderer Gardist sollte einen Totengräber oder Leute einer gewissen Sekte herbeischaffen.

Alissa kam zuerst am Schuppen vorbei, aber der Gardist folgt ihr in nur geringem Abstand, so dass wir uns verborgen hielten. Dann kam Severin, der uns Zeichen gab, dass wir warten sollten, während er den beiden folgte. Ich brach mit Amir hinten in das Haus ein. Im Schein meiner Laterne blickten wir uns im Erdgeschoss um. Zur Straße hin gab es einen Raum, in dem seit längerem niemand gewohnt hatte, der aber vor kurzem als Treffpunkt genutzt worden war. Es gab keinen Keller, der Durchgang zum Schuppen war abgeschlossen, und oben traf Amir nur auf Ratten, die das baufällige Obergeschoss sonst für sich alleine hatten. Die Vernagelung der Vordertür war eine Atrappe und von innen verriegelt. Wir schlossen die Hintertür wieder und gingen vorne hinaus, um in die Werkstatt zu gehen.

Wenige Minuten zuvor hatte Severin Alissa auf dem Kornweg eingeholt, nachdem der Gardist in eine andere Straße gegangen war. Er versuchte aus ihr herauszubekommen, ob die Leiche Kandess war, aber Alissa schwieg eisern. Stattdessen fragte sie ihn aus, denn sein Interesse hatte sie misstrauisch gemacht. Er brach sein Wort gegenüber Meister Dreen und fing an, wie ein Wasserfall zu reden. Als Alissa mit einigen Rückfragen Ordnung in seinen Redeschwall gebracht hatte, bestand sie darauf, dass er sie auf die Wache begleitete. Das hatte er sich nicht so vorgestellt, aber widerwillig gab er ihr nach.

Wir gingen in den Schuppen, eine kleine Schreinerwerkstatt, die mit etwas Tand wohnlich gemacht worden war. Das Uhrwerk lag auf seiner Bettstatt und … schlief? Es gab ein ganz leises Surren von sich, und die Augen waren aus. Der mechanische Körper war in einem miserablen Zustand und stark verschlissen. Es hatte sich am ganzen Körper mit einer Paste eingeschmiert, die sogar angenehm roch. Amir hielt es für eine gute Idee, dem Uhrwerk den Schlüssel wegzunehmen. Als wir uns umguckten, erwachte es, und wir rannten wieder raus. Dann fassten wir uns ein Herz, und Amir klopfte nochmal an.
“Was willst Du?!”, blaffte es ihn mit tiefer Stimme an, so dass wir zurückwichen, und es die Schuppentür wieder schloss. Dann kam es heraus und rief drohend “Wo ist mein Schlüssel?”.

Amir zog Schwert und Schild, das Uhrwerk gab einen Schuss aus einem Gewehr in seinem Arm ab, aber verfehlte ihn. Er blendete das Wesen mit einem Zauber, so dass es wütend auf der Straße herumtorkelte und wild um sich schlug. Amir gab mir den Schlüssel. Ich konnte es beruhigen und ihn zurückgeben, aber das Uhrwerk sah keinen Grund sich erkenntlich zu zeigen, und uns über seine Rolle im Fall Kandess Dreen aufzuklären.

Vor Ort musste Severin alle Waffen ablegen und wurde zusätzlich noch durchsucht, bevor Alissa ihn in einen Verhörraum führte und im Beisein des wachhabenden Befehlshaber gründlich befragte. Er begann bei der Lösegeldübergabe und erzählte fast alles, was diese Nacht geschehen war. Er ließ nur aus, dass Kandess Dreen einen Geliebten hatte, und dass er unter den gut gekleideten Angreifern die Stimme von Philippus Phrent erkannt hatte. Der Offizier war vorerst zufriedengestellt und ging mit Alissa hinaus.

Derweil nahmen die Geschehnisse bei uns einen schlechten Verlauf. Das Uhrwerk beschimpfte uns als Diebe, und Amir drohte damit, die Braunröcke zu holen, als es wieder im seiner Werkstatt verschwinden wollte. Der Tumult war nicht unbemerkt geblieben, und zwei Gardisten kamen die Straße aus Richtung Hafen hinauf zu uns. Das Uhrwerk floh Richtung Kornweg, Amir rannte waffeschwingend hinterher, und die Gardisten setzen zur Verfolgung an. Velten und ich blieben ungläubig zurück.

“Das ist ein Verbrecher!”, schrie Amir.
“Stehen bleiben!”, befahlen die Braunröcke. Amir holte das Uhrwerk ein, und hielt es mit einem kräftigen Schwerthieb in den Rücken auf. Der Treffer hatte es von der Hüft abwärts funktionsunfähig gemacht, und es fiel krachend auf die Straße.
“Waffe fallen lassen!”, schrie der eine Gardist, während der andere mit seiner Alarmpfeife Verstärkung anforderte. In der Gewissheit richtig gehandelt zu haben, steckte Amir sein Schwert aber wieder in die Scheide. Die Braunröcke sprangen vor und prügelten mit ihren Schlagstöcken auf ihn ein, so dass Amir sich mit seinem Schild verteidigte. Derweil zog sich das schwer beschädigte Uhrwerk mit seinen Armen über die Straße.
“Auf den Boden!”, wurde Amir angewiesen, “Hinlegen!”.
“Haltet ein, oder Meister Dreen wird Euch zur Verantwortung ziehen!”, entgegnete er in der Hoffung, dass seine Verbindungen sie beeindrucken würden. Als sie aber nicht vom ihm abließen, floh er.

Eine Kutsche kam auf dem Kornweg eilig heran. Der vielleicht noch müde Kutscher bemerkte den Tumult zu spät, fuhr über den Kopf des Uhrwerks und zertrümmerte diesen. Das gab Amir einen kleinen Vorsprung, denn die beiden Gardisten wussten einen Moment lang nicht, was sie zuerst tun sollten. Eine große, bepelzte Hand lugte aus einem Hauseingang hervor und winkte Amir heran. Amir nahm das Angebot, sich zu verstecken, an. Ein Ork zog die Tür hinter ihm zu, und die Gardisten rannten vorbei.

In dem dunklen Raum griff der Ork nach Amirs Schwert, doch Amir hielt seinen Arm fest.
“Ich will Dir helfen, aber vorher musst Du Deine Waffe ablegen.”, sagte der Ork mit rauher Stimme. Amir fasste mit einer Hand nach seinem heiligem Symbol, um etwas Zuversicht zu erhalten, und liess den Ork gewähren. Dieser zog die Waffe ganz heraus, warf sie beiseite und schob Amir sanft in den nächsten Raum. Er hob eine Falltür an, die unter einem Teppich verborgen war.
“Ich bin Würger. Willkommen im Widerstand.”, sagte er zu Amir, bevor sie in alte Gewölbe hinabstiegen.

Velten wollte nach Amir schauen, und ich folgte ihm. Wir mischten uns unter andere Schaulustige. Keine Spur von Amir, aber ein Braunrock sprach von einem flüchtigen Attentäter, womit er offensichtlich nicht den betreten dreinschauenden Kutscher meinte. Konsterniert folgte ich Velten, der mit mir zum Dom ging. Wir warteten auf dem Vorplatz, wo alles wie immer war. Ich fragte mich, wieso alles schief gelaufen war.

Kurz nach sieben Uhr erschien Alissa, und Velten rief sie. In einer Seitenstraße bestätigten wir ihr die Geschichte, die Severin erzählt hatte. Wir erwähnten auch den Liebhaber von Kandess, dass Philippus Phrent auf der Insel gewesen war, und wie wir von Meister Dreen beauftragt worden waren. Nachdem Velten ihr den Geliebten beschrieben hatte, bestätigte sie, dass das der Tote auf der Straße in Kummer war – Wotan, die Silberzunge. Er war der Anführer der Schweren Jungs gewesen, und jemand hatte ihm das Genick gebrochen. Wer hatte das getan und womöglich Kandess in seine Gewalt gebracht? Und damit begleiteten auch wir Alissa zur Stadtwache.

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