Mein Name ist George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron, oder wie viele es abkürzen: Lord Byron. Ich bin ein britischer Dichter und habe es zu einer gewissen Berühmtheit gebracht; es gibt sogar einen Eintrag in der Encyclopædia Britannica über mich. Mein Leben ist also hinlänglich bekannt, deswegen möchte ich hier nur auf die wichtigsten Eckpunkte zu sprechen kommen.
Ich wurde am 22. Januar 1788 in London geboren, aufgewachsen bin ich allerdings in Aberdeen, Schottland, der Heimat meiner Mutter Lady Catherine Gordon of Gight. Meinen Vater, John Byron, habe ich nicht mehr kennen gelernt. Ich war drei Jahre alt, als er starb. Mit Zehn erbte ich, nach dem Tod meines Großonkels William, den Adelstitel Baron Byron of Rochdale in the County Palatine of Lancaster und das dazugehörige, weitgehend heruntergewirtschaftete Anwesen Newstead Abbey. 1808, nach erreichen der Volljährigkeit, nahm ich den damit verbundenen Sitz im House of Lords ein.
Soweit finanziell abgesichert konnte ich 1809 meine erste große Auslandsreise unternehmen. Ich besuchte zahlreiche Länder im Mittelmeerraum und widmete mich dem Schreiben. Fortuna war mir hold, gleich meine erste Veröffentlichung 1812 war sehr erfolgreich und machte mich schlagartig berühmt.
Diese Zeit waren auch meine wildesten Jahre. Ich hatte Liebschaften mit zahlreichen Frauen. Alles anständige Damen, die sich oft mehr erhofften, als eine kurze, feurige Affäre, aber ich musste sie enttäuschen, denn mein Herz hing schon früh an Augusta, der Tochter meines Vaters und seiner ersten Frau. Natürlich gab es ob dieser perversen Neigung schon bald Gerede, und mein eh schon angeschlagener Ruf wäre vollends dahin gewesen, wäre diese inzestuöse Beziehung jemals bekannt geworden. Deswegen heiratete ich auf Anraten meiner lieben und vertrauten Freundin Lady Melbourne im Jahr 1815 ihre Nichte Annabella Milbanke. Dieses Weib war allerdings so freudlos, bieder und verstockt, dass sie es regelmäßig schaffte, mich zur Weißglut zu treiben. Wir hatten schon bald ein Kind zusammen, doch auch das konnte nichts mehr retten. Ich hielt es nicht mehr aus. Mein Ruf war eh schon hinüber, also floh ich im April 1816 aus England. Was ich damals noch nicht wusste: ich sollte lebend nie wieder dorthin zurück kehren.
Den Sommer verbrachte ich mit meinem Leibarzt John Polidori in Cologny am Genfersee. Ich erinnere mich an lange Abende mit meinem Freund Percey Shelly und seine Liebsten, Mary Godwyn. Inspiriert durch die schwere Düsternis, die sich an manchen Tagen über den See legte, verfassten wir, wie in einem Wettstreit, zahlreiche Schauergeschichten und trugen sie uns gegenseitig vor. Einige bleibende Werke, unter anderem Marys Frankenstein und Polidoris The Vampyre, entstanden so. Auch war es mir vergönnt, Claire Clairmont, Marys Stiefschwester, kennen zu lernen. Sie war meine Liebe dieses Sommers und gebar mir meine zweite Tochter. Zu einer festen Bindung war ich aber nicht bereit, und im Herbst zog es mich dann weiter nach Venedig.
1817 verkaufte ich Newstead Abbey. Ich lebte zusammen mit Teresa, der Gräfin Guiccioli. Sie war, neben ihrer offensichtlichen Schönheit, auch außerordentlich inspirierend – und politisch. Sie gehörte zu den Carbonari und eckte unentwegt mit ihren Ansichten bei den anderen fürstlichen Familien an, so dass wir uns schon bald gezwungen sahen, Venedig zu verlassen.
Meine vielleicht glücklichste Zeit verbrachte ich bis 1823 zusammen mit Teresa in unserem Exil in Pisa. Durch ihr politisches Engagement kam auch ich in Kontakt zu der Gemeinde der Exilgriechen in Italien, die von dort aus ihren Widerstand gegen die osmanische Besetzung ihrer Heimat planten. Schon bald war ich gemein mit dieser Sache, und als man mir das Kommando über die freien griechischen Streitkräfte anbot, nahm ich dieses ohne zu zögern an. Ein Jahr später, am 19. April 1824, war ich tot. In den Geschichtsbüchern steht, dass ich an Entkräftung und Unterkühlung aufgrund der zahlreichen Aderlässe der Ärzte, die mich wegen einer hartnäckigen Erkältung behandelten, verstorben sei, doch das ist nur zum Teil wahr. Vielmehr war es der regelmäßige Blutverlust, der mich krank und hinfällig machte und zu meinem Ableben führte. Doch wie der geneigte Leser sicherlich bereits ahnt, war der Tod nicht mein Ende. Wie anders könnte es sein, dass ich sonst diese Zeilen hier schreibe.
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Ich traf Lorna Dingwall das erste Mal in London in einer Bar, in der sie als Sängerin auftrat. Der Laden war ein ziemlich heruntergekommenes Loch im Eastend, so nah an der Themse, dass man schon fast von einer Hafenkneipe sprechen konnte. Lorna beeindruckte mich mit ihrer glockenhellen Stimme und ihrer bezaubernden Schönheit. Wir verbrachten einige stürmische Liebesnächte miteinander, an die ich im Nachhinein nur noch verschwommene Erinnerungen habe. Ich wusste damals noch nicht, was sie war und dass sie mich bereits in der ersten Nacht mit ihrem Zauber dauerhaft an sich band.
Sie war meine Muse und zu einem bedeutenden Teil für mein künstlerisches Schaffen verantwortlich. Als ich England den Rücken kehrte, verlor ich bald den Kontakt zu ihr und meine Erinnerungen verblassten, doch sie, das weiß ich heute, hielt immer ihre schützende Hand über mich. Da war John Polidori, der den Sommer am Genfersee in der Villa Diodati sich um mein Wohlergehen kümmerte. Er war Lornas treuer Diener, und einige Passagen in unserer gemeinsamen Geschichte The Vampyre haben wir Polidoris tieferen Einblicken in die Schattengesellschaft Londons zu verdanken. Leider starb er viel zu früh.
In Pisa verdingte sich der Londoner Arzt Julius Millingen bei mir. Auch er war ein Vertrauter Lornas. Als ich mich entschloss, an die Front nach Griechenland zu gehen, zögerte er nicht, mich zu begleiten. Und als ich im Februar 1824 erkrankte, tat er sein möglichstes, mein Leben zu bewahren. Als er erkannte, dass ihm das nicht gelingen würde, weil er gegen schier übermächtige Kräfte antrat, zog er mich eines Abends schließlich ins Vertrauen. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon sehr geschwächt und dem Tode nah. Er offenbarte mir, dass er im Auftrag Lorna Dingwalls über mein Wohlergehen wachen sollte. Ich war erstaunt, ihren Namen zu hören, denn es war viele Jahre her, dass wir uns zuletzt begegnet waren. Millingen sprach sehr ehrfürchtig von ihr und bezeichnete sie des öfteren als ein Wesen höherer Art. Heute weiß ich, dass er mir versuchte zu erklären, dass sie ein Vampir war, eine unsterbliche Kreatur der Nacht. Sie war eine Künstlerin und sah in mir den schönen Geist, den Poeten, den man behüten, fördern und schließlich für die Unendlichkeit bewahren musste. Es war ihr aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht möglich, nachdem ich England verlassen hatte, während meiner Reisen an meiner Seite zu bleiben. Deswegen beauftragte sie ihre Getreuen, mir zu folgen und mich zu schützen. Julius Millingen war jetzt aber dabei, auf dieser Mission zu versagen, denn meine Schwäche rührte daher, so sagte er, dass sich in dem Heerzug, den ich gegen die Türken führen sollte, ein Vampir befand, der sich regelmäßig von mir nährte. Damals wusste Millingen nicht, um wen es sich handelte, noch traute er sich, die Kreatur zu stellen. Offensichtlich war allerdings, dass ich niemals lebend die Front erreichen sollte.[1] Der einzige Plan zu meiner Rettung war, dass ich sterben musste. Mein Körper würde dann präpariert und nach London überführt werden. Damit ich diese Reise in einer Kiste durch halb Europa überstehen würde, gab er mir eine Tinktur zu trinken: das Blut von Lorna Dingwall.
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Das potente Vampirblut war hundertmal berauschender als Laudanum und ermöglichte mir eine sichere Rückkehr nach London. Lorna empfing mich und offerierte mir, in die Schatten zu treten und der Unsterblichkeit als Vampir zu erlangen. Ich war ihr zu diesem Zeitpunkt bereits so verfallen, dass ich nicht zögerte. Doch mein Glück währte nur kurz, denn Lorna war es nicht erlaubt, einen Nachkommen zu erschaffen. Außerdem war sie eine Art Faustpfand der Londoner Gesellschaft, um sich des Einflusses Edinburghs zu erwehren. Sie war als Geisel in der Stadt. Und so wurde sie vor den Regenten Valerius zitiert, und es wurde ihr befohlen, ihre Brut zu vernichten.
Zu meinem Glück brachte sie das nicht übers Herz. Dennoch konnte sie kein weiteres Risiko eingehen, und so trieb sie mir einen Pflock durchs Herz, auf dass ich in Starre verfiel, und verbarg mich in den dunkelsten Kellern.
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Viele Jahre später erwachte ich auf den Schlachtfeldern von Verdun. Der Krieg der Menschen war auch ein Krieg der Vampire geworden, und so kämpfte ich für das Empire in den nicht enden wollenden Schlachten des ersten Weltkriegs – und wie durch ein Wunder überlebte ich.
Lorna konnte mich nicht mit zurück nach London nehmen, denn schließlich sollte ich vernichtet sein. Und auch wenn Mithras mittlerweile zurück an die Themse gekehrt war und den Regenten abberufen hatte, war es ungewiss, ob er meiner Existenz zustimmen würde. So übergab mich Lorna einer Freundin, die mich mit nach Berlin nahm und mich dort lehrte, was es bedeutet, ein Vampir zu sein. Durch die Schlachten konnte ich zwar meine Fähigkeiten recht zuverlässig einsetzen, hatte aber überhaupt keine Ahnung von den Sekten und ihren Traditionen – den Gesetzen der Kinder Kains. Ich lernte viel von Madame Géraldine Radeaux und baute mir eine neue Existenz in Berlin auf, doch dann zog der Krieg erneut wie eine düstere Bestie über Europa.
↑[1] Spätere Nachforschungen ergaben, dass die Tremere aus Wien einen Mann entsandt hatten, der die osmanische Bedrohung an den Bosporus zurück drängen sollte und sich dazu den griechischen Freischärlern bediente. Ich, als Brite, war für die Tremere eine latente Gefahr, da sie befürchten mussten, dass das Empire so auch in Südeuropa eine Machtbasis etablieren würde. (Ich erfuhr auf diesem Wege, dass ich damals sogar als griechischer König gehandelt wurde, sollte ich die Türken besiegen. Eine wirklich absurde Vorstellung!) Der Name des Tremere, der indirekt für mein Ableben verantwortlich zeichnete, ist Karl Schrekt.