Tagebucheintrag von Norvid Runeson
Datum: Februar 1881
Ort: Upsala
Heute erreichten wir den Bahnhof von Upsala. Als Erstes begegnete uns Nils, der sofort unsere Koffer tragen und eine Kutsche für uns besorgen wollte. Diese brachte uns jedoch nur bis in die Nähe des Schlosses, die Kutscher meiden den Ort aus Aberglauben. So stiegen wir ab und gingen den Rest des Weges zu Fuß. Entlang des eisernen Zauns bis zum schweren Eisentor, das wir passieren mussten, ehe wir in den verschneiten Schlosspark gelangten. Alles lag still und weiß, nur die kahlen Äste ragten schwarz aus dem Schnee.
Am Zaun, kurz bevor wir das Tor erreichten, fielen uns Spuren im Schnee auf. Linda und Clara entdeckten zwei verschiedene, die eine wie von einem Hund, die andere riesig, sie erinnerte uns an die Spur des Jägers aus der Schneekugel. Es wurde uns, als wäre die Luft ein paar Grad kälter geworden. Clara schätzte, die Spuren seien ein bis zwei Tage alt. Der gepflasterte Weg vor dem Tor war bereits vom Schnee freigeräumt, doch der Anblick ließ uns frösteln.
Ida öffnete die schwere Tür des Schlosses, und wir traten ein. Viola Frisk erschrak, als wir etwas hastig hereinstürmten. Sie machte sofort den Blauen Salon warm und erzählte von einem seltsamen Vorfall im Stall, wir sollten Algot darauf ansprechen. Auch Ingrid Bäcklund sei hungrig, fügte sie hinzu, und machte sich daran, etwas vorzubereiten. Johanna und Viola gaben wir ein paar französische Leckereien aus dem Fikahaus.
Auf dem Weg zu unseren Zimmern sahen wir durch die Tür des Blauen Salons, wie etwas Geflügeltes am Fenster vorbeihuschte, vielleicht ein Gargoyle. In den Zimmern entzündeten wir die Kamine. Ida behauptete, im Kamin einen Schatten gesehen zu haben. Kurz darauf polterte es in der Bibliothek. Dort fanden wir Ingrid Bäcklund, die lesend mit einem Glas Wein am Feuer saß.
Ingrid suchte uns später auf. Sie wirkte, als läge ihr etwas auf der Seele, und berichtete, dass sie die letzten Tage allein im Schloss verbracht habe. Sie sprach von Amanda Lorentz, mit der sie kürzlich geredet habe, Amanda wollte sich gestern bei ihr melden, doch seitdem fehlt jede Spur. Ingrid hatte sogar ein Telegram an die Upsala Gazette geschickt, um nach ihr zu fragen, ohne zu bedenken, dass man sie daran erkennen könnte.
Amanda, eine Kollegin und Freundin, habe Nachforschungen zur SVEA-Bergbaugesellschaft betrieben und dabei eng mit Franzibald Hansen zusammengearbeitet. Wir erzählten ihr von Franzibalds Tod. Ingrid sprach davon, rechtlich gegen ihren Onkel vorzugehen, da dieser sie zwangsweise in die Heilanstalt einwies. Wir rieten ab, denn wir spürten deutlich, dass größere Mächte im Hintergrund wirkten.
Sie erwähnte außerdem, dass Amanda neben dem Tagebuch von Emma Bäcklund auch das Buch Homo Ferus für sie aufbewahrt habe. Ich machte mir eine geistige Notiz, dass wir dieses Buch von Carl von Linné dringend brauchen würden, um ein tieferes Verständnis für die Vaesen und die mystischen Vorgänge zu erlangen. Aus den Aufzeichnungen ging hervor, dass Ingrids Großmutter einst mit angesehenen Persönlichkeiten verkehrte, bis sie 1830 die Gesellschaft verließ. Es hieß, sie habe sich mit dunklen Künsten beschäftigt. Zwei Töchter hatte sie, doch zuvor ein weiteres Kind, das im Alter von sechs Jahren starb. Ihr Geist habe Ingrid gebeten, ihre Schuld zu tilgen und Selma Ruhe zu schenken. Ich machte mir außerdem die Notiz, mehr über Mylinge herauszufinden. Ingrid fürchtet nun, dass Amanda ihrer Recherche wegen etwas zugestoßen sein könnte.
Beim Abendessen im Blauen Salon überreichte uns Johanna einen Brief von Dr. Giacamo Matteo Falcone. Er bat uns, Lisa Finkel aufzusuchen, ehe sie dem Wahnsinn verfiele. Außerdem lud uns die Familie von Kaiserling in ihr neues Haus in Alt-Upsala ein. Ingrid erzählte von einem bevorstehenden Ball an der Universität von Upsala, sogar König Oskar II. aus Stockholm werde erwartet.
Die Zeitung berichtete von einer Überlastung der Nervenheilanstalt und von Hilfe aus Stockholm und Großbritannien. Professor Niklas Frejd sei abberufen worden, sein Sohn habe übernommen. Ingrid beklagte, dass Amandas Artikel nicht veröffentlicht würden. Ich erwähnte, dass neue Geldgeber in die Gazette eingestiegen seien. Auch die Universität profitiere von großzügigen Spenden.
Am Nachmittag sprachen wir mit Algot Frisk. Er warf uns vor, Franzibald den Grünen Stein nicht abgenommen zu haben, und drängte, wir sollten seine Spur aufnehmen. Er empfahl, mit Franzibalds Butler zu reden und nach Unterlagen zu suchen. Ingrid solle im Schloss bleiben, wir fürchteten, sie könne sich draußen übernehmen und erfrieren. Auf viele Nachfragen hin gab Algot zu, dass selbst er nicht wisse, was die Vätten wirklich wollten, nur dass sie unzufrieden seien. Für eine Anleitung zum Schloss verwies er uns auf Carl von Linné, mit dem wir nur in der Geisterwelt sprechen können. Und schließlich, der große Ball. Viola und Johanna sollten uns mit Kleidung versorgen.
Später fuhren wir in die Stadt, zunächst zu Amanda Lorentz Wohnung. Niemand öffnete. Nachbarn hatten sie seit zwei Tagen nicht gesehen. Linda knackte die Tür, und ein strenger Geruch schlugen ihr und Clara entgegen. Eine Katze sprang heraus. Die kleine Wohnung war ansonsten ordentlich, nur verdorbenes Essen und das Katzenklo stanken. Im Papierkorb lag der Entwurf ihres letzten Artikels. Doch es gab keine Hinweise auf ein Versteck.
Darauf suchten wir Franzibalds Haus auf. Sein Butler und Lebensgefährte Björn Prahl ließ uns ein. Er bat uns herein und wir erzählten ihm von Falun. Das Haus war voller exotischer Dinge, aber geordnet. Er berichtete, Franzibald habe eng mit der geologischen Fakultät gearbeitet, doch sein eigentliches Interesse galt den Minen und der SVEA-Bergbaugesellschaft. Alles habe mit der Abisko-Mine in Lappland begonnen, vor zehn Jahren wiedereröffnet, aber 1830 geschlossen, im Jahr in dem Oscar Hjort ermordet wurde. Dort war der grüne Stein gefunden worden. Wie Franzibald ihn selbst erhielt, wusste der Butler nicht. Amanda Lorentz habe ihm geholfen. Der Butler ließ uns Franzibalds Arbeitszimmer sehen und untersuchen.
Im Arbeitszimmer entdeckten wir exotische Objekte, ein Krokodilskelett hing von der Decke. Auf dem Schreibtisch lag der Entwurf eines Artikels über die Abisko-Mine und die mangelnde Transparenz der Bergbaugesellschaft. Ein Bericht sprach von 30 Toten bei einem Tunnelunglück im Jahr 1830, als ein seltsames grünes Material entdeckt wurde. Rubine, Malachite, Quarze lagen verstreut herum. Vor einem Bücherregal fanden wir Kratzspuren, Linda entdeckte eine verborgene Treppe dahinter.
Mindestens zehn Meter führte sie hinab, bis zu einer schweren Tür. Dahinter ein Gewölberaum mit Altar, Kronleuchter und verstreuten Büchern. Staub bedeckte alles. Ida trat als Erste ein. Plötzlich schlug die Tür zu, das Licht erlosch, eisige Kälte umfing uns. Eine Stimme, tief und dämonisch, fragte: „Wer seid ihr?“ Wir stellten uns vor und erklärten, wir suchten Franzibalds Unterlagen.
Da flammte das Licht wieder auf, und wir standen in einem aufgeräumten Raum. Ein Vätte stellte sich als Horn vor, gelegentlich sprach eine zweite Stimme, wahrscheinlich eine andere Vätte. Wir erzählten vom Tod Franzibalds. Schließlich vertraute er uns eine Kiste an.
Als ich sie öffnete, stockte mir der Atem. Zwei grüne Steine lagen darin, kleiner als der von Franzibalds Amulett, dazu ein Notizbuch. Darin schrieb Franzibald über die Steine und über die Vanadisir [siehe für das Wort die anderen Protokolle], einen geheimen Bund der Nachfahren Freyas. Namen wie Sigrid Magnusson tauchten auf. Zeichnungen ergänzten die Aufzeichnungen. Die Steine wirkten fast lebendig, als wären sie einst Teil von etwas Organischem gewesen. Ein Zitat aus der Edda fand sich darin: „Odin …“.
Die Notizen besagten, die Steine ziehen Vaesen an und können deren Kräfte aufnehmen. Sie wechseln zwischen aktiver und inaktiver Phase. In den Händen der Magnussons könnten sie wirtschaftlich, militärisch oder okkult missbraucht werden. Mehrere Steine zusammen könnten Explosionen hervorrufen. Franzibald war überzeugt, dass sie die Welt von Menschen und Vaesen verändern könnten, Worte, die fast dieselben waren wie jene Oscar Hjorts über den Tod der Balladen.



