Sonntag, der 8. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Es war vielleicht kurz vor Mitternacht als wir den Schuppen des Uhrwerks endlich verließen. Joran war schwer beladen mit seiner etwas in die Tage geratenen Kettenrüstung, aber ihm stand die Freude über den Neuerwerb deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Tag war eigentlich schon sehr ereignisreich gewesen, aber trotzdem diskutieren wir nochmal darüber ob wir noch mitten in der Nacht nochmal bei Philippus Phrent vorbei schauen sollten. Speziell Krätze jammerte, dass doch auch irgendwann mal genug ist und Schlaf auch ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist. Die anderen brauchten nicht viel Überredung und so gingen alle gemeinsam zurück zur Turmklausel.
Wir standen bereits in der Tür zum Gastraum als Wilbur abermals diesen Fuchs erblickte, den er schon vor ein paar Tagen bei der Verfolgung des Organräubers beobachtet hatte. Dieser besondere Fuchs mit den gelben Augen und dem schimmernden Fell. Der Halbling zögerte keine Sekunde und lief dem Fuchs hinterher, der bereits hinter einer Häuserecke verschwunden war. Der Rest folgte müde und schulterzuckend hinter drein. An der Ecke angekommen war der Fuchs nirgends mehr zu finden nur ein Obdachloser lag unter ein paar Decken in einer schmalen Gasse. Der Goblin inspizierte den Mann eingehender doch außer einer ziemlich heftigen Bierfahne war an dem Mann nichts verfängliches zu entdecken. Wilbur gab sich geschlagen und man ging gemeinsam zur Turmklausel und anschließend in die verteilten Doppelzimmer zum Schlafen.
Krätze musste aber erst noch seine Neugier stillen und begann Melina einige Fragen zum Dasein als Wechselbalg zu stellen. Die vermeintliche Tischlerin beantwortete die Fragen bereitwillig und so erfuhr der Goblin, dass der angenommene Körper anscheinend auch altert im Laufe der Zeit, dass Melina dem Körper den sie annehmen will sehr nah sein muss um ihn zu imitieren, dementsprechend würde es kein zurück mehr geben, sollte sie irgendwann mal einen anderen Körper annehmen, da dieser dann verloren sei. Melina berichtete auch von ihrer Jugend und ihrem Heranwachsen und dass es bei der Imitation von ihrer Ziehmutter etwas eigenartiges geschehen war, was bis dahin noch nie geschehen war. Sie konnte sich an Dinge erinnern, die sie selber niemals erlebt hatte. Sie hatte Erinnerungsfetzen ihrer Ziehmutter beim Wechsel der Körpers ebenfalls übernommen. Wenn Krätze die Gelegenheit bekam bei Caribdus darüber Nachforschungen anzustellen, wäre Melina darüber sehr dankbar. Unmittelbar nachdem das Gespräch versiegte war Melina auch schon im Reich der Träume. Aber Krätze war noch wach. Eigentlich war er auch todmüde aber er wälzte sich immer wieder von der einen auf die andere Seite. Vielleicht war es das seltsame Fett vom Uhrwerk, dass ihn nicht zu Ruhe kommen und seine Gedanken kreisen ließ. Erst viele Stunden später fand er endlich in den Schlaf.
Montag, der 9. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Zum späten Frühstück versammelten wir uns im Gastraum der Turmklausel und besprachen unsere Lage und unsere Optionen. Der Auftrag vom Advokaten Brünne hatte es schon in sich, denn es war ja nicht nur eine einfach Mörderjagd sondern vielmehr die Entlarvung der Organisation dahinter, sofern es denn eine gab. Doch die diversen Zeichnungen mit der monströsen Fratze waren Indiz genug, dass es sich hierbei bestimmt eine Gruppe von Täten handelte und naheliegend war die Bruderschaft der Schatten, wie sie Jonas Kreucher genannt hatte. Am dringlichsten war gewiss die Befragung bzw. die Beschattung von Philippus Phrent, doch wir hatten noch andere lose Enden. Die vermeintlich verrückte Frau vom Advokaten, die Schweren Jungs, die das Murr Haus bewacht hatten, Gregorius, der ja auch schon eine Zeichnung bei sich in seiner Kapelle hinterlassen hatte, Rena hatte auch schon das ein oder andere Wort über Kultisten fallen lassen und es gäbe bestimmt noch weitere offizielle Personen in der Stadt, die das ein oder andere zur Sache betragen könnten. Melina wollte zunächst sich das Irrenhaus einmal näher ansehen und vielleicht wäre es einfacher für eine Frau dort vorgelassen zu werden. Der Rest würde Philippus heute mal auf den Zahn fühlen.
Melina ging also zum Gnadenhügel und wurde dort von einer der Bediensteten der Anstalt empfangen. Die Aufseherin machte Melina klar, dass sie ohne ausdrückliche Erlaubnis von Brünne mit Sicherheit nicht vorgelassen werden würde. Sie machte auch schon ein paar Andeutungen, dass Frau Brünne schon seit Jahren kein Wort mehr gesprochen hatte und dass man jede Aufregung zu vermeiden hatte. Melina ließ sich aber nicht so einfach abwimmeln und fasste den Plan sich eben genau einen Schrieb zu besorgen, um mit der Mutter von Karl zu sprechen. Sie ging zur Kanzlei und sprach dort mit der Sekretärin Mathilda. Auch die hielt das insgesamt für keine besonders gelungene Idee, doch da das Wechselbalg nicht locker ließ, seufzte schließlich die Sekretärin und ging gemeinsam mit zurück zur Anstalt. Aufseherin und Sekretärin waren anscheinend schon seit längerem mit einander bekannt und ohne weitere Probleme wurde Melina in einen Besucherraum geführt. Kurze Zeit später wurde dann auch Frau Brünne in den Raum geführt. Sie saß in einem Rollstuhl. Wie schon Mathilda beschrieben hatte, war die ältere Dame offensichtlich nicht mehr im Hier und Jetzt. Apathisch stierte sie Löcher in die Luft, während der Speichel ihr immer mal wieder aus dem Mundwinkel rann und dann von Mathilda mit einem Taschentuch weg getupft wurde. Melina stellte sich vor und fragte die ein oder andere Frage zu Karl Brünne. Allerdings behielt sie es für sich, dass Karl das zeitliche gesegnet hatte, geschweige denn zu offenbaren dass er anscheinend mit Kultisten im Bunde stand. Die ganze Befragung führte nirgendwo hin, denn die Patientin sprach kein einziges Wort. Die einzige bewusste Regung die Melina erkennen konnte, dass sie keinen Blickkontakt zur Mutter aufbauen konnte, denn auch wenn sie sich in ihr Blickfeld begab, wurde der Kopf alsbald weg gedreht. Als sie mit Mathilda den Gnadenhügel wieder verließ, war die Sekretärin sichtlich erleichtert, dass es zu keinerlei Komplikationen gekommen war.
Unterdessen hatten sich Wilbur, Joran und Krätze wieder zu Philippus Phrents Wohnhaus begeben. Wie schon am Abend zuvor hielt sich Krätze im Hintergrund, jedoch war er bereits wieder vom Großmütterchen gegenüber in Augenschein genommen worden. Die anderen beiden klopften und der schon bekannte Diener öffnete. Er hatte seinem Herrn die Aufforderung sich in der Hauptwache einzufinden übermittelt und sein Herr würde bestimmt wie gefordert im Laufe des vormittags auch dort auftauchen. Formvollendet wie beim letzten Mal wimmelte er Mann und Halbling gekonnt ab. Gemeinsam mit dem Goblin bezog man eine Stellung mit gutem Blick auf das Haus ohne selber wie auf dem Präsentierteller zu sitzen. Tatsächlich verging nicht allzu viel Zeit bis eine Kutsche auftauchte und vor Phrents Wohnhaus hielt. Die recht edle Kutsche zierte ein Wappen, das einen Raben mit drei Münzen zeigte. Keinem der Beobachter sagte das allerdings etwas. Neben dem Kutscher traten dann noch drei weitere Männer aus der Kutsche hinaus. Einer von ihnen klopfte und der Diener öffnete. Nach kurzem Gespräch drang der Mann unter Protest des Dieners in Phrents Haus ein. Wenig später tauchte der Mann wieder auf und in seinem Schlepptau war der ziemlich ramponierte Philippus. Er hatte ein ziemlich ausgeprägtes Veilchen und auch sonst sah sein Kopf aus, als hätte er in letzter Zeit bei mehreren Straßenkämpfen den Kürzeren gezogen. Seinen Arm trug er in einer behelfsmäßigen Schlinge. Insgesamt schien es aber so als würde er mehr oder weniger freiwillig seinem Besucher folgen, er wurde auf jeden Fall nicht bei den Haaren in die Kutsche gezerrt.
Als alle Männer wieder eingestiegen waren, ließ der Kutscher die Peitsche knallen und brachte das Gefährt langsam in Bewegung. Wilbur, Joran und Krätze gaben ihren Beobachtungsposten auf und konnten ohne Mühe der Kutsche durch Kreutzing folgen bis sie sich im Stadtteil Säckel einfanden. Zwei Braunröcke waren allerdings dann doch sehr verwundert über das illustre Trio, doch die Marke die Wilbur zeigte und das sichere Auftreten des gestandenen Halblings ließ ihnen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit unseres Hierseins. Die Kutsche fuhr bis zu einem beeindruckenden Stadthaus, das ebenfalls das gleiche Wappen wie das auf der Kutsche zeigte. Für das Gespann wurde von Männern ein wuchtiges Tor geöffnet und der Kutscher lenkte behände in einen Innenhof hinein und hielt dort. Nachdem das Gefährt das Tor passiert hatte, wurde es auch direkt wieder verschlossen und versperrte so den Blick auf die weiteren Geschehnisse im Hof. Von einem Passanten erfuhr Krätze, dass es sich bei dieser Adresse um die Residenz von Meister Dreen handelte. Das sagte sogar dem Goblin etwas, der bisher nur zur Rattenliquidation und unter angemessener Bewachung diesen reichsten Stadtteil Kreutzings betreten hatte. Meister Dreen war der Gildenmeister der Kaufmannsgilde und es hieß, dass Meister Dreen der reichste Mann der Stadt war.
Wir bezogen Stellung und umrundeten ein- oder zweimal das Anwesen, aber es war nichts besonderes zu entdecken. Wir mussten aber gar nicht lange ausharren bis eine weitere Kutsche auftauchte und vor dem Tor zu Dreens Anwesen hielt. Wir staunten nicht schlecht als Advokat Brünne ausstieg und machten flugs auf uns aufmerksam. In einem kurzen Gespräch machten wir den Anwalt darauf aufmerksam, das Philippus Phrent hierher eskortiert worden war, vielleicht würde ihn das interessieren. Brünne zuckte aber nur mit den Schultern, läutete an dem Tor und wurde hinein gelassen. Es vergingen ein paar Stunden. Unterdessen tauchte auch Melina auf, die nach ihrem Besuch auf dem Gnadenhügel auch hierher gefunden hatte. Der Diener von Phrent hatte sich dann doch tatsächlich verplappert. Es ging schon auf die nachmittäglichen Stunden zu als sich das Tor zum Anwesen wieder öffnete und der selbe Mann, der schon Phrent her gebracht hatte, trat heraus und ging zielstrebig auf uns zu. Meister Dreen wünsche uns zu sprechen. Er war bereits wieder auf dem Rückweg und offensichtlich darüber irritiert, dass wir nicht unmittelbar folgten. Er fügte ein schmallippiges Bitte an und machte eine einladende Geste, die durchaus Spuren von Sarkasmus enthielt. Es schien so, dass man Dreen besser nicht lange warten ließ.
Das Anwesen des Gildenmeisters verschlug uns die Sprache. Kostbare Gemälde, kunstfertige Teppiche und imperialer Marmor war die verschwenderische Manifestation des Reichtums unseres Gastgebers. Wir wurden in einen Salon gebraucht in dem Brünne und Dreen warteten. Dreen war etwa 1.90, kräftig und durchaus athletisch gebaut, trug feinste modische Kleidung ohne dabei protzig zu wirken. Seine Haut war kohlrabenschwarz und seine Glatze glänzte leicht. Bei jedem, sogar bei Krätze, stellte er sich kurz und knapp mit ‘Dreen’ vor und reichte dabei die Hand. Er begann dann sein Anliegen an uns vorzutragen. Der Advokat hatte uns empfohlen, da wir anscheinend spezielle Fähigkeiten oder Vorgehensweisen an den Tag legen. Ebenso wie bei Brünne wäre die Sache als sehr delikat zu behandeln. Er fischte einen Zettel aus seiner Weste und begann vorzulesen: “Wir haben deine Tochter. Einhundert Goldmünzen. Heute um Mitternacht hinter der alten Fischerei in der markierten Kiste. Keine Braunröcke. Sonst wird sie sterben.” Nachdem Dreen vorgelesen hatte, ging er zu einer kleinen Schatulle, öffnete sie und gestattete uns einen Blick auf ein Vermögen von dem niemand von uns gedacht hätte einmal soviel Geld so nahe zu sein. Er wäre bereit das Lösegeld zu zahlen. Alles wäre nachrangig außer dem Leben seiner Tochter Kandes. Wenn wir sie heil zurück brächten würde uns eine ebenbürtige Belohnung erwarten. Wenn wir die Hintermänner dieser Schändlichkeit ausfindig machten, damit sie den Zorn Dreens spüren – Verzeihung – damit sie der Gerichtsbarkeit überantwortet werden könnten, würde er sich noch mehr erkenntlich zeigen. Dreen berichtete was vorgefallen war. Gestern Abend war seine Tochter mit ihrem Verlobten gemeinsam aus. Auf dem Rückweg waren beide überfallen worden, aber dieser Nichtsnutz war nicht in der Lage gewesen Dreens geliebte Tochter zu beschützen. Der Name des zukünftigen Gemahls war Philippus Phrent.