Mit einem lauten Knall schwang die Tür des Langhauses wieder auf und ein eisiger Wind suchte sich seinen Weg in den großen durch ein Feuer gewärmten Raum. Schneeflocken tanzten herein um sogleich in Wasser zu vergehen. Im Türrahmen zeichneten sich die Umrisse eines mit Fell behangenen und kräftig gewachsenen Mannes ab. In seiner rechten trug er mit festem Griff eine Skraja Streitaxt. Es wurde mit einem Schlag ruhig im Haus und einige der Männer und Frauen blickten voll Furcht in Richtung der Tür.
Schnell und ohne ersichtliche Mühe wand sich der Mann der Tür zu und schloss diese wieder und erst jetzt konnten die Männer und Frauen die an der langen Tafel des Langhauses saßen, welches nur spärlich durch Talglichter erhellt wurde, sehen wer dort gerade hereingekommen war.
Die Götter haben aber dieser Tage kein Nachsehen mit uns, dröhnte die ihnen bekannte Stimme. Dieser Schneesturm will kein Ende nehmen. Zum Glück war euer Scheißhaus noch nicht eingefroren, ich hatte schon Angst ich müsse es mit meiner Axt frei schlagen. Aber lieber Jarl, euer Met und euer Essen sind einfach auch zu köstlich, so dass es mich wohl nicht das letzte Mal heute Abend vor die Tür getrieben hat, was!? Also, wo war ich stehen geblieben liebe Leute und macht mir diesen Humpen wieder mit Met voll!?
Ah genau, die Schlacht in Hirsk war in vollem Gange und meine Männer und ich stürmten gerade wieder aus dem Haus heraus auf den Weg hinauf zum Langhaus…
Was? Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass diese Tunichtgute hier sich wieder daran gemacht haben euch die Geschichte weiter zu erzählen? Wie könnt ihr euch dies nur antun? Seht doch, Ubbo bekommt doch auch ohne Met und Bier keinen fehlerfreien Satz über seine Zunge, geschweige denn kann er sich an seine Vergangenheit erinnern. Unser Björn hier ist so mit eurem guten Getränken abgefüllt, dass er schon seit geraumer Zeit ausschaut als ob er bald hinübergehen will. Hat er euch wohl wieder von seinen letzten Atemzügen erzählt und dass es mit ihm zu Ende gehen wird? Ja, dass passierte die letzten Male auch schon und jedes Mal ist er am nächsten Morgen wieder aufgestanden. Lieber Jarl, pass lieber auf deine Töchter auf, vermutlich wird er heute ehr an sie herantreten, als an die große Tafel Odins.
Es ist eine Schande wie Loki immer wieder versucht den Menschen Midgards eine gut erzählte Geschichte vor zu enthalten. Aber sei es drum, was haben die drei hässlichen Geschöpfe, gezeugt von einer Jütin und einem Pottwal, euch erzählt?
Gut, dann will ich versuchen zu retten was noch zu retten ist. Immerhin handelt dieses Abenteuer von dem Weltenbaum Yggdrasill selbst und wie wir die neun Welten bereisten und ihr liebe Leute habt alles Recht die Geschichte zu Ende zu hören.
Ja, es war etwas verwirrend, aber als ich in der Höhle der Jotunin Jørgar in Jotunheim aufwachte, hatte ich das Rauschen des Skagerrak in den Ohren und den Geschmack von Salzwasser auf den Lippen. Aber dies verging schnell wieder, den die tiefe donnernde Stimmer der Jotunin schmetterte durch die Höhle die sie ihr zu Hause nannte. Hier war natürlich alles viel größer und für uns umständlicher zu benutzen. Allein das Frühstück welches sie uns reichte, war in riesigen Trögen zubereitet und hätte für ein ganzes Dorf gereicht. Aber so konnten wir gestärkt aufbrechen um Halthør einen weiteren Jotunen zu suchen.
Ich gehe davon aus, dass die drei hässlichen Vögel hier, euch bereits die Hintergründe erzählt haben? Das wir Halthør aufsuchen sollten um ihm den Armreif ab zu nehmen, welchen er Jørgar bei der Brautschau gestohlen hatte und der ihr selbst für einen Jotunen übermächtige Kräfte verleihen konnte? Als Gegenleistung wollte sie uns den Weg zurück zum Weltenbaum zeigen, damit wir Jotunheim wieder verlassen konnten.
Noch am gleichen Morgen brachen wir auf um den Jotunen zur Strecke zu bringen. Eine Aufgabe die selbst die Götter nicht mal eben so bewältigen. Aber uns war allen klar, es gab keinen anderen Weg und außerdem waren wir nicht allein, Odins wachsames Auge lag auf uns. Schon beim Frühstück konnte ich draußen die beiden Raben Hugin und Munin hören und auf einer der grünen Tannen sitzen sehen. Sie schienen förmlich darauf zu warten, dass es endlich los ging.
Doch allzu weit sollten wir nicht kommen. Ihr müsst wissen, in Jotunheim sind nicht nur die Riesen und ihr Hausrat groß, nein auch die Berge, die Bäume und auch der Schnee ist viel tiefer als bei uns üblich. Nun und so kamen wir nur sehr mühsam voran und versanken immer wieder in dem tiefen Weiß um uns herum. Stellt euch vor, unserem Magnus hier, haben wir sogar einmal bis über die Ohren in eine Schneewehe fallen sehen, so dass nur noch seine komische Eichhörnchen Mütze herausschaute. Glaubt es oder nicht, aber in diesem Moment krächzten selbst die beiden Raben die nach wie vor über uns flogen oder in einem der zahlreichen Bäume saßen.
Aber diese Abkühlen half unserem kleinen Magnus seinen Kopf zu mehr zu gebrauchen als zum Mütze tragen. Nein er erinnerte sich an die alten Schneeschuhe seines Vaters in Rohald, die an einer der Wände seines Elternhauses hingen. Solche Schneeschuhe sollten uns helfen besser voran zu kommen. Nun und so dauerte es auch nicht lang und jeder von uns hatte ein paar Schneeschuhe an seinen Füßen. Nicht sonderlich schön in Anbetracht der kurzen Zeit, aber sie taten das was sie sollten und so ging es zügiger voran als zuvor.
Gegen Mittag muss es gewesen sein, da hörten wir alle das Geheule von einem Wolfsrudel. Noch schien es weit weg und wir nicht in Gefahr, aber das konnte sich schnell ändern. Also versuchten wir unsere Schritte zu beschleunigen. Aber wenig später war es wieder Magnus, der im Unterholz der großen Bäume einen mächtigen Wolf ausmachte. So und jedem hier, der von euch schon einmal einen Wolf gesehen haben will, sei gesagt, dieser Wolf damals war fast doppelt so groß und mit tief schwarzem Fell. Ein wahrer Anführer eines Rudels, dem Fenriswolf vermutlich nicht unähnlich. Aber er machte keine Versuche uns näher zu kommen oder gar uns an zu greifen. Nein, im Gegenteil, er lief einige Zeit in gleichem Abstand neben uns her, so als wolle er uns begleiten. Erst als wieder das Geheule des Rudels hinter uns zu hören war und dieses Mal sehr viel näher, machte er kehrt und verschwand in Richtung der Gruppe.
Nicht neugierig auf dieses Rudel Wölfe, nahmen wir unsere Beine in die Hand und wenig später hörten wir Kampfeslärm. So als ob die Wölfe Beute geschlagen hätten. Ubbo meinte immer er hätte durch die Bäume und das Unterholz gesehen wie das mächtige Tier ein ganzes Rudel zerfleischte. Ich kann euch nur erzählen, dass wenig später der große Wolf mit viel Blut an der Schnauze wiederauftauchte, uns noch einmal anblickte und sich dann erneut ab wand und verschwand. Von dem Wolfsrudel hinter uns war ab da an, weder etwas zu hören, noch zu sehen.
Wie auch immer, gegen späten Nachmittag als die Sonne am Horizont verschwand und Jotunheim die blaue Stunde blühte, erreichten wir eine riesige weiße Fläche. Keine Bäume, Büsche, Steine oder irgendetwas dergleichen, was das Auge hätte abgelenkt können war zu sehen. Lediglich ein schmaler Streifen eines weiteren Walds zeichnete sich auf der anderen Seite der Fläche ab.
Wir kamen gerade an den Rand dieser weißen Ebene, als Björn auf sechs mächtige Jotunen aufmerksam wurde, die weit im Norden über die Ebene liefen. Sie schienen gerüstet zu, den es funkelte immer mal wieder in den letzten Strahlen der Sonne. Aber sie bemerkten uns zum Glück nicht, sondern verschwanden aus unserem Blick weit oben in Richtung Norden.
Einen Augenblick warteten wir noch im Schutze des Walds und aßen etwas und ruhten uns aus, um dann im Mantel des Zwielichts den Weg über die weiße Ebene zu beschreiten. Es war weiterhin mühsam über den tiefen Schnee zu laufen, aber zum Glück verfolgten uns keine Wölfe, Riesen oder andere Kreaturen. Lediglich die Stille der Nacht umfing uns und hüllte uns in eine kalte aber beruhigende Ruhe und ließ uns stumpf weiter nach vorne laufen. Zum Glück reichte das fahle Mondlicht aus um zumindest grob die Richtung zu halten.
Erst ein eisiger Fluss, der sich bereits Meter tief sein Bett gegraben hatte holte uns aus dem Dämmerzustand. Bestimmt dreißig bis vierzig Schreit breit und gut zehn bis zwölf Schritt Tief, zog sich ein eisiger Wasserlauf durch die weiße Ebene. Tja und weit und breit keine Furt oder gar Brücke die uns herübergebracht hätte.
Ich möchte euch nicht mit Kleinigkeiten langweilen und natürlich hatten wir ein paar Meter Seil in unserem Gepäck so, dass wir alle trotz Kälte und Dunkelheit auf der anderen Seite ankamen. Ich kann mich auch heute nicht mehr daran erinnern, so gern ich es auch möchte, aber ob wir dabei kalte Füße bekamen oder sich der ein oder andere von uns die Hände beim abseilen verletzte. Wichtig ist nur, wir kamen auf der anderen Seite an, auch wenn es uns bestimmt eine gute Stunde kosten sollte. Aber am Ende durften wir unseren Weg über die weiße Ebene vorsetzen und erreichten bei den ersten Sonnenstrahlen den Rand des Walds, den wir am Abend zuvor nur erahnen konnten.
Schnell machten wir im Schutz der Bäume eine erneute Rast und ruhten unsere Füße aus. Magnus war sich indes immer noch sicher auf dem richtigen Weg zu Behausung des Riesen Halthør zu sein. Er hatte sich nämlich zuvor noch von Jørgar den Weg erklären lassen und war damit unsere einzige Möglichkeit den Ring und damit den Weg nach Hause zu finden.
Als wir gerade wieder aufbrechen wollten, den es sollte noch einen weiteren Tag Fußmarsch vor uns liegen, sah ich einige Schritt von uns entfernt, wieder einen mächtigen Wolf stehen. Dieser war ähnlich groß wie der vom Vortag und schien ebenso kräftig und schnell zu sein, doch dieser hatte kein schwarzes Fell, sondern weißes. Auch er schien uns lediglich nur zu beobachten und wollte uns nicht angreifen. Ich hatte damals schon das Gefühl als ob Odin selbst seine Wölfe Geri und Freki zu uns gesandt hatte um uns in Jotunheim bei zu stehen. Nun und wie um diesen Gedanken zu bestätigen krächzten die beiden Raben über uns in den Bäumen. Wenn Odin uns nun auch noch seinen Sohn Thor und den Hammer Mjölnir schicken sollte, dann hätten die Jotunen keine Chance. Aber von Thor war weit und breit nichts zu sehen und so setzten wir unseren Weg durch den verschneiten Wald fort. Schnell verloren wir den Wolf wieder aus den Augen.
Wir liefen und liefen und machten erst gegen Abend wieder halt. Nun sollte es nicht mehr weit sein und wir wollten die Nacht noch einmal ausruhen, bevor wir am nächsten Morgen den Jotunen Halthør aufsuchen mussten. In der Nacht sah Ubbo eine riesige Gestalt durch den dunklen Wald laufen. Er erzählte später, dass es nicht so aussah als wäre es ein Jotune, wohl eher einem Troll ähnlich. Aber was es auch immer war, es schien uns nicht zu bemerken oder kein Interesse an uns zu haben. Mir sollte es recht sein, den Halthør war schon Herausforderung genug, da mussten wir nicht alles gegen uns haben was die Götter in ihrer großen Weisheit erschaffen haben.
Am nächsten Morgen, die Sonne machte sich gerade bereit, sich am Rand der Weltenscheibe zu zeigen, meinte Magnus dass es nur noch wenige Meter bis zur beschriebenen Höhle von Halthør sein können. Björn und er wollten einmal voraus gehen und die Umgebung in Augenschein nehmen. Nun und wenig später berichteten sie Ubbo und mir, dass Halthør ebenfalls in einer Höhle wohnen würde. Der Eingang dieser Behausung war aber mit einer gut drei Schritt hohen Wand aus Eis in einem Halbkreis geschützt worden und es führte nur ein gut zwei Schritt breiter Eingang hindurch.
Ein Angriff von vier Seiten schied also aus und mir wurde immer mehr klar, einen Kampf mit Schwertern und Äxten konnten wir hier nicht führen. Vermutlich hätten wir diesen an dieser Stelle ohnehin verloren. Hier bedurfte es anderer Eigenschaften um diesen Jotunen zur Herausgabe des Armreifes zu bewegen. Also einigten wir uns darauf, mit dem Riesen zu sprechen und ihn mit einer List dazu zu bringen den Ring freiwillig zurück zu Jørgar bringen.
So gingen wir also ohne langem hin und her zur der Höhle von Halthør dem Jotunen und riefen ihn an heraus zu kommen um mit uns zu sprechen. Nun und das tat er auch, ein gut acht bis neun Schritt hoher Koloss trat durch die Wand aus Eis direkt vor uns. Er stand in Fellstiefeln und seine Lenden waren mit großen Bärenfellen bedeckt und auch um die Schultern trug er das Fell eines riesigen Tieres. Aber ansonsten schien ihm die Kälte in Jotunheim nichts aus zu machen. Sein Gesicht war kantig und auch für einen Riesen schien er kräftig gebaut zu sein. Eine Gestalt, gegen die ich in diesem Augenblick nicht kämpfen hätte wollen, zumindest nicht mit Eisen. Den in seiner rechten trug er eine mächtige Keule, die uns vier vermutlich mit einem Hieb von den Beinen hätte holen können. Doch dazu kam es nicht, den Halthør ließ uns reden.
Ich hatte mir bereits eine List überlegt und berichtete ihm, dass Jørgar uns schickte und sie es sich überlegt hatte. Sie wollte seine Gesuche sie zum Weib zu nehmen nun doch. Ich dachte mir, dann würde der Jotune freiwillig zu Jørgar gehen und wir könnten ihn mit ihrer Hilfe überwältigen und seinen Armreif bekommen. Doch es schien als ob Halthør gar kein Interesse daran hätte und die Jotunin uns einen Bären aufgebunden hatte. Er machte sogar den Eindruck als ob er nie bei ihr gewesen wäre um sie zum Weib zu nehmen. Wir waren zwischen die Fronten geraten und nun musste schnell eine neue Idee her, bevor Halthør seine Geduld mit uns verlor. Bei den Göttern, das war die Stelle wo selbst ich trotz Fellstiefel kalte Füße bekam.