Reise in die Schattenwelt

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Die Entscheidung stand: die Reise in die Schattenwelt schien der einzige Ausweg, den Draugr wirklich loszuwerden. Gydha bereitete alles Wichtige in ihrer Hütte vor. Die lag etwa eine halbe Stunde außerhalb Gunvors auf einer Lichtung, war recht klein, vielleicht drei Meter im Durchmesser und ziemlich schmucklos. Der Gehilfe von Gydha, Jaren, war ebenfalls anwesend. Während Gydha in der Hütte verschwand, machte Jaren davor mit etwas, das wie Staub oder Asche aussah, einen Kreis auf den Boden. Der hatte gute fünf Meter Durchmesser. Hier sollte das Ritual stattfinden.

Gydha hatte den Gefährten noch eine Entscheidung abverlangt. Sie rechnete damit, dass der Draugr sich auch in dieser Welt manifestieren wird und der musste bekämpft werden. Da diejenigen, die in die Schattenwelt reisen, aber in Trance waren, sollten nicht alle reisen. Sten und Tjalf erklärten sich schnell bereit, hier zu bleiben. Riskir und Haldor sollten reisen.

Gydha kam aus ihrer Hütte heraus und trug eine Schüssel. Daraus stieg ein sehr strenger und intensiver Geruch aus Kräutern und anderen Dingen heraus. Sie gab jedem einen Becher zu trinken und ermahnte Sten und Tjalf, den Kreis nicht zu verlassen und auch darauf zu achten, dass dieser nicht zerstört wurde. Riskir und Haldor setzten sich. Das Gebräu aus dem Becher schmeckte fürchterlich. Gydha kniete sich außerhalb des Kreises hin und begann, einen leisen Gesang anzustimmen und in Trance zu verfallen. Die vier merkten bald, dass sie anfingen zu halluzinieren und eine geistige Verbindung zu den anderen zu spüren. Riskir und Haldor fiel ein Nebel auf, der auf die Lichtung zog und ein blaues Augenpaar im Gebüsch. Dann dämmerten sie weg.

Riskir und Haldor wachten in einer Höhle auf, es war dunkel, an der Wand waren profane Malereien. Aus einem Gang fiel das Licht einer Fackel. Riskir stellte fest, dass die Malereien wahrscheinlich mit Blut gemacht worden waren. Die Umgebung war erstaunlich real, normale Farben, nichts schattenartiges, wie man es vielleicht hätte vermuten können. Trotzdem war hier etwas anders: es fühlte sich an, als wären die Götter hier weit weg, viel weiter als in Midgard.

Die beiden folgten dem Gang, der von zwei Fackeln diffus beleuchtet war. Sie hörten irgendwelche Geräusche, wie ein fernes Brummen. Um die nächste Biegung tat sich eine weitere Höhle auf. Diese war riesig und mittendrin stand ein gewaltiger, versteinerter Baum. Im Halbkreis um den Baum, den beiden den Rücken zudrehend, knieten ein Dutzend Gestalten mit Fellumhängen und Kapuzen. Von denen ging dieses brummende Geräusch aus. Des Weiteren gingen links und rechts noch ein Gang ab; Riskir und Haldor standen erhöht auf einer kleinen Plattform, von der zwei Treppen Richtung der Ausgänge führten. Die beiden zögerten kurz und entschieden sich dann, den linken Gang zu nehmen. Die brummenden Gestalten regten sich nicht weiter, aber eine drehte kurz den Kopf in ihre Richtung. Es war nur ein bleicher Schädel mit blau leuchtenden Augen. Hinter den beiden fing der Baum an zu brennen, es züngelten blauen Flammen von unten nach oben darum. Irgendetwas manifestierte sich. Unbehelligt betraten sie den Gang.

Alle vier erlebten etwas sehr Merkwürdiges. Mehrmals hatten sie das Gefühl, durch die Augen eines der anderen drei zu sehen. Nach einiger Zeit merkten sie, dass sie das auch bewusst steuern konnten.

Derweil sahen Sten und Tjalf am Rande der Lichtung ein kleines Wolfsrudel auftauchen. Es war ein halbes Dutzend Tiere; den Alphawolf hatte blau leuchtende Augen. Und sie bemerkten, dass das Pulver, aus dem der Kreis bestand, anfing, blau zu leuchten.

Riskir und Haldor folgen unterdessen dem Gang. Der war sehr lang, es ging rauf und runter, aber irgendwie verschwammen hier die Dimensionen. Gydha hatte so etwas angedeutet: dass die Zeit in der Schattenwelt anders verging. Nach längerer Wanderung kamen die beiden an eine Brücke. Was dahinter stand, ließ die beiden erzittern. Die beiden erkannten es sofort aus den alten Sagen und Legenden. Es war Garm, der Hund der Totengöttin Hel, der den Eingang zu Helheim bewachte. Ein unglaublich riesiger, schwarzer Hund mit gewaltigen Zähnen, von denen Speichel tropfte. Er knurrte furchterregend.

Gydha hatte die beiden gewarnt, dass der Draugr versuchen würde, ihre Seelen nach Helheim zu ziehen. Wenn das hier ein Versuch war, war es kein guter. Aus welchem Grund sollte man Versuchen, an diesem monströsen Vieh vorbei zu kommen? Also drehten die beiden um.

Die Wölfe auf Gydhas Lichtung hatten sich gesammelt und griffen nun an. Einer sprang Richtung Gydha, die immer noch in Trance war, der Rest bis auf den Alpha stürzte sich auf Sten und Tjalf. Die beiden konnten die Wölfe recht problemlos besiegen, wobei sie tunlichst darauf achteten, den Kreis nicht zu verlassen. Als sie zu Gydha sahen, lag der Wolf neben ihr, sie war immer noch in Trance. Jaren tauchte aus der Hütte auf, nahm sich einen Knüppel und rannte in Richtung des Wolfsalpha. In diesem Moment züngelten blaue Flammen aus den Resten eines Lagerfeuers neben der Hütte. Der Draugr manifestierte sich.

Riskir und Haldor waren wieder in der großen Höhle mit dem Baum angekommen. Die Gestalten hatten sich den beiden zugewandt und starrten sie aus ihren skelettierten Gesichtern an. Hinter ihnen stand vor dem Baum der Draugr. Die Gestalten traten zu Seite und bildeten eine Gasse, Riskir und Haldor traten auf den Draugr zu. Riskir sprach ihn an und sagte ihm, dass sie Frieden mit ihm wollten. Die Antwort hörten sie nur in ihrem Kopf: Rache. Gnor würde ihm reichen, aber mangels Verfügbarkeit reichte auch eine Seele von uns. Der andere dürfte gehen. Die beiden nahmen aber auch die Stimmen der drei Brüder wahr. Denen ging es um Gerechtigkeit, damit ihre Seelen Frieden finden konnten. Riskir und Haldor lehnten das Angebot des Draugr freundlich aber bestimmt ab, woraufhin dieser ein Geschäft vorschlug: wenn die beiden ihn besiegen konnten, konnten sie beide gehen. Ohne eine Antwort abzuwarten griff er an.

Sten und Tjalf konnten den Kreis ja nicht verlassen und mussten daher mit ansehen, wie der Draugr erst Jaren einen schweren Hieb versetzte und dann Gydha gegen einen Baum schleuderte. Dann betrat er den Kreis und ein harter Kampf entbrannte.

Das Pulver des Kreises brannte inzwischen blau.

Riskir und Haldor rangen ebenfalls mit dem Draugr, merkten aber schnell, dass dieser deutlich überlegen war. Dank ihrer Heilzauber konnten sie den massiven Schlägen etwas entgegensetzen. Denn sie brauchten Zeit. Die beiden hatten bemerkt, dass sich die drei Brüder widersetzen. Ihnen schien klar zu sein, dass nur die vier Gefährten ihnen ihre Gerechtigkeit bringen konnten. Würde der Draugr die vier Gefährten töten, wären ihre Seelen wohl verloren.

Also versuchten Riskir und Haldor, die drei Brüder zu überzeugen, sich vom Draugr zu lösen. Das gelang tatsächlich nach und nach. Doch mussten die beiden einen Eid leisten: Gnor seiner gerechten Strafe zuführen war das eine. Den drei Brüdern war klar, dass Gnor allein zu seinen Taten nicht fähig gewesen war. Jemand anderes, der Runenmeister, von dessen Besuch bei Gnor wir wussten. Diesen zu finden und zu bestrafen war unsere Aufgabe.

Als sich der dritte Bruder vom Draugr gelöst hatte, ging dieser in blauen Flammen auf, genau wie die skelettierten Gestalten.

Nicht nur bei Riskir und Haldor, auch bei Sten und Tjalf verschwand der Draugr. Alle vier hatten diese Begegnung, wenn auch schwer angeschlagen, überlebt.

Riskir sah vor seinem geistigen Auge die Gesichter der drei Brüder, die ihn flehentlich ansahen. Dann sah er, wie Gram zur Seite trat und dem Draugr den Weg nach Helheim freigab.

Riskir und Haldor erwachten wieder in ihren Körpern. Der Kreis war verbrannt. Jaren und Gydha lebten glücklicherweise noch.

Peter

Über Peter

Spielt mit Unterbrechungen seit 35 Jahren Pen & Paper. Angefangen mit DSA, mit AD&D weitergemacht, einiges ausprobiert und momentan bei DER, WHF und D&D5 gelandet.

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