Wir wollten also soeben das Langhaus verlassen, als ein markerschütternder Schrei aus dem hinteren Teil des Hauses, aus den Räumen des Jarl erklang. So nahmen wir die Beine in die Hand und fielen förmlich die Stiege ins obere Stockwerk hinauf. Hier war der der Raum mit Fellen und Stoffen in zwei Schlafbereiche unterteilt. In dem einen stand das Bett von Gudrid und ihrem Mann und in dem anderen das Bett von Hrolf und seiner Frau. In diesem lag Hrolf auch zusammengekrümmt wie ein kleines Kind und sich vor Schmerzen windend. Um ihn herum seine sorgenvoll dreinschauende Frau Yngwe, seine älteste Tochter Gudrid, der es ebenfalls nicht gut zu gehen schien und ihr Mann Herjolf, der sie leicht stütze. Hrolf hatte sich wohl schon ein paar Mal erleichtert und das gute Festessen auf den hölzernen Dielenboden gekotzt.
Mir war sofort klar, dass der Mann schlicht durch den ganzen Trubel des Tages nicht zum Scheißen gekommen war und ihm nun die selbige die Gedärme zerwühlte. Aber wer hört in solchen Situationen schon auf einen armen Fischer wie mich? Deswegen fing Ubbo auch sofort an mit ein paar Knochen eines kleinen Vogels oder einem Stöckchen, welches er wohl immer in einer seiner vielen Taschen hat, in dem Erbrochenen herum zu stochern und zu murmeln, um so wohl den Grund für die Erkrankung zu lesen. Aber alles Weitere erspare ich euch hier.
Wenige Augenblicke später traf die ebenfalls eilig gerufene Volva Hild ein, um ihrerseits den Jarl zu untersuchen. Aber auch sie kam wenig später zu dem Entschluss, dass Hrolf sich wohl nur den Magen verdorben hatte. Anders als Gudrid, die in der Zwischenzeit so schwach auf den Beinen wurde, dass ihr Mann sie aufs Bett legen und ihr die schweißnasse Stirn trocknen musste. Auch sie wurde von der Volva eingehend untersucht und mir war bei ihrem Gesichtsausdruck sofort klar, hier stimmt etwas nicht.
Es dauerte auch eine gefühlte Ewigkeit bis die Volva meinte, „Sie ist verhext worden, aber ich kann den Ursprung nicht erkennen. Wenn wir nicht schnell heraus finden wie dieser böse Zauber wirkt, wird sie ihr ungeborenes Kind und vielleicht auch ihr Leben verlieren. Ich brauche die Runentafeln mit der sie verhext wurde oder den Mann der das getan hat.“
Noch bevor sie dies gesagt hatte, konnte man hören wie jemand ebenfalls die Stiege nach oben steigen wollte, Halt machte und wieder nach unten sprang, um das Langhaus zu verlassen. Ich nahm also die Beine in die Hand, während die anderen noch weiter versuchten, sich um Hrolf und Gudrid zu kümmern, schnappte ich mir eilig im Vorbei gehen meinen Umhang und die Axt und trat ebenfalls vor das Langhaus.
Hier sah ich noch wie Stigandi, der Bruder von Gudrids Mann Herjolf und somit ein Edelmann sich eiligen Schrittes vom Langhaus des Jarls entfernte und in Richtung der Stallungen ging. Vorsichtig folgte ich ihm, um die kleinen Holzhäuschen von Rohald und sah wie er sich vor dem Stall mit einem weiteren Gast der gestrigen Feier traf. Einem hoch gewachsen und augenscheilich kräftigen Mann, welcher in schwarze Wolfsfelle gekleidet war. Dieser hatte bereits sein Pferd gesattelt und nach draußen geführt und schien nur noch auf Stigandi zu warten. Sie unterhielten sich kurz ohne das ich wirklich etwas mitbekommen konnte. Aber Heimdall sei mein Zeuge, auch hier erkannte ich sofort, dass die beiden etwas mit den Geschehnissen im Langhaus zu tun hatten.
Ich musste also versuchen den Fremden daran zu hindern das Dorf zu verlassen, bevor wir ihn nicht eingehend befragen konnten. Aber mir war klar, dass selbst ich nicht in der Lage war beide Kämpfer auf zu halten und um Hilfe rufen war ebenfalls keine Option. Also flüsterte ich dem Wind des Norden, des Südens, des Westen und des Osten das alte Wiegenlied der Nornen zu und hoffte das Loki meinen Plan unterstütze. Nun und so geschah es, dass der Fremde genau in dem Augenblick in dem er sich mit einem kräftigen Schwung auf sein Pferd heben wollte, zusammensackte und rücklings in den Schlamm viel und einschlief.
Natürlich war Stigandi sofort in heller Aufregung und rief um Hilfe. Diese Gelegenheit nutze ich, um zu ihm zu laufen und zu fragen wie ich ihm helfen könne und wer der Fremde überhaupt war und was passiert ist. Ein ebenfalls herbei geeilter Stallbursche wurde zum Langhaus geschickt, um weitere Helfer und vor allem Bjørn zu holen. Aber das Glück war mir nicht lange hold und so schien das Schlaflied der Nornen alsbald seine Wirkung zu verlieren. Der Fremde wachte wieder auf und erkannte wohl recht schnell was passiert war. Umso eiliger hatte er es ab da, dass Dorf zu verlassen. Weder konnte ich mehr erfahren, noch konnte ich ihn abermals aufhalten. Er verabschiedete sich lediglich von Stigandi mit den Worten, „Wir sehen uns in Hleidra“.
So durchritt er gerade das Dorftor, als Bjørn auf den kleinen Platz vor dem Stall eintraf.
Natürlich versuchten wir noch Stigandi aus zu fragen, aber dieser wurde sofort ungehalten und zornig. So dass uns schnell klar wurde, einen Edelmann und Ehrengast von Jarl Hrolf zu beleidigen oder gar ihn ohne Beweise mit der Erkrankung von Hrolf und Gudrid in Verbindung zu bringen, hätte uns viel Ärger eingebracht. Auch wäre der Fremde dann vermutlich über alle Berge und nicht mehr zu erreichen gewesen. Wir eilten also ebenfalls schnell in die Stallungen, sattelten unsere Pferde und setzten dem Fremden hinterher. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, Ragnar, ebenfalls ein Krieger aus Hrolfs Leibwache und Magnus sollten uns wenig später folgen.
So ritten wir in die Richtung in die der Fremde verschwunden war und versuchten so gut es ging, seinen Spuren zu folgen. Schnell stellten wir fest, dass er in Richtung des kleinen Waldes mit dem Lagerplatz der vier Männer unterwegs war. War dies der fünfte Mann?
Kurz nachdem wir den Wald erreichten und wieder absitzen mussten, um durch das dichte Unterholz zu kommen, hörten wir abermals das laute Heulen von Wölfen. Doch dieses Mal schienen sie nicht vor etwas davon zu laufen, sondern etwas zu jagen. Das Heulen schien immer näher zu kommen und wenige Augenblicke später sahen Bjørn und ich uns von gut einem halben Dutzend dieser Bestien umzingelt. Während ich die wichtige Aufgabe übernahm die Pferde zu beruhigen und ihnen die Wölfe vom Leib zu halten, stellte Bjørn sich ihnen in einem direkten Kampf.
Verzeiht wenn ich mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern kann, ich weiß nur das Bjørn seine Sache gut machte und die ersten beiden Wölfe mit wenigen Schwerthieben zu Boden gehen ließ. Man könnte sogar sagen, dass er dem Ausspruch „Jemandem das Fell über die Ohren ziehen“, sehr wörtlich zu nehmen schien. Aber die Wölfe ließen nicht von uns ab, selbst als der dritte Wolf mit lautem Heulen fiel, suchten sie ihr Glück nicht in der Flucht, sondern versuchten uns immer wieder an zu greifen. Es schien fast so, als ob sie unter einem Fluch oder Bann standen. Vielleicht wäre dieser Kampf sogar anders ausgegangen, aber gerade als einer der Wölfe in die Flanke eines der Pferde springen wollte ohne dass ich es hätte verhindern können, stand Magnus einige Schritte hinter uns im Wald und erledigte den Wolf mit einem gezielten Schuss.
Im selben Moment sah man Ragnar unbeeindruckt der vielen Äste die ihm entgegen schlugen, einige Meter seitlich von uns durch das Unterholz reiten. Vermutlich hatte er bereits erkannt, dass der Fremde längst am Lagerplatz angekommen war.
Mit Magnus Hilfe wurden die verbliebenen Wölfe schnell erlegt und wir konnten uns ebenfalls in Richtung Lagerplatz aufmachen. In der Zwischenzeit kam Ragnar, so erzählte er es zumindest später, genau in dem Moment am Lagerplatz an, als der fremde Mann sich abermals auf sein Pferd schwingen wollte. Ragnar nahm also seinen Speer und rammte diesen aus vollem Galopp in die Flanke des fremden Pferdes, so dass dieses seitlings zusammenbrach und seinen Reiter wohl fast unter sich begraben hätte. Den darauffolgenden Kampf konnte Ragnar mit Thors Hilfe und einigen gezielten Schwerthieben für sich entscheiden, so dass der Fremde zusammenbrach als wir anderen drei gerade das Lager erreichten.
Zu unserem und wohl auch zu Gudrids Glück war der Mann noch nicht tot, so dass er uns noch berichten konnte wer ihn angeworben und was er mit Gudrid gemacht hatte. Es war Stigandi der ihn und die vier anderen Männer in Hleidra ansprach und ihnen viel Silber zahlte, wenn sie mit ihm nach Rohald reisen und dafür sorgen würden, dass Gudrid die Frau seines Bruders die Feierlichkeiten nicht wohlbehalten überstehen würde. So belegte der Mann wohl zwei Holztäfelchen mit einem bösen Zauber und steckte sie Gudrid am Abend des großen Festbankettes unbemerkt zu, während seine Helfer hier im Wald auf ihn warten sollten.
Daraufhin ließen wir den Fremden mit seinem Schwert in der Hand sterben und ihn so als ehrenvollen Krieger in die Hallen Odins reisen. Immerhin hatte er sich ehrenvoll verhalten und nicht weiteres Leid über seinen Tod hinaus verbreitet.
Wir packten darauf hin unsere Sachen und machten uns so schnell die Pferde uns tragen konnten zurück auf den Weg nach Rohald. Im Dorf angekommen berichteten wir natürlich sofort dem Jarl, dem es inzwischen wieder besserging, was man von seiner Tochter nicht sagen konnte. Natürlich wollte er es zu anfangs nicht glauben was wir zu berichten hatten und auch sein Schwiegersohn vermutete eine Lüge. Aber die Volva fand mit unseren Informationen wenig später die beschriebenen Runentafeln und bestätigte den Fluch auf ihnen. Stigandi, der daraufhin aufgesucht wurde, stritt natürlich alles ab, verstrickte sich aber zusehends mehr in Wiedersprüche und wurde Opfer seines hinterlistigen Vorhabens.
Er wurde aufgrund seines Standes nicht sofort getötet, sondern als Vogelfrei erklärt und mit dem Bann belegt, die Länder des Jarl zu Rohald noch die seines Bruders je wieder betreten zu dürfen. Seit also gewarnt, wenn ihr Stigandi jemals zu Gesicht bekommt, ihr dürft ihm keine Hilfe zuteil werden lassen! Er würde sie euch vermutlich auch nicht gewähren.
Nun ja, den Göttern sei Dank konnten wir wieder einmal mehr Leid von unserem Jarl und seiner Familie wenden. Wir wollten uns gerade wieder ins Langhaus begeben um dies mit einem Humpen Met zu feiern, als die Volva zu uns trat und sagte, „Morgen kurz nach dem die Sonne den Horizont berührt, findet ihr euch alle in meiner Hütte ein. Ich muss mit euch etwas wichtiges Besprechen.“