Mit der gebotenen Vorsicht betraten wir die Höhle im Harpyenhügel. Ansgar ließen wir als Wache bei den Tieren zurück. Nach etwa zwanzig Metern stießen wir auf blanken Fels. Hier gelang es Meister Retus, mit Hilfe des Pergaments, dass uns Meister Borga mitgegeben hatte, die Illusion zu brechen und den Durchgang zu öffnen. Dahinter war ein kleiner Raum, in dem sich die gesuchte Schatulle, überzogen mit elfischen Schriftzeichen, befand. Ohne sie zu öffnen, nahm Meister Retus das Kästchen an sich.
Ein Stollen führte von dem Raum ab. Nach kurzer Diskussion und auf Drängen von Ragnar und Meister Fesul, nahmen wir den Tunnel. Meister Fesul spürte eine arkane Macht irgendwo tief unter uns. Uns Anderen war eher unwohl.
Nach kurzer Zeit erreichten wir eine Höhle mit mehreren Abgängen. Meister Fesul ließ sich von seinen Gefühlen leiten. So stießen wir nach einer Weile auf eine Wendeltreppe, die nach unten führte. Am Fuß der Treppe war ein runder Raum, dessen Mittelpunkt der Abgang bildete. Eine Tür aus altem, verwittertem Holz befand sich direkt gegenüber dem Treppenabsatz. Darüber stand in Kusliker Zeichen geschrieben: »Den Dienern Borbarads«. Als einer der Magier sich der Tür näherte, veränderte sich das Blatt. Ein Relief einer Schlachtszene entstand auf der Tür. Im Mittelpunkt des Bildes war ein großgewachsener Magus. Laut Beschriftung war diese Darstellung vielleicht fünfhundert Jahre alt.
Trotz aller Warnungen öffnete Meister Fesul die Tür und trat, gefolgt von Gargrimmsch, ein. Plötzlich bewegte sich in dem Bogengang hinter dem Türsturz etwas knirschend, und zwei steinerne Gargoyls griffen den Zwergen an. Auch Meister Retus betrat nun den Gang. Erstaunlich, war, dass die beiden Magier von den Wasserspeiern völlig ignoriert wurden. Als Gargrimmsch sich zu uns zurück zog, brachen die Kreaturen ihren Angriff ab.
Auch das war noch nicht Warnung genug. Beide Magier begannen mit der Erkundung der Räume hinter dem Durchgang. Eine geschlagene Stunde dauerte das. Uns blieb nichts anderes übrig, als zu warten, da Meister Retus ja das Kästchen bei sich hatte.
Als die Zauberer zurück kehrten, hatte Meister Fesul ein großes Schwert, einen Zweihänder, bei sich. Er sprach einen Zauber, und plötzlich strahlte die Waffe eine unheilige Aura ab. Ich sprach den Schwarzmagier natürlich darauf an, und er sagte zunächst, dass es sich um eine verfluchte Waffe handle und er beabsichtige, diese in einem nahegelegenen Tempel zu zerstören. Mir fiel allerdings auf, dass eine ebenso unheilige Präsenz von dem Zauberstab Fesuls ausging. Irgendetwas stimmte mit dem Ding schon seit geraumer Zeit nicht, jetzt war es aber augenfällig. Daraufhin räumte Meister Fesul freimütig und mit einem süffisanten Grinsen ein, dass er gelogen habe. Eigentlich habe er auf beiden Gegenständen einen Zauber gelegt, damit sie sich niemand widerrechtlich aneignete.
Endlich konnte ich die anderen davon überzeugen, mit mir umzukehren und in Lowangen von unserem Fund zu berichten. Ragnar war zwar weiter gierig getrieben und wollte den Rest der Anlage untersuchen, kam aber zähneknirschend mit uns mit. Meister Fesul traute ich seit diesem Tag nicht mehr, was ich ihm auch unverblümt mitteilte.
Nach zwei Tagen erreichten wir Lowangen. Meister Retus hatte hier seine Ausbildung absolviert, kannte die Stadt und hatte gute Kontakte zur Magierakademie »der Verformungen«. Ihnen teilte er unseren Fund mit, während wir uns zunächst in der Trinkhalle »Hammer und Amboss«, später in einem Hotel gütlich taten.
Am nächsten Morgen, es war der 28. Tsa 1031 BF, verließen wir die Stadt. Die Magier der Akademie wollten sich die Stollen anschauen. Meister Fesul blieb bei ihnen zurück, um an der Expedition teil zu nehmen.
Vier Tage später, also am 2. Phex, holte uns der Schwarzmagier mit einem Hundeschlitten ein und begleitete uns auf der weiteren Reise nach Gareth. Man hatte unter der Erde einige Dinge von Interesse gefunden, und Meister Fesul berichtete Meister Retus davon. Ich hörte allerdings nicht sehr aufmerksam zu, da dem Wort des Schwarzmagiers eh kein Gewicht mehr bei zu messen war.
Der Rest der Reise verlief ereignislos, so dass wir am 21. Peraine 1031 BF Gareth erreichten. Ich war schon einige Male der Reichsstraße gefolgt und hatte im »Löchrige Sohle« am Stadtrand übernächtigt. Hier kehrten wir ein und ließen uns dann von Greifwin, der einige Jahre in der Reichshauptstadt gelebt hatte, zum vereinbarten Treffpunkt mit Meister Borga führen. Der alte Magus empfing uns und nahm die Schatulle an sich. Sie schien das gewünschte Gut zu enthalten. Für die Bezahlung und das weitere Vorgehen bat er uns allerdings am nächsten Tag zu sich. Erwähnenswert war noch, dass sich vor der Stadt große Heerteile sammelten. Man sah die Banner aller Provinzen, dazu das horasische Wappen, einige Insignien der Zwerge und auch die Fahnen bekannter Söldnereinheiten. Mehrere Tausend Soldaten lagerten vor Gareth und warteten auf den Abmarsch nach Zorgan, um Oron zu befreien.
Ich verbrachte die Nacht rahjagefällig in den Armen einer schönen Frau – die Großstadt hatte auch ihre Vorzüge.
Am nächsten Mittag trafen wir wieder mit Meister Borga zusammen. Er bot uns wegen der langen Reise an, anstatt der vereinbarten fünfzig Dukaten, einen Dukaten pro Tag zu zahlen. Natürlich schlugen wir ein. Außerdem verwies er uns, wie versprochen, an Lehrmeister, die unsere Fähigkeiten für den bevorstehenden Kampf schulten. Alle von uns beabsichtigten, für die Freiheit der Menschen in Aranien in die Schlacht zu ziehen. Nur Meister Fesul trennte sich von uns und reiste ab. Er wollte wohl in seine Heimatstadt Fasar. Ich konnte nicht behaupten, dass ich darüber sonderlich traurig war.