Ernter des Leids 6 – Die Tischlerin

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Freitag, der 6. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Krätze blieb noch einige Stunden bei Caribdus in denen vor allem er von den Kenntnissen des alten Magus profitierte. Beide verabredeten sich lose für die kommenden Tage und Wochen. Der Goblin bot auch seine just erbeutete Goldkrone an, doch an Geld war Caribdus nicht interessiert. Allerdings deutete er an, dass ihm schon früher oder später etwas zur Kompensation einfallen würden.

Wilbur und Joran begaben sich zurück zur Turmklausel und schlugen mehr oder weniger die Zeit tot bis zum Ablauf von Melinas Ultimatum um 14 Uhr. Doch als wäre nichts gewesen schneite kurz vor Fristende Melina wieder ins Gasthaus hinein und quasi im Schlepptau tauchte auch Krätze auf, Gemeinsam saßen die vier am Tisch und hörten sich an was Melina zu berichten hatte.

Die Tischlerin hatte herausgefunden, dass die Wachen vor dem Murr Haus zu den sogenannten Schweren Jungs gehörten. Diese Organisation war in Kreutzing hinlänglich bekannt als Gruppe von Schlägern, Erpressern, Dieben und anderen Kriminellen die vor allem im Stadtteil Kummer ihre Heimat hatten. Angeführt wurden sie von Wotan Silberzunge, dessen Name ja schon vor der Kirche von Vater Gregorius gefallen war. Diese Schläger waren anscheinend von zwei betuchten Männern im Gefallenen Soldaten angeheuert worden mit dem Auftrag niemanden in das Haus zu lassen. Die angeheuerten Wächter hatten ihren Posten in einem Haus gegenüber des Murr Hauses bezogen und beobachten wohl schon seit zwei Wochen das Anwesen. Als Randnotiz erwähnte Melina auch, dass interessanterweise ein Uhrwerk in einem Schuppen auf dem gleichen Gelände lebte, das sich die Schläger als Basis auserkoren hatten. Man munkelte, dass Wotan mächtig unter Druck stehen würde nur genau woher dieser Druck kam, war in der Kürze der Zeit nicht ermittelbar.

Der Bericht von Melina rief mehr Fragen hervor, als das er welche beantworten würde. Einige Spekulationen schwirrten um den Gasthaustisch wie ein aufgeschreckter Fliegenschwarm. Was hatte Karl Brünne damit zu tun? Warum musste ein verlassenes Haus bewacht werden in das eh niemand bei Trost einen Fuß reinsetzte? Wer waren die reichen Männer, die die Schweren Jungs angeheuert hatten? Wollten sie das Auge selber oder war es eine Auftragsarbeit für jemanden, der noch unbekannt im Hintergrund die Fäden zog? Aber darüber hinaus stand auch Melina im Zentrum des Interesses. Wie war war es ihr überhaupt möglich gewesen diese Informationen in Erfahrung zu bringen? Um etwas mehr Privatsphäre zu haben, ging man auf eines der gemieteten Zimmer und dort begann die Tischlerin von ihrer Zeit vor Pfeilersruh zu berichten.

Sie war Teil der Schweren Jungs Bande gewesen, genau wie ihre Ziehmutter auch. Dementsprechend kannte sie die Strukturen, Treffpunkte und hatte ihre Kontakte um Informationen zu beschaffen. Bevor sie nach Pfeilerruh geflüchtet war, hatte es einen Vorfall gegeben. Melinas Ziehmutter war anscheinend ein achtbares Mitglied der Jungs und hatte eines Abends ein Treffen mit Wotan welches Melina heimlich beobachtet hatte. Bei diesem Treffen war ein Mann zu gegen gewesen, den Melina bis dato niemals gesehen hatte. Dieser Mann trug ständig einen Kapuzenmantel und hielt sich auch sonst mit seinen Erkennungsmerkmalen sehr bedeckt. Melinas Ziehmutter kannte aber anscheinend diesen Mann, denn auf diesem Treffen versuchte sie ihn umzubringen. Der Mordanschlag misslang und kehrte sich gegen die Attentäterin, die durch die Klinge eben jenes verhüllten Mannes starb. Wotan gab einen Suchbefehl aus, um auch Melina dingfest zu machen, woraufhin sie floh und sich als Tischlerin in Pfeilersruh ausgab. Als letzte Ehre gegenüber ihrer einstigen Ziehmutter aber nahm Melina die Gestalt ihrer einstigen Ziehmutter an, denn in Wirklichkeit war sie ein Wechselbalg und hatte keinen eigenen Namen.

Joran, Wilbur und Krätze waren ob dieser Offenbarung ziemlich sprachlos. Der Goblin berappelte sich als erstes und versuchte die Gunst der Stunde in der sich Melina so redselig zeigte zu nutzen und lenkte das Gespräch wieder auf das so ominöse Kästchen. Er konnte es fast nicht glauben, als sie tatsächlich es bereitwillig hervor holte und auf dem Tisch abstellte. Umgehend begann Krätze mit der Inspektion, bevor es sich Melina anders überlegen konnte. Die berichtete derweil, dass dieses Kästchen und das Stück Kohle dass in ihm lag einst ihrer Ziehmutter gehörte. Diese hatte immer behauptet, dass es einen schlechten Einfluss ausübte und ihr einstiger Geliebter dem Bann auch bedauerlicherweise erlegen war. Warum die Ziehmutter es behalten hatte, war unklar. Melina behielt es als Erinnerungsstück. Krätze hatte unterdessen sich in die Hand gebissen und konnte abermals beobachten, wie das Stück Kohle sein Blut magisch anzog. Er ging allerdings kein Risiko ein und wischte sein Blut sicherheitshalber auf bevor es vom Stein aufgesogen werden konnte. Im Anschluss nahm er seinen Kupferlöffel in die Hand und widmete sich den arkanen Schwingungen. Sichtlich fasziniert von dem Gegenstand seiner Betrachtung begann er zu murmeln: “Nekromantie. Ganz eindeutig. Alt. Sehr alt sogar. Und immer noch stark. Sehr komplex…”, als Melina das Kästchen wieder schloss und verstaute. Krätze riet, dass Kästchen gut zu verstecken und besser nicht überall mit hin zu nehmen, wenn Melina Ärger vermeiden wollte.

Wie auf’s Stichwort klopfte es an der Zimmertür. Eine angesäuerte Trude Braun stand davor und ereiferte sich, dass unten im Gasthaus die Stadtwache nach Wilbur und den anderen suchte. Nach einer Schrecksekunde stellte sich heraus, dass Alyssa unten wartete und den Auftrag hatte die Anwesenden ins Rathaus zu begleiten. Jonas Kreucher wollte mit allen reden und sich den Bericht der Zivilisten ebenfalls anhören. Auf dem Weg dorthin plauderte Joran mit Alyssa ganz unverfänglich und erfuhr so, dass sie ihren Vorgesetzten fast alles wahrheitsgemäß berichtet hatte. Nur dass es einen Deal mit dem Organräuber gegeben hatte, hatte sie unter den Teppich gekehrt.

Nach 20 Minuten Wartezeit im Wartesaal des Rathauses in Gaffel führte ein Bursche im Livree Wilbur und die anderen in einen Salon. Dort angekommen war einer der aufgestellten Ohrensessel bereits von einem leicht schnarchenden, alten, mit wirren schlohweißen Haaren aber gut gekleideten Halbling belegt, der sich anscheinend ein Nickerchen gönnte von seiner anstrengenden Arbeit für die Stadt Kreutzing. Jonas Kreucher, wie immer mit einem erloschenen Zigarrenstummel in einem Mundwinkel, tauchte wenige Augenblicke später auf. Um den schlafenden Halbling, den er als Helder Fobb vorstellte, nicht zu wecken, sprach er in leisen Tönen den ausdrücklichen Dank der Stadt aus. Nur durch das heldenhafte Eingreifen dieses doch sehr interessanten Trupps war es möglich gewesen das Leben von Vater Gregorius zu retten. Herr Kreucher berichtete auf Nachfrage, dass man gezwungen war das alte Murr Haus zu überprüfen. Tatsächlich bestätigte er, dass einer der Toten Karl Brünne war, der Sohn vom bekanntesten Advokaten der Stadt. Sein Vater, Gunther Brünne, hatte ihn auch vor ein paar Tagen als vermisst gemeldet. Was er da gemacht habe, war völlig unklar. Die Version der Ereignisse von denen Wilbur und Joran Zeugnis abgaben, war mehr oder weniger deckungsgleich mit der von Alyssa.

Nachdem die Berichte auf freundliche und ehrlich wirkende Art und Weise ausgetauscht waren, erkundigte sich der Chef der Braunröcke wie die weitere Planung aussähe oder ob weitere Verdachtsmomente vorlägen. Der kleine Goblin war mittlerweile schon ziemlich unruhig auf seinem Stuhl geworden, da die Ermittlungen seiner Meinung nach offensichtlich in eine völlig falsche Richtung gingen und konnte nicht länger an sich halten. Er bat darum, ob man in einem wirklich privaten Zimmer die Besprechung fortführen könnte und so wechselte man den Raum und ließ Helder Fobb allein zurück. Krätze eröffnete dann Jonas Kreucher, dass es einen Handel mit dem Organräuber gegeben hatte. Und dass dieser von dem Auge der Leere gesprochen hatte, was anscheinend im Murr Haus all die Jahre gelegen hatte. Dass vermutlich ein Buch ebenfalls mitgenommen worden ist, aber vom Schwert und von Robe und Schädel, die jetzt bei Caribdus lagen, berichtete er nicht. Wilbur deutete ebenfalls an, dass es Hinweise gab die auf eine Verknüpfung mit Wotan Silberzunge deuteten. Und das dies alles bedeutete das Karl Brünne nicht unglücklich im Murr Haus umgekommen war, sondern dass er dort vermutlich in voller Absicht selber eingedrungen und in irgendeine Machenschaft verwickelt war.

Jonas Kreucher entschuldigte sich kurz und kam mit einem Zettel wieder. Auf diesem Zettel war eine Zeichnung ganz ähnlich zu der, die schon bei Vater Gregorius gefunden wurde. Er gestand, dass diese Zeichnung ein Abbild eines der Arme von Karl Brünne war. Diesem Hinweis müsse diskret nachgegangen werden und dass es vermutlich eine gute Idee wäre bei den Brünnes anzufangen. Mehr oder weniger offen fragte Kreucher nach der Hilfe der ohnehin schon tief involvierten Retter von Vater Gregorius. Keiner der Beteiligten verweigerte sich, so dass Kreucher anbot sie allesamt zu Hilfswachtmeistern zu machen und noch heute das entsprechenden Schreiben ihnen zukommen zu lassen. Eindringlich mahnte er Wilbur, dass sie damit Vertreter der Stadt waren und sich entsprechend zu verhalten hätten, sofern sie offiziell unterwegs waren, was vielleicht nicht immer eine gute Idee wäre. Entscheidende Berichte sollten direkt an ihn kommuniziert werden. Beim Abschied dankte er abermals allen Beteiligten und fragte wie auch schon eingangs Melina, ob sie sich nicht doch kennen würden. Der Körper den das Wechselbalg trug, war also doch noch vage bekannt in Kreutzing.

Die besiegelten Unterlagen und ein Abzeichen trafen in den Abendstunden in der Turmklausel ein. Alles zu Händen von Herrn Wilbur Weinberger, dem Kreucher anscheinend das meiste Vertrauen entgegen brachte. Für vier Wochen stand man nun im Dienst der Stadt. Unterdessen wurde beratschlagt, wie die nächsten Schritte auszusehen hätten. Ob man Wotan Silberzunge mit Melinas Körper Angst einjagen könnte um irgendetwas entscheidendes zu erfahren. Nicht jeder war von dieser Idee begeistert. Daher sollte es erstmal am nächsten Tag zum Advokaten gehen. Allerdings versuchte Melina in den Abendstunden noch etwas pikantes über Brünne in Erfahrung zu bringen und Krätze, Joran und Wilbur machten sich auf nach dem Würger der letzten Nacht zu suchen, da der eventuell ebenfalls etwas zu der Gemengelage beizutragen hatte. Beides blieb erfolglos.

Samstag, der 7. Tag des V. Monats im Jahre 888 nG
Die Kanzlei von Brünne lag in einem der besten Stadtteile von Kreutzing und die Bewohner dort waren den Anblick von frei herum laufenden Goblins nicht gewohnt. Aber außer wunderlichen Blicken gelangte man trotzdem ungehindert zur Kanzlei und machte dort Bekanntschaft mit der Empfangsdame. Ein direktes Gespräch mit Brünne ohne Termin wäre nicht möglich, schließlich trauerte er um seinen Sohn. Melina unterstrich die Dringlichkeit des Gesprächs, indem sie die gefundene Taschenuhr mit den Initialen K.B. der Empfangsdame gab. Dies ließ Wilbur verwundert eine Augenbraue hochziehen, hatte er doch gedacht, dass er die Uhr in seinen Sachen aufbewahrt hatte. Die Dame beteuerte, dass sie das dem Advokaten ausrichten würde, fragte nach der Unterkunft der werten Damen und Herren und entließ eben jene nach draußen auf die Straße.

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