Die Wildsau war erlegt und würde für die nächsten Tage ganz sicher die Nahrungsvorräte bereichern. Dafür ließen die vier Männer sie ausbluten und zerlegten sie in handliche Stücke, die eingepackt wurden. Durch die kalten Temperaturen würde sich das Fleisch auch gut halten. Da der Tag schon weit fortgeritten war, machten die vier unweit der Kampfstelle ein Nachtlager.
Tjalf übernahm die erste Wache, bei der er Wolfsgeheul aus Süden vernahm, glücklicherweise weit entfernt. Haldor übernahm die zweite Wache, wo außer wunderschönen Polarlichtern zunächst nicht viel geschah. Plötzlich fiel sein Blick aber auf einen riesenhaften schwarzen Wolf, der vielleicht 20 Meter entfernt vom Lager stand und einfach nur auf selbiges starrte. Haldor sprang schnell auf und weckte die anderen. Alle griffen ihre Waffen, der Wolf aber stand nur da und starrte. Unschlüssig, was sie tun sollten, standen die vier mit gezogenen Waffen und starrten zurück. Nach einigen Minuten wandte sich der Wolf ab und ging zurück in die dunkle Nacht. Was hatte das zu bedeuten?
Da sonst nichts passierte, legten sich die Gefährten wieder zur Ruhe. Haldors Wache verging dann ohne weitere Merkwürdigkeiten. Als er zu Riskir ging, um ihn zu wecken, sah es so aus, als wenn dieser gerade einen merkwürdigen Traum hatte und gleichzeitig fiel ein paar Meter entfernt ein Rabe tot vom Baum. Riskir erwachte und sah etwas mitgenommen aus. Die beiden sahen sich den Raben genauer an, es war aber nichts auffällig, so dass Riskir ihn mitnahm und am Feuer den Raben vorbereitete, um aus den Eingeweiden zu lesen. Haldor sah sich das interessiert an. Riskir beugte sich über die Überreste des Raben und begab sich in einen tranceartigen Zustand. Nach einigen Minuten stieg aus den Überresten ein Rauch auf, den Riskir einatmete und dann den Kopf zurücknahm. Er hatte eine Vision von einem ihm unbekannten Mann, der offensichtlich auf der Flucht war. Der lief halbnackt und völlig verängstigt durch den Wald und lief vor irgendetwas oder irgendwem davon.
In der restlichen Nacht während Riskirs, Tjalfs und Stens Wache geschah sonst nichts mehr außer dass aus dem Norden entferntes Wolfgeheul zu hören war.
Am nächsten Morgen hatte Sten zum Frühstück eine kräftige Suppe vorbereitet. Die Sonne stand tief und blutrot am sich mit Wolken zuziehenden Himmel. Die vier brachen alsbald auf und folgten der Spur der Pferde weiter nach Norden. Nach einer halben Stunde erreichten sie den Waldrand. Im Westen war Meeresrauschen zu vernehmen und die Luft roch auch etwas salzig. Die Spuren führten über die verschneite Ebene weiter nach Norden. Das Wetter blieb etwas trüb aber trocken.
Gegen Mittag erreichten sie einen Wegstein. Vermutlich war hier eine Kreuzung zweier Wege, die aber alle zugeschneit waren. Hier rasteten sie und besprachen, wie es weitergehen sollte. Da fiel Tjalf eine Rune auf, die jemand auf die Südseite des Steins geritzt hatte: eine Raido-Rune, die für Reise und Aufbruch stand. Auf der gegenüberliegenden Seite war dagegen eine umgekehrte Raido-Rune geritzt, die für Rückschlag oder Verlangsamung stand. Die Runen waren hier vor nicht allzu langer Zeit eingeritzt worden. Nur von wem und wofür? Vielleicht von den Reitern, die Verfolgung befürchteten?
Die vier brachen wieder auf und gegen Nachmittag wurde im Norden der Saum eines Waldes sichtbar, den sie gegen Abend erreichen würden. Haldors Blick fiel auf einen sehr großen, weißen Wolf, der wenige hundert Meter westlich parallel zu ihnen lief. Dieser bemerkte die vier ebenfalls und heulte einmal sehr laut. Aus dem Norden antworteten einige Wölfe; doch das Geheul klang sehr verhalten, fast untertänig. Der Wolf ging dann weiter und beachtete die vier nicht weiter.
Etwas nordwestlich hinter ein paar Hügeln waren jetzt Rauchsäulen zu sehen, Holmgang war nicht mehr weit entfernt. Da die Pferdespuren aber nordöstlich weiterführten, folgten die vier diesen. Als sie dien Waldrand erreichten, saßen wieder zwei Raben im Baum, die laut krächzten, als würden sie die Gefährten wieder verspotten. Die vier gingen noch bis zur Dämmerung weiter und fanden dann ein Nachtlager in einer ehemaligen Bärenhöhle.
Haldor hatte die erste Wache. Aus dem Süden war wieder Wolfsgeheul zu hören. Da auch andere Tierlaute zu vernehmen waren, schien es sich um ein jagendes Rudel zu handeln. Etwa zwei Stunden passierte nichts. Dann war erst ein Geräusch, das wie ein Hecheln klang zu vernehmen. Dann konnte Haldor den Schemen einer Person erkennen. Ein Mann, halbnackt, der durch die klirrende Kälte um sein Leben rannte. Er schien verfolgt zu werden, drei Personen waren zu erkennen. Hatte Riskir nicht einen Traum mit ebendiesem Inhalt gehabt? Schnell weckte Haldor die anderen und alle machten sich kampfbereit. Den Mann lockten sie mit ein paar Rufen in die Höhle. Er war halb erfroren und völlig am Ende seiner Kräfte. Reden konnte er nicht, also schickten sie ihn nach hinten ans Feuer.
Die drei Verfolger erreichten indes die Höhle. Alle waren in Felle gehüllt, waren gerüstet und trugen Äxte und Schilde. Sten hatte sich am Höhleneingang in den Schatten versteckt, die anderen standen offen und riefen die drei an. Nach diskutieren war den drei Männern nicht, sie forderten die Herausgabe des halbnackten Mannes und als die vier das verneinten, griffen sie sofort an. Ihre Augen waren blutrot und sie waren wie im Rausch. Nach einem kurzen, heftigen Kampf waren die drei besiegt, aber auch die vier Gefährten hatten einige schwere Wunden. Zumindest lebten sie noch.
Haldor und Sten zogen die Leichen ein Stück in den Wald, wo Haldor ihnen Waffen, Schilde und Rüstungen abnahm. Die konnten sicherlich den Menschen von Holmgang noch nützlich sein. Die Schilde trugen das Zeichen von Gunnvor, die Männer hatten Schwurbänder des Clans Arnkel. Auf den Körpern fielen ihm Runen auf, die langsam verblassten. Schnell rief Haldor nach Riskir, der sich zusammen mit Tjalf um den Verfolgten gekümmert hatte. Riskir sah sich die Runen genauer an und erschrak, er sagte, er habe Geister gesehen, die die Körper verließen. Hier schien ein Zauberer nichts Gutes im Schilde zu führen.
Sten hatte sich das ganze etwas unbeteiligt angesehen, nahm aber jetzt eine Axt und enthauptete die drei Leichen. Die Köpfe steckte er in einiger Entfernung auf Spieße. Als er zurück zur Höhle ging, sah er am oberen Rand der Höhle einen riesigen schwarzen Wolf stehen. Er sprach den Wolf an und näherte sich langsam. Der Wolf war nicht aggressiv, aber als Sten näherkam, fing er an zu knurren. Sten setzte sich und fragte den Wolf, was er von uns wollte. Der Wolf starrte ihn an, legte dann den Kopf zurück und heulte laut. In diesem Moment gab es ein lautes Donnergrollen am Himmel. Ein Zeichen der Götter? Dann drehte sich der Wolf um und verschwand im dunklen Wald.
Etwas irritiert, was das zu bedeuten hatte, standen die vier Gefährten vor der Höhle und gingen dann hinein. Der Verfolgte war ermattet am Feuer eingeschlafen. Zumindest hatte er eine gute Chance zu überleben. Im Süden hörte man immer noch das Wolfsrudel, ansonsten blieb die Nacht ruhig.
Der nächste Morgen begann friedlich, da sich das Wetter etwas beruhigt hatte. Nur der eisige Wind hatte noch nicht nachgelassen. Der verfolgte Mann war wach und hatte sich etwas erholt, so dass die Gefährten ihn befragen konnten. Sein Name war Gnor Ignarsson, er stammte aus der Hauptstadt und er war ein Händler. Deshalb war er nach Gunnvor gekommen, dort wurde er aber gefangen genommen und eingesperrt. Einen Grund hatte man ihm nicht gesagt. Den Abend zuvor hatte man ihn dann zu einer Hexe namens Skuld gebracht. Er sollte wohl für irgendwen oder irgendetwas geopfert werden, konnte aber fliehen.
Er war zu schwach, um die vier zu begleiten, daher diskutierten sie, was sie nun tun sollten. Einerseits war die Zeit knapp und die Pferdespuren mussten verfolgt werden. Andererseits wollte vor allem Tjalf Gnor nicht einfach zurücklassen. Also entschieden sie, dass Tjalf und Haldor Gnor nach Holmgang begleiten sollten, während Sten und Riskir den Spuren weiter folgten.
Nach ein paar Stunden erreichten Tjalf, Haldor und Gnor ein Gehöft, dass etwas außerhalb von Holmgang lag. Die Bewohner waren äußerst misstrauisch, hatte es doch in der Nacht zuvor einen Angriff von Wölfen gegeben, schon das dritte Mal in kurzer Zeit. Björn Nadirsson, der Vorsteher dieses Gehöftes, wusste sogar zu berichten, dass die Wölfe sogar in den geschlossenen Stall eingedrungen waren, um dort Schafe zu reißen. Das war sehr ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher war allerdings, was Tjalf bemerkte, der Hofhund hatte leuchtend eisblaue Augen und hörte nicht mehr auf Björn, als wäre er verzaubert. Nach kurzer Zeit waren die Augen wieder normal und der Hund gehorchte wieder. Björn berichtete, dass einer der Wölfe von letzter Nacht ebenfalls solche eisblauen Augen hatte. War hier Zauberei im Spiel?
Tjalf und Haldor machten bei einer warmen Suppe kurz Pause und ließen Gnor, die Waffen und Rüstungen und etwas Fleisch der Wildsau hier und gingen wieder nach Nordwesten, um die anderen beiden zu treffen.
Derweil verfolgten Sten und Riskir die Spuren bis zu einem Bach, dem Grenzbach zu Gunnvor. Auf der anderen Seite kamen sie wieder heraus und führten weiter nördlich. Sonst war hier nichts Auffälliges. Da der Auftrag lautete, nicht Feindesgebiet zu betreten, gingen die beiden wieder zurück und wandten sich Richtung Holmgang.
Am Waldrand trafen sich die vier gegen Nachmittag wieder. Der Himmel war recht klar mit ein paar wärmenden Sonnenstrahlen. Riskir bemerkte am Himmel etwas. Ein Habicht kreiste tief, er schien eisblaue Augen zu haben und stürzte plötzlich herab!