Magnus trat als erster in Astrids Langhaus ein und wurde von einem Speer begrüßt, der nur knapp neben ihm in der Wand einschlug. Astrid stand noch halb entblößt neben ihrer Schlafstelle und warf ihm einen grimmigen Blick zu. Leicht errötet machte er auf der Stelle kehrt und bedeutete Björn und Leif, vor dem Langhaus zu warten.
Kurz darauf trat Astrid zur Tür hinaus auf den Vorplatz und steuerte auf uns zu. Sie wollte von uns wissen, wen wir als Bräutigam anzubieten hatten. Leif erzählte ihr von den beiden Dvergar Dvalin und Durin, die wir in Nidavellir trafen und für die wir eine Braut suchen sollten. Da Leifs Beschreibung jedoch recht unbeholfen daherkam und nicht zu Astrids Zufriedenheit ausfiel, schritt zu unserer Überraschung Björn ein und schmückte die Erzählung so aus, wie es einer Jarlstochter gebührte.
Sie erwähnte während des Gesprächs, dass sie seit dem Vorfall mit Gnor ihren Gürtel vermisste. Dabei handelte es sich um einen besonderen Gürtel, geschmiedet von den Dvergar, der Astrid außergewöhnliche Kraft verlieh. Anhand Astrids Beschreibung, schoss uns allen das Bild des Armreifs von Jörgar in den Sinn, den der Yotunriese Halthör vermeintlich von ihr stahl. Denn demnach ähnelten sich beide bis aufs kleinste Detail.
Dies lies in uns einen Verdacht aufkeimen: Vielleicht hat also nicht Gnor, sondern Jörgar in der Gestalt von Gnor die Tat begangen.
Astrid spricht herrschaftlich „Dies ist meine Aufgabe und muss von mir erfüllt werden“ und wird genau in dem Moment von einem Sonnenstrahl erhellt.
Ubbo befragte unterdessen die Knochen um in Erfahrung zu bringen, was mit Hild geschah. Er empfing eine Vision in der er sah wie Hild ein Sack über den Kopf gezogen und sie weggetragen wurde. In der Vision erkannte Ubbo, dass es außerhalb der Palisade irgendwo im Wald geschah.
Wir machten uns sodann auf die Suche nach Hild, verließen das Dorf und versuchen die Stelle zu finden, an der sie entführt wurde. Wir umrundeten das Dorf entlang der Palisade und fanden tatsächlich die Stelle nördlich des Dorfes. Den Spuren nach zu urteilen deutete alles darauf hin, dass Hild von zwei Männern überwältigt wurde. Eine weitere Spur, die weiter Abseits der Stelle zu finden war, war kleiner als die anderen, aber sie alle führen gemeinsam weiter nach Norden.
Wir verfolgten die Spuren etwa zwei Stunden lang in nördlicher Richtung bis zu einer Weggabelung. Von hier aus folgten wir den Spuren für etwa eine Stunde lang, weiter nördlich in Richtung Steilküste. Es dauerte nicht lange und wir konnten bald das Rauschen des Meeres und das Donnern der Brandung an die Klippen vernehmen. Bald darauf erreichten wir den Steinkreis, von dem Astrid uns berichtete.
In diesem Moment ließ sich ein einzelner Rabe auf dem in der Mitte des Kreises stehenden Stein nieder. Und auch wenn dies gewiss nicht das erste Mal war, dass wir nur einen Raben sahen, war es nun umso klarer. Wie ein Schleier viel es uns von den Augen. Ein einzelner Rabe wird auch mit Loki in Verbindung gebracht. Hingegen doch zwei Raben, Hugin und Munin, das Symbol Odins sind.
Hat uns also Loki immer wieder verfolgt und zum Narren gehalten? Sein trügerisches Spiel mit uns gespielt? Dieser Frage sollten wir uns jedoch später stellen. Jetzt mussten wir Hild aufspüren.
Vorbei am Steinkreis führte ein kleiner Trampelpfad. Wir folgten weiter den Spuren, was keine große Anstrengung erforderte. Die Entführer schienen sich jedenfalls keine besonders große Mühe zu geben. Auf der Klippe angekommen, sahen wir, dass die Spuren in Richtung eines schmalen Pfades führten, der sich bis hinunter zum Fuße der Klippe schlängelte.
Doch statt den Spuren zu folgen, entschloss ich mich, zu erst einen Blick in die darunter liegende Bucht zu werfen. Ich legte mich auf den Boden, kroch auf den Rand der Klippe zu spähte über den Rand. In der Bucht lag ein Langschiff vor Anker. Aus der Besatzung von nahezu zwei Dutzend rauen Seeleuten, stach eine Frau mit schlohweißem Haar hervor die nicht so recht zu dem Rest der Mannschaft passen mochte. Ihrem Erscheinungsbild, vor allem aber der Art ihrer Kleidung nach zu urteilen, vermutete ich, dass sie aus Schweden stammen könnte. Weiterhin viel mir ein Mann auf der wie Juren aussah. Eben jener Juren, den wir damals als Gehilfen von Ghyda kennenlernten, sowie unser guter alter Bekannter Stigandi Stigvarsson, mit dem wir noch ein Hühnchen zu rupfen hatten.
Während ich die Lage auskundschaftete, fand Ubbo einen unbeschriebenen Runenstein auf dem Pfad im Gras. Einen von der Sorte, die Ubbo und Björn in ihren Taschen fanden. Nach einigen Augenblicken des Inspizierens nahm er das Hölzchen an sich. Wir zogen uns einige Schritte von der Klippe zurück und beratschlagen, was zu tun war. Wir entschieden und dafür, wieder zum Dorf zurück zu kehren um Verstärkung zu holen.
Auf dem Rückweg, nach etwa einer halben Stunde, trafen wir auf einen auffällig großen Wolf. Da der Wolf zu dem kein aggressives Verhalten zeigte war meine Neugier geweckt und so ging ich auf den Wolf zu, der daraufhin kehrt machte und davon trottete. Wir folgten nun alle dem Wolf, der keine Anstalten machte uns abzuhängen und jedes Mal, wenn wir drohten, ihn aus den Augen zu verlieren, uns wieder zu ihm aufschließen ließ. Nach etwa einer Stunde gelangten wir zu Ghyda’s Waldhütte in deren Nähe der Kampf gegen den Draugr stattfand.
Wir öffneten die Tür und sofort schlag uns ein fauliger Geruch aus Verwesung, Kräutern und anderen undefinierbaren Dingen entgegen. Es war uns unmöglich auch nur einen Schritt weit in den Raum hineinzusehen, denn darin hingen dicht an dicht gedrängt, Netze von der Decke, in denen verschiedene Dinge lagerten und von denen der Großteil den krankhaft, verdorbenen Geruch verströmte. Während ich um die Hütte ging, betrat Björn den Raum.
Vorsichtig schob er die Netze bei Seite und bahnte sich langsam einen Weg hinein. Was war das? Ein leichtes Knarzen der Fußbodenbretter, ausgelösten von seinen schweren Schritten. Eine Berührung an seinen Arm. Langsam richtete seinen Blick auf die Stelle und was er sah, ließ ihm seine Adern gefrieren. Aus einem der Netze ragte eine kleine Hand heraus, die ihn streifte. Sie gehörte zu einem Kind, dessen Körper auf unnatürliche Weise verdreht, in dieses Netz gepresst wurde und dazu führte, dass ein Arm aus dem Netz hervorragte. Tote Augen starrten Björn aus einem ledrigen, schmerzverzerrten Gesicht an.
Auf der Rückseite der Hütte machte ich mich an dem Fensterladen zu schaffen. Ich schaffe es ihn zu öffnen, hatte aber nicht bedacht, dass der Riegel der den Fensterladen zuhielt, polternd zu Boden viel. Ich konnte nun zwar den Fensterladen öffnen, was mir allerdings auch nicht weiterhalf, da auch von dieser Seite die Netze den Blick in den Raum versperrten.
Das Geräusch des heruntergefallenen Riegels hatte etwas in der Hütte aufgeschreckt. Aus einer Raumecke erklang nun ein Schluchzen. Björn, gerade noch vom Anblick des toten Kindes abgelenkt, bewegte sich nun langsam rückwärts aus der Hütte hinaus. Ich machte mich nun wieder auf zur Vorderseite um die anderen zu unterstützen.
Während wir uns noch darüber unterhielten, was wir machen wollten krabbelte Ubbo dicht an den Boden gedrückt unter den Netzen hindurch. Bei jedem normalen Menschen hätten eigentlich alle Instinkte Alarm schlagen müssen, aber Ubbo, wohl wieder ins Gespräch mit den Göttern vertieft, erreichten diese Signale nicht.
Ich blickte unter den Netzen durch, um zu sehen was geschah, als plötzlich ein lauter werdendes Knacken zuhören war und Ubbo in seiner Bewegung abrupt erstarrte und nur einen Augenblick später samt Fußboden in die Tiefe stürzte.
Das Schluchzen verstummte und aus dem Schatten der hinteren Ecke sah ich eine Gestalt, die sich, auf allen Vieren krabbelnd, in Richtung Loch zubewegte und mich aus einem toten, fahlen Gesicht mit spitzen Zähnen angrinste. Beim Anblick der verzerrten Visage lief mir ein Schauer über den Rücken. Die Kreatur sah aus wie Gnor.
Ich fasste meinen Mut zusammen, schob meinen Ekel beiseite und betrat mit Schild voran den Raum. Nach einem Blick in das Loch im Boden sprang ich mit einem Satz hinein. Björn und Leif folgen dicht auf den Fersen.
Unten im Loch tat sich vor Ubbo eine riesige Höhle auf. Hinter sich hörte er wie etwas den Tunnel hinunterrutschte. Auch ihn ließ der Anblick von Gnor erschaudern. Doch dass es sich nicht um Gnor, sondern eine Ausgeburt eines Albtraums handelte, sollte ihm sofort klar werden, als ES mit einem Satz auf Ubbo zusprang und ihn zu Boden riss.
Nach einem zähen Kampf, in dem wir alle schwere Wunden einstecken mussten, wir aber das Monster letzten Endes besiegten, verließen wir die Höhle westwärts. Nach etwa einer Stunde erreichen wir den Ausgang.
Zu unserer Überraschung mündete dieser genau in der Bucht in der das Langboot mit der Schwedin vor Anker lag. Eigentlich hofften wir, endlich Antworten zu finden und Hild zu retten. Doch tatsächlich taten sich neue Fragen auf, die nun in unseren Köpfen umherspukten.
Wer ist sie, die Schwedin? Will sie sich für Gnor rächen? Hat sie die Kreatur aus der Höhle beschworen und zu Ghyda’s alter Hütte geschickt, um uns oder allen die in seinen Tod verwickelt waren in eine Falle zu locken? Was hat Juren damit zu tun? Sind die Leute vom Schiff nur angeheuerte Söldner? Können wir mit ihnen verhandeln? Wohin führt der andere Ausgang?