»Die sind nicht normal, Wilbur!«, ereiferte sich Krätze. »Melina hat einen so großen Sprung in ihrer Schüssel, der erinnert mich an die Suppenschüssel meiner Oma. Da war auch ein großer Sprung drin, deswegen konnte man die immer nur bis zur Hälfte voll machen. Und bei Melina, oder Miranda, oder wie auch immer, ist glaub ich schon deutlich weniger als die Hälfte drin, wenn du verstehst was ich meine. Und Joran …«, der Goblin gab einen kleinen Seufzer von sich, »Wie kann man nur so ein gutes Schwert und eine so gute Rüstung ausschlagen. Tyrus braucht sie bestimmt nicht mehr. Bestimmt, bestimmt«.
»Was für ein Schwert und wer ist dieser Tyrus von dem du da sprichst?«, frage der Halbling.
»Na der Söldner, der Florell nicht vorm Gugelmann gerettet hat und jetzt selber vom Gugelmann geholt worden ist. Und in seiner Scheune war noch dieses wirklich gut gepflegte Schwert. Meine Hände jucken jetzt noch vom verdammten Eisen. Aber dann kamen Leute und wir mussten abhauen«, plapperte der kleine Goblin munter weiter. Wilbur Weinberger zog eine Augenbraue hoch und hob drohend einen Finger, woraufhin sein Gegenüber verstummte.
»Krätze. Zum x-ten Mal. Fang nicht mittendrin an. Fang auch nicht hinten an. Fang. Vorne. An.« Wilbur lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und nahm den Finger wieder herunter. »Am besten fängst du bei Alyssa an«
»Aber da warst du doch dabei.«
»Tu mir den Gefallen. Ich habe die Hoffnung, dass sich der Gewittersturm in deiner Schüssel ein wenig beruhigt hat, wenn wir das Ende dieser Geschichte ein wenig hinaus zögern. Danach werde ich dann auch von meinem Treffen mit Rena berichten.«
»Also …«, Krätze zappelte in eine bequemere Position auf seinem Stuhl und streichelte sich ein paar Mal über Augen und Nase bevor er begann.
»Wir waren ja heute Nachmittag noch an Gregorius kleiner Kappelle und hatten ja nun wirklich nicht viele Informationen. Dieser Bettler draußen hatte gesagt, dass wir nach Wotan der Silberzunge suchen könnten und das Ömmaken drinnen hatte gemeint, dass sich von den Braunröcken bisher nur Alyssa gekümmert hätte. Ich fand es nur logisch es als erstes bei Alyssa zu probieren. Von der wussten wir auch wo sie wohnt, im Gegensatz zu Wotan. Es tut mir noch ein bisschen Leid, dass wir sie nachmittags um 4 geweckt haben in ihrer kleinen Kellerwohnung. Ein kleiner Saustall oder? Aber sie war insgesamt ganz nett zu uns. Als erstes haben wir ihr erzählt, dass wir nach Vater Gregorius suchen woraufhin sie wiederum erzählte, dass noch viel mehr Menschen verschwunden seien. Das wäre nämlich überhaupt der Grund gewesen warum Vater Gregorius in den Norden von Kummer zum Gefallenen Soldaten hin ist, um da nach dem rechten zu schauen. Alyssa sagte, dass der Gefallene Soldat eine Kneipe im Norden ist, die vorzugsweise von gescheiterten Existenzen aufgesucht wird. Sie sagte, dass in der Nähe dieser Kneipe Leute verschwunden sind und mittlerweile weiß ich auch wer genau. Das sind
- Asa Myn, eine alte Prostituierte, die als Säuferin bekannt war
- Der alte Pit, ein Krüppel, der wohl in der Gasse hinter dem Gefallenen Soldaten schlief
- Forell, ein Waisenjunge, der sich mit Taschendiebstahl über Wasser hielt.
- Enid, eine vermeintliche Hellseherin.
- Tyrus, ein ehemaliger Soldat,
- Vern, ein blinder Bettler der seine Mitmenschen gerne aufs Schlimmste beschimpfte
und mittlerweile natürlich auch Vater Gregorius selber. Das Ganze begann wohl vor 2 Wochen, dass etwa alle 2 Tage einer spurlos verschwunden ist. WIr zeigten ihr daraufhin diese seltsame Zeichnung, die wir in Vater Gregorius Schreibtisch gefunden hatten, aber das sagte ihr nichts.
Du, Wilbur, kamst ja dann mit dem Vorschlag um die Ecke, dass wir uns alle heute Nacht beim Gefallenen Soldaten auf die Lauer legen könnten um zu beobachten was da vor sich geht. Alyssa fand das eine gute Idee aber sie ist heute Abend noch auf Nachtschicht eingeteilt, sonst wäre sie wohl tatsächlich direkt mit uns mitgekommen. Du hast dann gemeint, dass du einen guten Kontakt zur Kommandantin Rena hättest und schauen könntest ob du Alyssa freigestellt bekommst. Ich hatte übrigens den Eindruck, dass sie das nicht so toll fand in den Mittelpunkt ihrer Vorgesetzten zu kommen. Aber sie hat dann doch zugesagt.
Womit wir dann langsam aber sicher wieder zur Suppenschüssel kommen. Nachdem wir von Alyssa weg sind, brauchten wir erstmal eine Unterkunft. Da wir anscheinend alle arm sind wie die Kirchenmäuse, ausgenommen der Herr Wilbur Weinberger, sind wir nun genau hier gelandet wo wir gerade sitzen. Das Beste was Kummer zu bieten hat. Die Turmklausel! Geführt und gelenkt von Trude Braun und ihrem Mann, den ich allerdings immer noch nicht gesehen habe. Fast alle Zimmer haben Blick auf einen mystischen Elfenturm. Hereinspaziert, hereinspaziert. Naja, du warst ja dabei. Wir haben uns aufgrund unserer angespannten monetären Situation für zwei Zimmer mit je zwei Betten entschieden. Nun sind wir aber drei Kerle und eine Frau, um nicht Suppenschüssel zu sagen. Och jetzt habe ich es doch gesagt. Sei’s drum. Wilbur, ich fand das einfach nicht fair, dass wir drei uns in ein Zimmer hinein quetschen, während diejenige, die offensichtlich die knappste Kasse hat, das Einzelzimmer bekommt. Joran und du haben beide nichts gesagt. Und deswegen habe ich gemeint, dass ich sie nun nicht besonders attraktiv finde und deswegen ich am Besten mit ihr das Zimmer teilen würde. Ich konnte doch nicht ahnen, dass die dermaßen ausflippt. Die hat sich ja kaum noch eingekriegt. Und dann fing das plötzlich auch noch an, dass sie Mirinda heißt und nicht Melina. Wilbur, dass ist schon das zweite Mal. Ich weiß nicht was bei ihr im Oberstübchen schief hängt, aber irgendetwas hängt da gewaltig!
Wie auch immer. Nachdem sich Melina wieder beruhigt hatte, bist du mit ihr zur Kommandantin Rena vermute ich. Aber davon wirst du ja gleich selber erzählen. Ich und Joran wollten den Gefallenen Soldaten schon mal bei Tag inspizieren. Darüber gibt es an und für sich nicht viel zu berichten. Der Laden ist eine absolute Bruchbude, flankiert von einem Bordell bei dessen Besuch man eigentlich Geld kriegen sollte statt welches zu zahlen. Der Wirt vom Soldaten, komisch wir haben uns gar nicht gegenseitig vorgestellt, konnte etwas blumiger von seiner verschwunden Kundschaft berichten, als Alyssa das konnte, aber es gab keine wesentlichen neuen Erkenntnisse. Außer dass dieser Tyrus behauptet hatte, er hätte gesehen wie ein großer Gugelmann sich Florell geschnappt hatte. Kurze Zeit später war Tyrus dann ebenfalls Opfer des Gugelmanns geworden, wenn man der Geschichte glauben möchte.
Joran und ich haben uns dann noch bei der Hellseherin und bei dem Ex-Soldat umgeschaut. Wir wollten sehen, ob es vielleicht im Gegensatz zu Gregorius Kampfspuren oder irgendeinen anderen Hinweis gibt, der ein wenig Licht ins Dunkel bringt. Die kleine Kammer der Hellseherin war komplett geplündert. Aber für mich machte es den Eindruck als wäre das erst nach dem Verschwinden geschehen. Wir sind dann zu Tyrus und da war das schon etwas anders. Er lebte in einer kleinen Scheune und die war abgeschlossen. Die Gelegenheit war günstig, also hab ich das Schloss geknackt und hab mich drinnen um gesehen, während Joran draußen Schmiere stand. Ich hab keine Hinweise gefunden, die uns irgendwie weiter helfen könnten, aber dafür in einer Truhe eine wirklich gute Rüstung und ein Schwert. Ich dachte, wenn wir uns heute Nacht wirklich auf die Lauer legen dann sollten wir uns auch gut auf alle Eventualitäten vorbereiten. Joran hat ja nur diesen dicken Knüppel. Ich dachte er würde sich freuen. Und mal unter uns: Tyrus wird die Sachen nicht mehr vermissen, wie er vermutlich nie wieder was vermissen wird, weil er nämlich tot ist. Ich bin also mit den Sachen zur Tür und wollte sie an Joran durchreichen. Und was macht der Esel? Es lehnt ab und will das ganze Zeug nicht. Ich hab versucht ihn zu überreden, aber dann ist im Nachbarhaus jemand auf uns aufmerksam geworden, so dass wir uns unauffällig von dannen gemacht haben. Jetzt mal ehrlich Wilbur. Das ist doch nicht normal. Die Toten brauchen keine Dinge die in Kisten in einem verlassenen Zuhause liegen und verstauben. Aber die Lebenden brauchen Dinge, so dass sie nicht allzu schnell zu den Toten werden. Was stimmt denn da mit Joran nicht?«
Wilbur hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört und musterte den Goblin eindringlich.
»Ich lasse das einstweilen unkommentiert, Krätze«, begann der Halbling. » Viel lieber will ich davon erzählen was ich gemeinsam mit meiner guten alten Freundin Rena erreicht habe. Zusammen mit Melina bin ich als erstes zu ihrem Haus, also das von Rena, in der Hoffnung sie dort anzutreffen. Die Haushälterin Rosalinde machte uns die Tür auf und teilte uns leider mit, dass Rena noch im Rathaus sei. Ach die gute Rosalinde. Das ist schon eine Halblingsdame nach meinem Geschmack. Und ihre Plätzchen sind wirklich ganz fabelhaft. Aber ich schweife ab. Interessant fand ich schon, dass Melina mich fragte ob mir irgendwas ungewöhnliches an Rosalinde aufgefallen sei. Sie hätte den Eindruck gehabt, dass die nicht besonders gastfreundlich zu uns war und irgendwie seltsam in der Tür gestanden hätte. So als wollte sie, dass niemand hinein blicken könnte. Ich hatte aber nichts dergleichen wahrgenommen.
Im Rathaus wurden wir erst von einem Portier in Empfang genommen aber dann recht zügig zu Rena vorgelassen. Was für eine Wiedersehensfreude sag ich dir. Und wie immer hat sie einen guten Wein da. Ich lenkte aber alsbald das Gespräch auf Vater Gregorius und zeigte Rena auch die Zeichnung. Sie hatte das schon mal gesehen, rückte aber nicht recht mit der Sprache raus wo und in welchem Kontext. Sie sprach dann allerdings von Gerüchten das Kultisten der Bruderschaft der Schatten in der Stadt sein sollen und das deswegen auch der Hochinquisitor Radolphus in der Stadt ist. Schließlich trug ich meine Bitte vor, Alyssa für die nächste Tage vom Dienst zu befreien. Die Braunröcke sind aber nicht unter ihrer sondern unter Jonas Kreucher Befehlsgewalt, aber das sei schnell und einfach auf dem kurzen Dienstweg zu klären. Rena verschwand für ein paar Augenblicke und brachte dann eben jenen Jonas Kreucher mit. Wir stellten uns kurz vor und Herr Kreucher war tatsächlich einverstanden uns Alyssa zur Seite zu stellen. Er machte aber auch unmissverständlich klar, dass Alyssa als Mitglied der Braunröcke im Namen der Stadt agiert und wir entsprechend auf das was Alyssa befiehlt auch zu hören haben. Aber das versteht sich ja von selbst.
Es gab dann noch eine kleine peinliche Situation. Melina fragte den Herrn Kreucher nach den Kultisten und auch nach diesem Wotan Silberzunge. Das gefiel dem Herrn aber gar nicht und ich hatte schon das Gefühl dass wir gleich im Kittchen landen. Aber wir wanden uns irgendwie wieder heraus, heuchelten ein Missverständnis und auch Rena half zum Glück bei der Rettung der Situation. Nachdem der Herr Kreucher wieder beruhigt und von dannen gezogen war, ermahnte uns Rena vorsichtig mit dem zu sein was wir tun. Meine Freundin hat jetzt für uns gebürgt und einen Gefallen bei einem Kollegen eingefordert. Es wäre sehr schön wenn sie das nicht bereuen müsste. Also Krätze lass uns heute Nacht und in den nächsten Tagen unser möglichstes tun, dass nicht alles den Bach runter geht und in einer völligen Katastrophe endet.«