Die Galeere der Toten

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21.06.358 a. c. – Khadras’ Galeere kämpft sich Ruderschlag für Ruderschlag durch die Wellen des Neumeeres voran. Der Kurs führt zur Insel Schallsea. Eingesperrt unter Deck machen wir die Hölle durch.
Die Sklaven, zu denen nun auch meine Gefährten und ich gehören, sind mit schweren Eisenketten an die Ruderbänke gefesselt worden. Drei Mal pro Tag erhalten wir eine Kelle mit brackigem Wasser zum Trinken. Jedem Sklaven steht täglich eine Ration eines muffig schmeckenden Breis aus Getreide zu. Doch weder zum Essen, noch zum Schlafen oder um sich zu erleichtern werden uns die Ketten abgenommen. Die Luft unter Deck stinkt bestialisch nach Schweiß, Pisse und Scheiße. Ein Umfeld, in dem Krankheiten umgehen und selbst Gossenzwerge sich über den Dreck bescheren würden. Murgrosch hat es böse erwischt: Der tapfere Krieger fiebert, pinkelt Blut und seine Kräfte schwinden nach und nach.
Gnadenlos gibt der Trommler das Tempo der Ruderschläge vor. Gerät jemand von uns aus dem Takt, bekommt er sofort die Peitsche des Aufsehers zu spüren. Die meisten unserer Mitsklaven haben sich ihrem scheinbar unausweichlichem Schicksal ergeben. Sie werden hier rudern, bist die Strapazen ihnen den Tod gebrach haben. Habbakuk sei Dank, sitzen Gotrek und ich in Hörweite zu einander. So nutzen wir jede Gelegenheit, um flüsternd die Flucht von der Galeere zu planen.

26.06.358 a. c. – Die Galeere erreicht in der Nacht Shallsea und geht in einer abgelegenen Bucht vor Anker.
Auf Deck bricht Geschäftigkeit aus, Beiboote werden zu Wasser gelassen. Nachdem der Aufseher das Ruderdeck verlassen hat und die Sklaven mit dem Trommler allein sind, schlagen wir zu.
Ich nehme die Gestalt eines Waschbären an und schlüpfe aus den Fesseln. Gotrek herrscht den Gefangenen an seiner Seite an und mit vereinten Kräften gelingt es ihnen, die Ketten zu brechen. Die Gefangenen bemerken, dass etwas vor sich geht und beginnen zu murren. Rasch haste ich zu Murgrosch, nehme meine menschliche Gestalt wieder an und beginne, den fiebernden Zwerg zu heilen.
Bevor der Trommler Alarm schlagen kann, stürzt sich Gotrek auf den Mann und schlägt ihn nieder. Die Sklaven beginnen immer lauter zu rufen, dass wir sie losmachen sollen. Schwere Schritte poltern die Stiege hinunter, dann betritt der Aufseher wieder das Ruderdeck. Er schlägt nach Gotrek, doch die Peitsche gleitet ihm aus der Hand. Rasch schnappt sich der Zwerg die Waffe. Der Aufseher zückt seinen Nagelspieß und sticht nach Gotrek. Gemeinsam versuchen wir, den Kerl zu überwinden, doch Khadras’ Scherge hält sich wacker. Als erneute Schritte weitere Gegner ankündigen, lassen wir von dem Aufseher ab und eilen zu Murgrosch, der noch immer angekettet ist. Gotrek hilft seinem Vetter, die Ketten zu brechen. Als Matrosen unter Deck quellen, hält Gotrek sie mit der Peitsche auf Abstand, während wir langsam zurückweichen.

Ich forme in die hölzerne Schiffswand der Galeere ein Loch und springe hinaus ins Meer.
Gotrek stößt den geschwächten Murgrosch durch die Öffnung ins Wasser, bevor er selbst von Bord springt. So schnell wir können, schwimmen wir in Richtung der Küste.
Um den Schergen des „Erleuchteten“ zu entgehen, bewegen wir uns dabei weg von der Bucht, in der wir Khadras’ Leute vermuten. Es gelingt uns, einen menschenleeren Strand zu erreichen. Hastig tauchen wir im Unterholz eines nahen Waldes unter. Für den Moment sind wir entkommen.

27.06.358 a. c. – Als ich mich im Morgengrauen zum Gebet an Habbakuk zurückziehe, bemerke ich einen kleinen Affen. Ich nehme ebenfalls Affengestalt an und folge dem Tier zu einem Baum, auf dem fremdartige Früchte wachsen. Als ich in das Geäst des Baumes hinaufklettere, sehe ich einen Menschen, die in etwa 50 Schritt Entfernung durch den Wald streift. Einer von Khadras’ Häschern? Rasch steige ich vom Baum herunter, nehme meine wahre Gestalt wieder an und eile ins Lager zurück, wo Gotrek bei Murgrosch geblieben ist. Es gelingt mir, Murgrosch endgültig von seiner Krankheit zu heilen. Danach erschaffe ich Wasser, damit wir unseren Durst stillen können. Gemeinsam kehren wir zu dem Baum zurück, um einige von den Früchten zu ernten. Durch dieses einfache Frühstück gestärkt, wagen wir uns zu der Stelle vor, an der ich den Fremden gesehen habe. Wir entdecken Abdrücke von weichen Mokassins, die nicht zu den Stiefel von Khadras’ Söldnern passen. Vorsichtig folgen wir der Fährte tiefer in den Wald hinein. Nach einer Weile erreichen wir eine baumlose Kuppe, von deren Höhepunkt unser Blick auf eine weitere Bucht fällt, an der sich eine kleine Siedlung befindet. Das Dorf besteht aus drei Dutzend Rundhütten, die in einem Baustil errichtet worden sind, der uns bislang unbekannt ist. In der Bucht befindet sich ein Steg, an dem ein kleiner Küstensegler festgemacht liegt, der auch über Ruder verfügt. Auf einem kleinen benachbarten Hügel ist ein großer Pfahl aufgerichtet worden, der sicher zeremoniellen Zwecken dient. Bis auf die verdreckten, zerfetzten Lumpen, die einst unser Unterzeug waren, nennen wir nichts mehr unser Eigen. Weil wir dringen auf Hilfe angewiesen sind, beschließen wir, das Dorf aufzusuchen und um eben jene Hilfe zu bitten.
Auf dem Weg zur Siedlung nehmen wir den Pfahl näher in Augenschein. Er ragt sechs Schritt in die Höhe und besteht aus grauweißen, vertrocknetem Holz. Der Pfahl ist quadratisch und verziert mit Schnitzereien, die große Gesichter darstellen, welche in die vier Himmelsrichtungen blicken.
Vor dem Dorf sitzt ein junger Mann mit olivfarbener Haut und schwarzem Haar in traditioneller Lederkleidung. Er ist mit einem Flechtwerk beschäftigt und an seinem Gürtel sind einige Bolas befestigt. Als wir uns langsam dem Dorfeingang nähern, stellt sich der Mann uns in den Weg.
Es stellt sich heraus, dass es sich bei dem Dorf um eine Siedlung der Que-Nal handelt.
Der Krieger, mit dem wir sprechen, heißt Obense. Auch wenn er einen anderen Dialekt spricht, können er und ich uns auf Plainsmen, der Sprache der Stammesvölker, unterhalten. Ich berichte, was uns widerfahren ist und bitte um Hilfe. Obense führt uns ins Dorf und in eine der Hütten, die um einen tragenden Pfosten errichtet worden ist. In der Mitte gibt es eine Feuerstelle, deren Rauch durch einen Abzug im Dach entweicht. Holzflechtwerk bedeckt den Boden, der aus festgestampften Lehm besteht. Wir nehmen auf den Matten und Fellen Platz, die hier bereitliegen.
Rund um den Pfahl ist ein Tisch aufgebaut, von dem man auf dem Boden sitzend essen kann.

… Kurze Zeit später kehrt Obense mit einigen Frauen zurück, die uns warmen Hirsebrei, gebratene Rübenscheiben und kalten, belebenden Tee reichen. Ausgehungert langen wir zu.

Eine der Frauen kümmert sich mit Salben und Verbänden um unsere Wunden. Ihre Begleiterinnen kehren kurze Zeit später zurück und bringen uns neue Kleidung: Mokassins, Lederüberwürfe,
Jacken ohne Kapuzen und Lendenschürze. Bevor wir diese Sachen anziehen, waschen wir uns im Wasser der Bucht und kehren dann zur Hütte zurück.
Wir ziehen die Ledergewänder an, während unsere alten Lumpen auf einem Abfallfeuer verbrannt werden. Dann tritt Obense erneut zu uns, diesmal in Begleitung einer etwas älteren Frau, in deren schwarzen Haar sich einige silbergraue Strähnen abzeichnen. Sie stellt sich als Malativa vor. Sie beherrscht die Handelssprache, auch wenn ihre Worte einen deutlichen Akzent haben. Von ihr erfahren wir, dass auf Schallsea zwei Stämme leben, die nicht miteinander verwand sind: die Que-Nal und die Wemitowok. Letzte sind die ursprünglichen Bewohner des Eilandes, während die Que-Nal vor Generationen vom Festland aus übersiedelten. Ich berichte von den Erlebnissen, die mein Lehrmeister Nachtpirscher und ich mit dem Drachen Blitz hatten und die mich letztlich mit den Zwergen zusammengebracht haben. Malativa hinterfragt, ob es nicht gerechtfertigt sei, alle Drachen zu töten, da diese mächtigen Kreaturen eine Gefahr für die Lebensgrundlage der Que-Nal darstellen. Sie offenbart, dass ihr Stamm und die Wemitowok alle Drachen auf Schallsea erschlagen haben. Fuchsohr vertritt die Meinung, dass es gerechtfertigt sei, Drachen zu jagen, die sich als Bedrohung erwiesen haben. Davon abgesehen sei es falsch, alle Drachen zu töten, bloß weil sie Drachen sind. Malativa stimmt zu, dass sie mittlerweile eine ähnliche Ansicht vertritt. Sie berichtet, dass die Wemitowok weiterhin Khadras’ dienen, der die Stämme gegen die Drachen aufgebracht hatte. Khadras wiederum diene Artha, die jenseits des „Heckenlabyrinthes“ östlich von Port Schallsea leben soll. Dies erklärt, warum die Insel so ein wichtiger Stützpunkt für den „Erleuchteten“ ist. Malativa entscheidet, dass wir noch eine Nacht das Gastrecht der Que-Nal in Anspruch nehmen dürfen, bevor wir unserer Wege gehen müssen. Nachdem wir allein sind, planen wir, die Galeere zu sabotieren, um Khadras’ Plänen einen Dämpfer zu verpassen. Anschließend wollen wir nach Port Schallsea weiterziehen.

28.06.358 a. c. – Bevor wir das Dorf verlassen, erhalten wir von Obense noch etwas Reiseproviant und jeder ein Langmesser, einen Speer, einen Schild sowie einen Kurzbogen samt Pfeilen und eine Bola. Ich bekomme zudem noch eine Lederrüstung der Que-Nal geschenkt. Für die Zwerge hat der Stamm leider keine passenden Rüstungen zur Verfügung. Wir danken für die Gastfreundschaft der Que-Nal und machen uns auf den Weg zur Bucht zurück. Ungesehen gelangen wir zu den Dünen, von denen aus wir die Galeere beobachten. Am Strand der Bucht gibt es einen kleinen, verwitterten Steg. Das Schiff liegt vielleicht dreihundert bis vierhundert Schritt vom Ufer entfernt im Wasser. Zwar sind an Land keine Menschen zu sehen, doch an Bord der Galeere können wir Bewegungen ausmachen. Wir waren ab, bis die Nacht ihren schwarzen Schleier über die Szenerie legt.
Als die Sonnen untergegangen ist, ziehe ich mich nackt aus und schleiche hinab zum Meer. Leise schwimme ich zu der Galeere hinüber, werde jedoch von einer Wache bemerkt. „Alarm!“ schallt deren Ruf über Deck. Mir bleibt keine Zeit zum Zögern. Ich forme ein weiteres Loch in den Rumpf der Galeere, dieses Mal unterhalb der Wasserlinie. Als Meerwasser in das Schiff eindringt, verwandele ich mich in einen Otter und tauche zum Strand zurück. Wieder in menschliche Gestalt schlüpfe ich in meine Kleidung. Wir werfen einen Blick zur Galeere zurück, die zwei Beiboote zu Wasser gelassen hat. Auf beiden Booten scheint sich neben Menschen auch jeweils ein Minotaurus zu befinden. Rasch schlagen wir uns ins Gebüsch und erreichen den Fluss, der durch den Wald in Richtung Meer fließt. Wir überqueren das Gewässer und schlagen uns weiter in Richtung Süden durch den Wald.

01.07.358 a. c. – Als wir uns im Morgengrauen nochmal der Bucht annähern, stellen wir fest, dass die Galeere auf Grund gesunken ist. Nur noch das Heck ragt aus dem Wasser. An Land sehen wir einige Söldner und andere Mitglieder der Crew, jedoch niemanden von den Sklaven. Sie sind zusammen mit dem Schiff untergegangen und jämmerlich ertrunken. Ein schrecklicher Preis für die Sabotage, der mich noch bis in meine Träume verfolgen wird, war es doch mein Zauber, der zu ihrem Tode führte. Gotrek knirscht mit den Zähnen, befinden sich neben unserer Ausrüstung auch die Ringe, die er auf Lunitari geschmiedet hat, noch im versunkenen Wrack. Wir wenden uns ab und kehren in den Schutz des Waldes zurück. Nach einer Weile erreichen wir einen Karrenweg und folgen der Straße, ohne weiteren Reisenden zu begegnen. Als es dunkelt, schlagen wir ein Stück abseits des Weges unser Nachtlager auf.

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