15. Tage des neunten Monats im Jahre 1025 nach imperialer Zeitrechnung
Geliebte Schwester,
nach drei Monden voller Mühsal und Entbehrung habe ich endlich die Taverne „Zur letzten Rast“ erreicht, den letzten Außenposten vor jenem Pass, der durch die Kummergipfel führt und die letzte Schwelle zum Nebeltal markiert.
Geführt wird dieses gastliche Haus von einer Zwergenfamilie, den Baumanns, redliche und herzliche Leute. Der Bruder des Wirtes, Kyan mit Namen, ward mir als Führer über den Pass anempfohlen. Und wie es den Anschein hat, bin ich nicht allein in meinem Vorhaben, die Berge noch vor dem ersten Schnee zu bezwingen, denn bis zum Abend fanden sich weitere Reisende ein, von recht unterschiedlichem Schlag.
Da sind zwei Zwerge: Turo Braglison, offenbar ein geschickter Handwerker, und Runhild Kupferfaust, die mir als eine Art Gelehrte erscheint. Doch wirkt sie von schwacher Konstitution, und ich hege Zweifel, ob sie den Weg über den Pass unbeschadet überstehen wird. Möge sie nicht von einer ansteckenden Krankheit befallen sein. Ferner schloss sich uns ein Halbling an, Tjaldri Pausbacken genannt, ein Lebemann ganz nach meinem Geschmack, der dem Wein wie auch dem Würfelspiel nicht abgeneigt ist. Und zu guter Letzt – du wirst es kaum glauben – reist mit uns ein Angehöriger der Wolfsmenschen: Oolan Schneebraue. Ich wage zu behaupten, dass er der Einzige unter uns ist, der den Weg über den Pass auch ohne jegliche Hilfe zu finden wüsste.
Da sich der Weg als weit beschwerlicher erwies, als zunächst angenommen, sahen wir uns gezwungen, unsere letzten Münzen zusammenzutragen, um ausreichend Proviant zu erstehen, ehe wir am Morgen des 16. Tage des neunten Monats aufbrachen.
Der erste Teil der Reise gestaltete sich gnädig, und noch vor dem Nachmittag erreichten wir den Eingang zum Pass. In einem kleinen Tal, durchzogen von einem klaren Flusslauf, schlugen wir unser Lager auf. Turo verstand es gar, einige Flusskrebse zu fangen, wodurch wir unsere Vorräte ein wenig zu strecken vermochten.
Am folgenden Morgen erklärte uns Kyan, dass er umkehren müsse, wolle er nicht Gefahr laufen, den Winter im Nebeltal zu verbringen. Den weiteren Weg, so sprach er, würden wir auch ohne ihn finden. Offen gestanden hatte ich mir dies anders vorgestellt, denn wozu hätte ich sonst einen Führer entlohnt? Doch blieb mir keine Wahl, als seinen Worten zu trauen.
Bis zum zweiten Tage des zehnten Monats verlief unsere Reise ohne besondere Vorkommnisse, und der Pfad war wohl zu erkennen. Da gewahrten wir plötzlich eine halbtote, wimmernde Gestalt, die mitten auf dem Weg darniederlag. Als der Zwerg und ich eilends zu ihrer Hilfe schritten, gerieten wir in einen Hinterhalt von Goblins, angeführt von einem Wargreiter.
Doch ließen wir uns nicht schrecken, und bald schon gewannen wir die Oberhand. Erst danach konnten wir uns dem Verwundeten zuwenden, doch war er von einem vergifteten Pfeil getroffen worden, und selbst mit all meinem Können vermochte ich sein Leben nicht zu retten.
Mit letzter Kraft drückte er mir ein Bündel in die Hand und sprach: „Leanara wird es verstehen… Nachricht von Meister Wettermann… alle vier Teile müssen gefunden werden… das Geheimnis des Drachenkaisers.“
In dem Bündel fanden sich ein Schriftrollenbehälter sowie der Sockel einer Statuette. Ich weiß nicht, welch Schicksal sich mir hier offenbart hat, doch scheint es größer zu sein, als ich je geahnt hätte.
Sorge dich nicht um mich, liebste Schwester. So es mir möglich ist, werde ich dir weiterhin Kunde von meinem Wege senden und bei nächster Gelegenheit erneut schreiben.
In Liebe Dein
Hjalmar




