Morarat Apora Darandor, gen. Mor Dämmerschlag
Am Tresen der Taverne steht ein hünenhafter Varg, stiert leicht angetrunken in seinen Humpen und erzählt dem nur mit einem Ohr zuhörenden Wirt seine Geschichte…
„Nein, es war nicht das miese Wetter in Baarasz, das mich dazu bewog, meine Heimat zu verlassen. Es war auch keine Not, es ging mir gut. Mein Vater, Vangara beschütze seine Seele, hatte uns genug hinterlassen, um über die Runden zu kommen. Aber das war es ja gerade. Wäre er nicht gestorben, wäre ich jetzt wahrscheinlich auf einer Burg des Wächterbundes stationiert. Hat halt nicht sein sollen, und jetzt bin ich sogar froh darüber. Nein, nicht dass er gestorben ist, sondern der Dienst. Ist sicher auch besser so. Ich kann nicht so gut mit Autror…, äh, Autrito…, also Vorgesetzten. Konnte schon meine Mutter nicht, nicht nachdem was Vater geschehen ist… War keine schöne Sache.
Er war wie meine Mutter beim Wächterbund. Haben patu…, patro…, also sie waren auf Streife. Aufpassen, das nix aus den Landen kommt. Aber es kam was… nachts. Mutter sagte, es war schwarz wie die sternlose Nacht. Wie so ein Laken, oder so. Hat sich über Jor, also Vater, gestülpt, komplett. Mutter und die anderen haben es zwar töten können, aber für Vater kam jede Hilfe zu spät. Hat ihm das Fell und die Haut weggefressen… und dass die anderen drauf eingeschlagen haben, noch während es auf ihm war, hat sicherlich auch nicht geholfen. Mutter konnte das nicht vergessen. Auch nicht vergeben…“
Traurig schüttelt der Varg den Kopf, wobei der Pferdeschwanz, zu dem sein Fell am Hinterkopf grob gebunden ist, hin und her baumelt. Nach einem tiefen Schluck fährt er fort, obwohl der Wirt am anderen Ende der Theke arbeitet.
„Naja, da haben Sie ihr gesagt, sie könne nicht mehr auf Pratul…, Streife. Aber was anderes hatte sie ja nicht gelernt. Da hat sie mich genommen, ich war noch ganz klein, hatte gerade mal mein viertes Sommerfell, und ist mit mir von da weg. Ein Onkel von mir hatte eine Tischlerei in Baarasz. Das liegt am Draugis, hatte ich das schon gesagt? Egal, also haben wir da gewohnt. Es war gar nicht so schlecht, aber Mutter war oft traurig. Wenn sie nicht traurig war, war sie stinkwütend.
Bis vor einem Sommer hab ich das nicht verstanden, aber jetzt schon. Ist halt nicht schön, wenn man seine Arbeit, für die man lebt, nicht mehr machen kann. Aber deshalb hat sie mich ja auch so hart rangenommen. So beim Üben und so. Hat mir halt alles beigebracht, was sie so konnte. Hat immer wieder gesagt, ich würde der beste Wächter werden, den man sich vorstellen kann. Und daß mir nicht so was passiert wie Vater.
Und ich hab mich auch ganz stark angestrengt. Hab trainiert von morgens bis abends. Onkel hat immer nur gelacht, hat gesagt, ich sei ein echter Donnerschlag, nein, Dämmerschlag. Weil ich doch auch in der Dämmerung noch geübt hab. Hab ich mich eigentlich schon vorgestellt? Du kannst mich Mor Dämmerschlag nennen.“
Der inzwischen wiedergekehrte Wirt schenkt dem Varg nach und nickt beiläufig.
„Ab und zu hat Mutter Händler begleitet und beschützt, dann hab ich allein weiter geübt. Ich hab wenig mit den anderen Kindern gespielt. Irgendwie mochten die mich nicht so recht, aber das war egal. Ich fand sie auch langweilig.
Aber dann wurde Mutter krank, und keiner konnte ihr noch helfen. Sie wurde immer schwächer und immer zorniger. So ist das wohl, irgendwann ist jeder dran. An dem Tag, als sie starb, sollte ich ihr versprechen, zum Wächterbund zu gehen. Aber ich wollte das eigentlich gar nicht.
Onkel hat gesagt, ich solle zwar nicht lügen, aber das wäre eine Notlüge und es wäre für ihr Seelenheil. Also hab ich ihr gesagt, ich würde hingehen. Das war nicht richtig, aber es ging nicht anders. Und als sie gestorben war, bin ich einfach aufgebrochen. Nur weg. Konnte einfach nicht mehr dort bleiben…“
Eine Weile starrt er in den Humpen, bis er auf einmal blitzschnell seinen Anderthalbhänder vom Rücken reißt, und ihn dem erschrockenen Wirt vor den Bauch hält. Die anderen Gäste versuchen, panisch Platz zwischen sich und die Waffe zu bringen und der Barde zerreißt vor Schreck eine Seite seines Instruments.
„Schau mal, das hat mal meinem Vater gehört, dann meiner Mutter und jetzt mir. Ist uralt, so wie die Rüstung hier, alles Familienerbstücke…“ fährt der Varg fort, ohne die Angst und aufkommende Wut des Wirtes zu bemerken. Dieser raunt, nachdem er selbst einen tiefen Schluck aus einem Krug zu sich genommen hat, seinem angetrunkenen Kunden zu: „Jungchen, das kannst du doch hier nicht machen. Weißt du denn nicht, dass man in der Stadt keine Waffen ziehen darf. Steck das mal schnell weg, sonst lass ich dich von den Wachen einsperren.“ Laut ruft er den anderen Gästen zu, alles sei nur ein Missverständnis und alles wäre gut.
Nachdem der Varg seine Waffe ebenso schnell wieder auf seinem breiten Rücken verstaut hat, wie er sie gezogen hatte, entschuldigt er sich beim Wirt.
„Was soll ich denn jetzt bloß machen? Dienen will ich nicht, aber ich hab doch auch kein Handwerk erlernt…“
Aber der Wirt redet ihm gut zu: „Nun trink erst mal aus und bezahl. Und dann suchst du dir, wie deine Mutter, jemanden, den du beschützen kannst. Das wird gut bezahlt, manchmal…“