Ein kurzes Intermezzo

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Ich muss mit erstaunen feststellen, dass erst sieben Tage vergangen sind, seit ich meine Heimat verlassen habe, und doch habe ich in dieser Zeit wohl mehr von der Welt gesehen, als in meinem ganzen bisherigen Leben.
Mein Name ist Ser Marcon Freas, Ritter Tyrs vom Orden des Heiligen Corwin aus Tarmish. Ich bin 21 Jahre alt.
Es ist der vierte Tag im Monat Eleasis, dem achten des “Jahrs der Wilden Magie”. Es ist noch früh, und meine Gefährten schlafen noch. Ich sitze nun in der Morgendämmerung an einem Tisch im “Hinkenden Widder”, einem Gasthaus in Phent. In einigen Stunden wollen wir nach Telflamm aufbrechen, um von dort Thesk zu verlassen. Es ist der erste ruhige Moment in den vergangenen Tagen. Ich habe mir ein wenig Pergament besorgt, um meine Reise niederzuschreiben.
Vielleicht war es ganz gut, dass ich bisher keine Zeit hatte, mit meinem Schicksal zu hadern. Jetzt in den frühen Morgenstunden sehe ich Selis Gesicht vor mir und mir wird klamm ums Herz. Wird sie in Sicherheit sein? Hätte ich eine andere Wahl treffen sollen? Hätte ich bei ihr bleiben sollen? Mein einziger Trost ist es, dass ich noch immer die Nähe Tyrs, des Gerechten spüre und darauf vertrauen darf, dass er über sie wacht.
Zwei Tage vor Schildtreff gelangte ich durch das Portal in Nonthal in die Nähe des Hochwalds. Natürlich war mir nicht bewusst, wo ich war, aber die Bauern in der Umgebung waren freundlich zu mir und wiesen mir den Weg in das nächste Dorf. So erreichte ich zum Festtag Orlbar, ein kleiner Ort in der nähe von Llorkh, am Delimbiyr gelegen. Nur wenige Reisende verirrten sich hierher, und die Wenigen versammelten sich im einzigen Gasthaus. So wurde ich sogleich auf den Priester Lathanders, Bruder Kilian, und dem Magier Remidius aufmerksam, die einzigen Fremden, die es neben mir hierher verschlagen hatte. Beide sollten mich auf diese kuriose Reise begleiten, auch wenn keiner von uns das zu diesem Zeitpunkt schon wusste.
Das Schicksal führte uns durch zwei seltsame Ereignisse zusammen, die in der Nacht des Schildtreff geschahen. Kaum war die Dunkelheit über das Dorf hereingebrochen, geschah etwas unglaubliches. Ein schwarze Finsternis erhob sich über dem Hochwald im Norden, eine dunkle Wolke stieg dort auf und verschluckte den Mond und die Sterne. Bedenkt man die Entfernung, auf die das Ereignis zu sehen war, muss sie die Ausmaße eines Berges oder noch größer gehabt haben. Ich stieg auf den Kirchturm des Tormtempels und sah, wie das Gebilde langsam nach Osten, auf die Anauroch zuwanderte. Doch zugleich bemerkte ich ein weiteres seltsames Ereignis. Eine Gestallt trieb sich in der Dunkelheit, unbeeindruckt von dem, was im Norden geschah, auf dem Grabacker des Dorfes, außerhalb der Palisaden, herum. Es dauerte einen Moment, bis ich klar erkennen konnte, was er dort trieb. Erst als ich bemerkte, dass er nicht mehr alleine dort unten war, sah ich, dass sich die Körper der Toten aus den Gräbern erhoben hatten und unter seinem Befehl standen.
Nachdem Alarm gegeben wurde, stürmte ich mit einigen Soldaten und Bewohnern des Dorfes nach draußen. In einem heftigen Kampf, erschlugen wir zwölf wandelnde Leichnahme, doch die Person, die sie erweckt hatte, war verschwunden.
Aber nicht nur auf dem Friedhof waren die Toten erwacht, auch in Orlbar selbst wandelten sie. Zusammen mit den tapferen Männern der Gemeinde durchkämmten wir das Dorf, warnten die Bewohner und erschlugen die Wiedergänger.
Nach dem Sonnenaufgang und nur wenigen Stunden Schlaf, suchten wir nach den Spuren Desjenigen, der für das Unheil der vergangenen Nacht verantwortlich war. Auch der Lathanderpriester, Bruder Kilian und der Magier Remidius sowie zwei Jäger aus der Gegend, Morn Dandragon und Mabryn, halfen mir bei der Verfolgung.
Die Spur führte nach Südosten, auf den Fluss zu. Schon bald war uns klar, dass der Totenbeschwörer auf der Flucht war und einigen Vorsprung hatte. Also wappneten wir uns für eine längere Reise und wurden so zu der Schicksalsgemeinschaft, die von den Götter zusammengefügt wurde.
Vier Stunden ging die Jagd, bis sie in einem kleinen Wäldchen südlich des Derimbiyrs zu einem unterirdischen Tunnel führte, an dessen Ende sich ein Portal befand, durch dass der Totenbeschwörer geflohen sein musste. Uns blieb also keine Wahl, wollten wir der Person habhaft werden, mussten wir ihr folgen, wohin das Tor uns auch führen mochte.
Nachdem wir das Portal durchschritten hatten, waren wir zunächst in den verlassenen Gewölben eines alten Tempels, doch schon bald führte ein Tor hinaus auf eine weite Grasebene. Und wieder konnten die beiden Jäger, Morn und Mabryn, die Spur des Täters aufnehmen, der seine Flucht wohl nach Norden fortsetzte.
Noch vor der Dunkelheit stellten wir den Mann, der in Orlbar die Toten erweckt hatte. Eine seltsame Gestallt, ganz bleich und selber nicht mehr recht am Leben, trug er eine beinerne Krone auf dem Haupt und verteidigte sich mit arkaner Magie. Gemeinsam erschlugen wir ihn, denn gefangen ließ er sich nicht nehmen. Die Krone auf seinem Kopf fiel herab und verschwand. Der Körper des Magiers verging vor unseren Augen.
Nun hatten wir zwar unsere Aufgabe erfüllt, konnten aber nicht zurück, denn in den Ruinen des Tempels befand sich kein magisches Tor, dass uns eine Rückkehr ermöglicht hätte. Keiner von uns wusste genau wo wir waren, vermutlich südlicher als der Hochwalds, denn es war wärmer.
Nach einer unruhigen Nacht und der Rast in der Wildnis gingen wir nach Süden auf einige Berge zu, der einzigen Landmarke weit und breit. Schon bald stießen wir auf eine Straße, die weiter westlich führte, und dann kamen am Nachmittag die ersten Gehöfte am Wegesrand in Sicht. Doch die Freude auf ein ruhiges Zimmer an einem warmen Feuer verflog recht rasch, denn diese Höfe wurden von Orks bewohnt – orkischen Bauern. Dennoch versuchten wir, herauszufinden, wo wir waren. Die Orks verrieten uns, dass es nur eine Tagesreise bis Phent sei, einer Stadt im Land Thesk, mehrer tausend Meilen südöstlich von Orlbar! Keiner von uns wollte bei den Orks übernachten, und so legten wir noch möglichst viel Wegstrecke zurück und rasteten ein weiteres Mal in der Wildnis.
Am nächsten Tag erreichten wir Phent. Auch hier lebten Orks in trauter Einigkeit mit Menschen zusammen. Sogar in der Stadtwache dienten einige dieser Kreaturen. Wir waren uns einig, hier nicht lange zu verweilen. Also nahmen wir uns ein Zimmer im “Hinkenden Widder” für eine Nacht.
In Phent sprach ich noch am selben Tag mit Bruder Kendrik von Mystra, einem einheimischen Priester, den kurz bevor die beinerne Krone nach dem Tod des Magiers verschwand, konnte ich potente Magie und eine Aura des Bösen an ihr bemerken. Von Bruder Kendrik erfuhr ich, dass es sich bei diesem Gegenstand wohl um die Knochenkrone Myrkuls handeln müsse, ein Artefakt, welches seit der Zeit der Sorgen die Essenz des Totengottes in sich tragen soll. Ehemals wurde die Krone von Meister Khelben Arounson in Tiefwasser bewacht, doch von dort konnte sie fliehen. Nun sucht sie sich ihre Träger und verbreitet Unheil in der Welt. Die Krone ist nur in einem Tempel Mystras sicher zu verwahren, ob man sie zerstören kann, ist fraglich.
Nun ist die Nacht, nachdem ich das erfuhr, fast herum. Wir hatten noch einige Stunden auf dem Friedhof gewacht, falls die Geschichte aus Orlbar sich hier wiederholen sollte, doch nichts war geschehen. Telflamm soll in etwa drei Tagen von hier aus zu erreichen sein. Dort gibt es einen Hafen am Meer der fallenden Sterne. Wir wissen noch nicht, wohin wir von dort reisen werden, doch dass wir diesen Landstrich, in dem Menschen und Orks zusammen leben, verlassen werden, da sind wir uns einig.

***

An Ser Guilermo Freas
Wächter Tyrs
Großmeister der Ritter vom Orden des Heiligen Corwin zu Tarmish

Von Ew. Gnaden Vala Destayal von Tyr
Hohe Richterin von Thesk
Telflamm am 10. Eleasis im Jahr der Wilden Magie 1372TZ
Euer Hochwohlgebohren,

ich habe die traurige Pflicht, Euch von dem Tod eines Ritters Eures Ordens und vermutlich Anverwandten zu berichten. Ser Marcon Freas wurde heute in Telflamm zu Grabe getragen, nachdem er drei Tage im Tempel Tyrs aufgebahrt war und seine Seele unserem Herrn empfohlen wurde.
Anbei sende ich Euch sein Urteilsbuch und einige Aufzeichnungen, die Ser Marcon von seiner Reise angefertigt hat. Was in den Tagen vor seinem Tod geschah, möchte ich Euch noch berichten, so wie es mir von seinen Gefährten zugetragen wurde.
Ser Marcon fand den Tod am Mittag des 6. Eleasis durch die Klauen eines Werbären, einem Diener Malars, der sich seiner Festnahme wiedersetzte. Das Untier konnte von den Gefährten Ser Marcons zur Strecke gebracht und erschlagen werden. Zu dem Kampf kam es, weil Tags zuvor die Gruppe um Euren Bruder auf ihrer Reise von Phent nach Telflamm auf halber Strecke auf eine Fährstation trafen, in der sich Schreckliches abgespielt hatte. Alle Reisenden und die Leute die dort in den Häusern lebten, wurden von bösartigen Geschöpfen erschlagen und mit einem Gift infiziert, dass sie innerhalb von Stunden verfallen lies. Nachdem die Gruppe bei ihrem Eintreffen schon zwei untote Wölfe erschlagen hatte und die Toten verbrannt waren, verfolgten sie die Spur einer Person, die sich von dort entfernte. Wie wir nun wissen, handelte es sich dabei um die Hohe Priesterin Malars, die ihr Lager in den Wäldern Thesks aufgeschlagen hatte, eine äußerst machtvolle Frau. Dennoch verfolgte Ser Marcon sie beherzt und hätte sie fast gestellt, wenn nicht sein Pferd zuvor von der Priesterin getötet worden wäre.
Die Dienerin Malars flüchtete in den nahegelegenen Wald, und obwohl Ser Marcon von den Gefahren wusste, verfolgte er sie am nächsten Tag weiter. Auch seine Gefährten begleiteten ihn, obwohl sie wussten, dass sie ihr Leben dabei riskierten. Schon bald fanden sie die Leiche eines Jägers, der den Harfnern angehörte und in den Diensten Telflamms stand. Noch während sie die Überreste untersuchten, erschien der Werbär und griff an. Dabei wurde auch einer der Gefährten, ein Jäger namens Mabryn, verletzt und infizierte sich mit der Lykantrophie.
Nach dem Kampf flohen die Überlebenden der Gruppe hierher nach Telflamm, berichteten von den Geschehnissen und sorgten dafür, dass Ser Marcon geborgen und bestattet werden konnte.
Meine Gebete und mein Beileid sind mit Euch und allen Angehörigen Ser Marcons. Möge er Frieden finden in den Hallen Tyrs.

Hochachtungsvoll
Vala Destayal

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Über thd

1984 DSA 1 zum Geburtstag gewünscht und wider Erwarten die Basis-Box bekommen. Nachdem ich Silvana drei mal befreit hatte, merkte ich, dass ich Mitspieler brauchte, um mit der Box weiter etwas anfangen zu können. Glücklicherweise sah ein Freund aus der Nachbarschaft die Bücher bei mir herum liegen und meinte, sie würden in einer Runde etwas ähnliches Spielen, ob ich nicht Lust hätte, mitzumachen. Klar hatte ich das, und so bin ich mit Dungeons & Dragons angefangen. Zahlreiche Runden, Systeme und eine Vereinsgründung später, findet sich auf THORNET ein ziemlich großer Ausschnitt meiner Rollenspielerlaufbahn.

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