Am zweiten Nachmittag nach der Nacht des Silbermondes und der damit einhergehenden Ereignisse steht Mor, der immer noch übernächtigt dreinschauende Varg, vor einem kleinen Laden in Brynntal. Das kunstvoll verzierte Schild über dem Eingang weist den Name des Geschäftes dem Schriftkundigen als Mythen & Mysterien aus. Mor, des Lesens unkundig, beachtet es jedoch mit keinem Blicke, sondern klopft sich etwas Staub und Erde aus dem Fell an den Waden, richtet sich auf und öffnet die Tür. Gebückt tritt er durch die für ihn zu kleine Tür in den vollgestopften Laden. Den exotischen Duft, den wundersame Gegenstände in den Regalen von sich geben, tief einatmend, schaut er sich nach der Besitzerin Carylle um. Diese, eine für albische Verhältnisse recht hübsche rothaarige Albin, erscheint in einem Durchgang.
Freundlich und mit einem amüsierten Lächeln spricht sie den hünenhaften Varg an: „Mor, schon wieder hier?! Ich dachte, ihr Retter von Brynntal würdet erst einmal euren wohlverdienten Schlaf genießen. Was treibt dich schon wieder her?“ Verlegen antwortet Mor: „Tja, das ist so, ich hab mal nachgedacht…“ und macht eine Pause. „Wenn das so ist, sollten wir es uns besser gemütlich machen.“ spricht die Albin mit frechem Lachen und bittet ihn durch den Durchgang in den angrenzenden Wohnraum. Der Varg nimmt auf einem Hocker Platz, während die Carylle es sich auf einem Lager aus Kissen und Tüchern bequem macht. „Nimm einen Schluck und erzähl mir, was Dich bewegt, aber mach es nicht zu lang. Du weißt, ich befinde mich im Aufbruch.“
Auf einen Wink von ihr wird der Krieger auf einen Krug zu seiner Rechten aufmerksam, der einen Augenblick vorher noch nicht dort zu stehen schien. Nach einigen Schlucken beginnt er: „Carylle, sag mal, du weißt ja wahrscheinlich, was letzte Nacht geschehen ist? Also mir und den anderen? Wir waren ja da in dem Gasthaus und warteten auf die Nacht. Die Stimmung war natürlich schlecht. Ist ja klar, wenn man sich so einem Gegner stellen muß. Filli, der Gnom mit dem langen Piekser, wollte am liebsten am Schanktisch auf diesen Arenvald warten und die seltsame Albin war immer noch grießgrämig, weil sie ihren Riesenkater nicht mit in die Stadt bringen konnte. Nur der Zwerg und die Bardin nahmen unser Schicksal gelassen. Ich hatte mir schon meine Kriegszeichen ins Fell gefärbt, war aber auch bedrückt. Wie sollten wir angesichts so vieler Gegner alle Ketten der Untoten sprengen?
Vorhersehbar, dass das eine dumme Aktion werden würde. Naja, der Baron schickte uns dann in so einen Park. Direkt hinter der Palisade. Da sollten wir das mit dem Meißel und den Ketten probieren. Waren auch gut vorbereitet. Die Albin, also die mit der Katze, nicht die, die so schöne Musik macht, ließ sich sogar `ne Haut wie ein Baum wachsen. War schon versucht, die mal zu gießen.“ Er grinst und entblößt seine elfenbeinfarbenen Reißzähne. Carylle, einerseits amüsiert, andererseits begierig, endlich den Grund seines Besuchs zu erfahren, fordert ihn mit einer Geste auf, fortzufahren.
„Also, dann kamen die Untoten auch endlich. Irgendwie befreiend, nach der langen Warterei. Aber nach einigen ihrer Angriffe, die zurückgeschlagen werden konnten, zeigte sich, dass das mit den Ketten wohl nicht reichte. Es kamen immer mehr Untote. Und Arenvald, dieser Feigling, ließ sich nicht sehen, obwohl ich ihn beleidigte und herausgefordert hab. Fili und Haarok, das is´ der Zwerg, hatten auch versucht, den Ring von Arenvald mit dem Meißel zu zerstören. Hat auch nicht funktoni…, finktionier…, also geklappt.
Und weil da immer mehr Untote kamen, mussen wir uns zurückziehen. Der Baron auch, ha’m wir gesehen. Und plötzlich steht da Arenvald in der Gasse, mit so sechs Untoten. Deren Kette haben wir zwar sprengen können, aber richtig geholfen hat das auch nicht. Genau wie das Geschieße der Albin. Aber dann hat der Gnom den Ring nochmal rausgeholt und so die Aufmerksamkeit Arenvalds auf sich gezogen. Hat ihn bequatscht, dass wir nicht seine Gegner sind, die Stadt retten wollen und so weiter. Haarok hat das dann nochmal wiederholt.
Und plötzlich scheint dieser Untotenanführer aufzuwachen, geht auf den Zwerg zu und will was sagen. Aber Haarok lässt den Meißel fallen und haut ab. Da nimmt Arenvald den Meißel, stellt sich vor mich und faselt was von Ketten um sein Herz. Da hab ich ihm den Meißel ins Herz gestoßen und er scheint erlöst von dem Fluch der Drachlinge. Und schwupps, waren wir die Retter Brynntals.
Aber weißt du was?“ Endlich scheint er auf den Grund seiner offensichtlichen Unzufriedenheit zu kommen und fährt fort: „Ich hab mich nicht wie ein Held gefühlt. Mir ist klar geworden, dass ich das nur mache, weil ich nix anderes gelernt hab und nix anderes kann. Ich wollte raus aus meinem Dorf. Aber hier ist es genau so, nur größer. Anstatt des mit dem reichsten Händler streitenden Dorfvorstandes gibt’s hier die beiden Familien, anstatt meines mich bevormundenden Onkels gibt’s hier den Baron. Ich bin gar nicht wirklich raus gekommen.
Deshalb hat mich wahrscheinlich auch der Schimmersee so gelockt. Ganz ehrlich, ich überleg immer noch, ob ich das riskieren sollte, auch wenn du mir davon abgeraten hast. Und klar, ich würde gern Melinkor helfen. Das würde meine Mutter stolz machen, Vangara beschütze sie und Skalangor trage sie. Aber eigentlich will ich ferne Länder sehen, exotrisch…, eroti…, also seltsame Speisen essen und Leute treffen, die ganz anders sind als hier…“ Er macht eine Pause, wendet sich dann mit fragendem Blick Carylle zu.
Diese denkt einen Augenblick nach, schaut den Varg ernst an und spricht: „Ich bin die letzte, die über dein Leben entscheiden sollte. Eigentlich sollte das sowieso niemand anderes als du. Wenn du deiner Mutter zum Gefallen anderen helfen willst, so kannst du das hier oder auch anderswo. Ich für meinen Teil habe für mich entschieden, weiter zu reisen. Und NEIN, du kannst nicht mit mir kommen. Aber wenn du dich entschieden hast, wird sich dir ein Weg eröffnen.“ Von ihrem Lager aufstehend fragt sie noch: „Kann ich dir noch etwas für die Reise mitgeben? Als Dankeschön für die schöne Feder, die du mir geschenkt hast?“
Doch der sich ebenfalls erhebende Varg entgegnet: „Ne, lass mal, hab schon so viel Hilfe von dir bekommen. Mich freut’s, wenn sie dir auch Glück bringt. Und ansonsten hat uns der Baron Sornbar schon so reichlich belohnt. Ich sollte jetzt mal los, gibt ja noch genug in der Stadt mit aufzuräumen. Liegen ja noch immer tote Untote rum. Und jetzt, wo die Ältesten der Familien tot sind und die verbliebenen sich vertragen wollen, wird’s hier ja bald wieder bergauf gehen.
Ich glaub, ich werd´ mich erst mal an den Gnom oder die Bardin halten. Kann die ja mal fragen, ob die nicht nach Sarnburg wollen und dort durch das Mondportal.“ Mit neu gewonnenem Elan verabschiedet er sich, die rothaarige Albin herzlich umarmend. Beim Verlassen des Ladens ruft er noch einmal über die Schulter: „Mögen die Götter unsere Wege sich nochmals kreuzen lassen!“.
Carylle schließt lächelnd die Ladentür und denkt sich: „Ich hab ihm doch gesagt, ER entscheidet über seinen Weg. Aber er wird das schon noch verstehen… dauert bei ihm nur vielleicht etwas.“