Mittwoch, der 04.10.1916: Mittlerweile sind ein paar Monate ins Land gegangen, seit wir damit beauftragt wurden, dem Treiben des „Boxers“ ein Ende zu setzen. Nur konnten wir den Marodeur bisher noch nicht zu fassen kriegen. Wir sind dazu übergegangen, uns immer mittwochs im Hauptquartier zu treffen. Die Scheinfirma hält ihre Fassade aufrecht, und der Ghul Leon Griffin hält dank M. Demond die Stellung. Wegen des Krieges in Europa liegen immer öfter Schiffe der Navy im Hafen vor Anker. Habe von Giftgasangriffen gehört, Millionen von Menschen bringen sich in der alten Welt gegenseitig um. Als wir uns heute treffen, haben Etienne und Father Josef überraschende und besorgniserregende Neuigkeiten für uns parat.
Und nicht nur dass: Dem Toreador fehlt ein Arm!
Der verstümmelte Etienne berichtet, dass er in der gestrigen Nacht per Zufall vermutlich über einen weiteren Abkömmling des „Boxers“ gestoßen ist. Als er auf dem Weg ins „Saints and Sinners“ war, hörte er aus einer Seitengasse unheilvolles Schmatzen. Er folgte den Lauten und fand einen heruntergekommenen Obdachlosen, der den Kadaver einer Katze fraß. Etienne erkannte, dass es sich bei dem Geschöpf um einen verwirrten Vampir handelte und bot ihm etwas Vitae an, um den Kerl an sich zu binden.
Aber das Küken verbiss sich gleich in seinen Unterarm und zerrte in seiner Gier so heftig daran, dass er Etienne das Körperteil ausriss!
Fassungslos sah der Toreador zu, wie der Fremde seinen Arm bis auf die Knochen abnagte. Und danach wollte der arme Irre tatsächlich noch mehr!
So eine Verstümmelung kann ein Vampir zwar heilen, aber das wird eine gewisse Zeit brauchen. Jedenfalls hatte Etienne kein Interesse daran, auch noch seinen anderen Arm an den Gierschlund zu verfüttern.
Es gelang ihm, den Namen des Kükens herauszufinden – Edwin. Anscheinend lebte er schon eine geraume Zeit auf der Straße, bevor er zum Vampir gemacht wurde und war nicht in guter geistiger Verfassung. Etienne überredete Edwin dazu, ihn zu begleiten. Er wollte ihn zu Father Josef bringen. Doch beim Anblick der Kirche geriet Edwin in Panik. Er scheint zu glauben, dass geweihter Boden ihn verbrennen kann. Also brachten Father Josef und Etienne ihn gestern Nacht zum Hauptquartier und schlossen ihm in unserem geheimen Kellerraum ein. Mit anderen Worten: Der Kerl hockt jetzt ein Stockwerk unter unseren Füßen.
Wir beschließen, die Vitae von Edwin zu untersuchen. Ich folge den anderen durch die Geheimtür verdunkelt nach unten. M. Demond hat zur Sicherheit vor dem eigentlichen Kellerraum eine zweite Tür errichten lassen. So gibt es eine Art „Sicherheitsschleuse“ vor dem Raum, in dem Edwin eingesperrt wurde. Hinter der letzten Türe hören wir ihn winseln und heulen wie ein geprügelte Hund. Immer wieder jammert Edwin, dass er schrecklichen Hunger habe. Etienne öffnet die Kammer und unterwirft Edwin, einen abgerissenen, dreckigen Mann, seiner Präsenz. Dann verlangt er von ihm, dass er sein Blut von Father Josef untersuchen lassen lässt. Zitternd beißt sich Edwin eine Fingerkuppe ab, und reicht sie an den Tremere weiter.
Der wirkt leicht angeekelt, testet aber die Vitae des Kükens. Eli schüttelt angewidert den Kopf und geht wieder nach oben.
Edwin betrachtet gierig den Arm von M. Demond. Der Ventrue verschreckt ihn mit dem Blick der Furcht, und winselnd krümmt sich Edwin in der hintersten Ecke des kleinen Raumes zusammen. Wir gehen wieder nach oben.
Dort berichtet Father Josef uns sein Untersuchungsergebnis: Edwin gehört – wie einst die Näherin – der 14ten Generation an. Den Akt der Diablerie hat er nicht begangen. Doch erst gestern nährte er ausgiebig sich an Vampirblut – dem von Etienne Lefevre. Wir hören ihn unten plärren wie einen Säugling, der gestillt werden will. Dabei er sollte jetzt satt sein, das Tier in ihm befriedigt! Doch er hört nicht auf, vor Hunger zu schreien!
M. Demond will ihm das Phantombild des „Boxers“ zeigen, vielleicht erkennt Edwin seinen Erzeuger wieder. Ich schlage vor, ihn mit etwas Vitae zu füttern, um ihn zu beruhigen und kooperativer zu stimmen.
Etienne merkt an, selbst ziemlich hungrig zu sein. Father Josef löst einige Blutperlen seines Rosenkranzes in einem Becher auf. Erst bekommt Etienne eine Ration. Dann begeben wir und wieder nach unten zu Edwin. Wieder folge ich im Schutze der Verdunkelung. Gierig trinkt Edwin das Blut, welches ihm Father Josef darreicht. Danach ist er tatsächlich ruhiger, beäugt aber noch nervös das Kreuz des Priesters.
Etienne zeigt Edwin die Phantomzeichnung des „Boxers“ und versucht, Antworten aus Edwin heraus zubekommen. Doch der Obdachlose scheint seinen Worten kaum folgen zu können. Jammern schlägt er sich selbst immer wieder gegen den Kopf. M. Demond und Eli beschließen, per Fernsprecher den Seneschall zu informieren und gehen wieder nach oben.
Mitten in seinem weinerlichen Gebrabbel rutscht Edwin heraus, dass er schon ein paar Prostituierte ermordet habe. Father Josef wird hellhörig und bietet Edwin an, ihm die Beichte abzunehmen. Zögern willigt das Küken ein und die anderen verlassen ebenfalls den Keller. Nur ich bleibe mit dem Priester ungesehen bei Edwin und höre, was Edwin schauerliches zu beichten hat …
Als wir zu den anderen zurückkehren, erklärt M. Demond, dass er im Büro des Seneschalls angerufen hat. Das Gespräch wurde allerdings abrupt beendet – oder möglicherweise unterbrochen? Jedenfalls hat M. Demond Eli gebeten, sicherheitshalber draußen nachzusehen, ob alles in Ordnung ist.
Während der Gangrel als Fledermaus die Umgebung um das Hauptquartier observiert, war M. Demond persönlich im Büro des Seneschalls. Von dort hat er aber nur die knappe Weisung, dass wir mit Edwin nach Belieben verfahren sollen. Eli kehrt zurück, etwas Verdächtiges habe er draußen nicht festgestellt.
Jetzt sind alle schon sehr gespannt, was Edwin erzählt hat. Dies führt Father Josef in Konflikt mit seinem Gelübde, da das Beichtgeheimnis heilig ist.
Ich enttarne mich und biete an, statt ihm zu berichten. Der Priester kann mir später für das Belauschen der Beichte sicher eine angemessene Buße auferlegen. Also erzähle ich, was Edwin offenbart hat: In jungen Jahren heiratete Edwin eine Frau und machte ihr ein Kind. Seine kleine Familie brachte er mehr schlecht als recht als Hafenarbeiter durch. Doch schon damals lauerten finstere Triebe in Edwin. Eines Tages verging er sich an seiner Tochter. Seine Frau überraschte ihn dabei, es kam zum Streit, Edwin erschlug sie. Nach dem Mord verfiel Edwin endgültig dem Alkohol und landete auf der Straße. Seine Tochter kam in ein Heim.
Edwin hat seither keinen Kontakt mehr zu ihr, was das Beste für das Mädchen sein wird. Wie lange Edwin in den Straßen New Orleans vegetierte, kann er nicht sagen. Oft drückte er sich beim Straßenstrich herum.
Die Frauen erregten ihn, was er auf der einen Seite sehr genoss. Auf der anderen Seite jedoch hasste er die Prostituierten, dafür, dass sie ihn „verführten“. Doch in all dieser Zeit wagte er es nicht, die Hand gegen sie zu erheben. Aber dann kam die Nacht, in der Edwin in einer schmutzigen Gasse aus einer Ohnmacht erwachte und feststellte, dass er kein Alkohol mehr bei sich behalten konnte. Dafür wuchs ein neuer Hunger in ihm. Und als der Morgen graute, brannte das warme Licht der Sonne schmerzhaft auf seiner Haut. An seinen Kuss kann er sich nicht erinnern. Edwin verkroch sich an dunkeln Orten und fraß Hunde, Katzen und Ratten, um sein Tier zu nähren. Doch wenn es zu sehr in ihm wütete, suchte er den Straßenstrich und stillte seine Gier durch Frauenblut. Ihre angefressenen Leichen versteckte er in einem leeren Ölfass im Trockendock. Er hat die Gegend beschrieben, ich kenne sie. Während seiner Beichte sprach Edwin von sich selbst stets in der dritten Person. Er ist eine willensschwache und von endlosem Hunger gepeinigte Kreatur.
Wir beraten, was wir mit Edwin tun sollen. Auf die Straße zurück können wir ihn nicht lassen, er ist eine zu große Gefahr für die Menschen – und damit die Maskerade. Ihn auszuhungern, bis er in Starre fällt, ist auch grausam. Somit beschließen wir, ihn als erstes zu pfählen. Father Josef und ich bleiben oben. Etienne bewaffnet sich mit einem Pfahl. Zusammen mit M. Demond und Eli geht er zu Edwin. Doch es erweist sich als schwerer als erwartet, Edwin zu pfählen. Winselnd und kreischend weicht er immer wieder aus, bis M. Demond und Eli eingreifen und Edwin schließlich überwältigen.
Danach beraten wir weiter. M. Demond und Eli sprechen sich dafür aus, Edwin zu vernichten. Noch nie ist ein Vampir der 14ten Generation Mitglied der Gesellschaft geworden. Er wird von seinem Tier beherrscht. Auch ein Blutsband würde seine gierigen Triebe nicht mildern. Letztendlich sieht niemand von uns einen anderen Weg, auch wenn ich mir das kaum eingestehen vermag. Aber niemand erklärt sich bereit, den in Starre liegenden Vampir in den endgültigen Tod zu schicken.
Schließlich verteilt M. Demond Lose. Es fällt auf Eli. Mit finsterem Gesicht erhebt sich der Gangrel. Ich gebe mir einen Ruck und begleite ihn in den Keller. Mit der einen Hand packt Eli den Gepfählten am Kragen. Seine Rechte verwandelt sich in eine mit mächtigen Klauen bewaffnete Pranke. Ein heftiger Schlag zerfetzt Edwin den Hals.
Sein Körper verwest zu einer stinkenden Leiche. Mir dreht sich fast der Magen um. Was für ein verfluchtes Schicksal!
Mit Father Josef kümmere ich mich darum, dass seine Überreste in einer Kiste verstaut werden. Später soll er noch ein Begräbnis erhalten. Das wollen wir auch seinen Opfern angedeihen lassen, die wir an dem von Edwin beschriebenen Ort im Trockendock finden. Wir lassen sie auf dem Friedhof von Father Josef verschwinden, bevor zufällig noch die Polizei über sie stolpert. Der Priester spricht ein paar Worte auf Latein. Meine Gedanken sind bei dem „Boxer“. Wir müssen ihn unbedingt stellen, bevor er noch mehr Geschöpfe wie Edwin in die Welt setzt!