Schmerz. Widernatürlicher, brennender Schmerz, der sich in immer neuen Wellen durch seinen Körper fraß. Der ihn veränderte, tötete und zugleich neu gebar. Schmerz, der ihn neu erschuf; vom Ebenbild Gottes in das Ebenbild des Monsters verwandelte, das in seiner Seele wuchs. So hatte das andere Ungeheuer, das ihn vor dreizehn Nächten (waren es wirklich schon so viele Nächte her?!) das gegeben, was es „Kuss“ nannte. Während der ganzen Zeit hatte er in diesem kleinen, feuchtkalten Raum gelegen, in dem nur das flackernde Licht einer Petroleumlampe schien. Während fast der ganzen Zeit war der andere, sein Erzeuger bei ihm gewesen, hatte zugesehen. Es hatte gesagt, es sei unverantwortlich, sein Kind dem Werden allein zu überlassen. Zumindest in seinem Clan. Schon viele hätten aus Grauen vor sich selbst während der Verwandlung versucht sich umzubringen. Einige hatten es geschafft.
Seine Qual begann wieder schwächer zu werden und versiegte zu einem leichten Brennen. Zitternd richtete er sich von seinem Lager aus schmutzigen Lumpen auf und schlug die Decke zurück. Er zitterte, als er den Kopf wandte, um in den hohen, verschmierten Spiegel zu blicken, der an der Wand lehnte. Das Bild, was sich ihm bot, war grässlich anzusehen: Seine gesamte Haut hatte schmutzig braune Farbe angenommen und war verschrumpelt wie bei einem faulen Apfel. Doch noch immer hob sich die alte Brandwunde auf seiner rechten Gesichtshälfte deutlich ab.
„Der Kuss verändert deinen Körper, doch heilt er ihn in keiner Weise“, so hatte sein Erzeuger es ihm erklärt, als er nach der ersten Schub der Verwandelung in den Spiegel geblickt hatte:
Alles Haar am Körper war ihm ausgefallen, nur noch die faltige Hülle bedeckte sein Fleisch. Die Wirbelsäule hatte sich verkrümmt, so dass er nach vorn gebeugt gehen musste. Seine Hände waren zu Klauen geworden, mit rissigen Nägeln und von einem Gespinst schwarzer Adern durchzogen. Die Augen waren wässrig und trugen schwere Tränensäcke, seine Nase hatte sich nach oben gebogen, so dass er direkt in die Löcher sehen konnte. Zwischen den wulstigen Lippen stachen zwei nadelspitze, aber unterschiedlich lange Zähne hervor. Zu guter Letzt war sein linkes Ohr, das nicht verbrannt war, seltsam verdreht und knollig in die Länge gewachsen.
Er konnte nicht anders. Er fing an zu schluchzen und blutige Tränen zu weinen, als er das Ungeheuer im Spiegel sah, das er selbst war. Hinter hörte er es rascheln, als sein Erzeuger sich bewegte.
„Ja, heul nur!“, krächzte er mit heiserer Stimme. „Denn Michael Rand, der Mensch, ist nun tot. Und was noch von ihm übrig ist, ist Nosferatu!“
Zeitlinie
- 16. Mai 1834: Geburt als 5. von 6 Kindern, Eltern: Martha und Ernst Rand (Ziegelbrenner)
- 1849: Michael beginnt ebenfalls in der Ziegelei zu arbeiten
- 1855: Michael geht nach Berlin, da ihm das einfache Leben als Arbeiter zu trist erscheint. Mit seinem Freund Reinhold Koll pachtet er zusammen eine Kneipe, dass Rote Eck. Die Kneipe wird rasch von Berliner Ringvereinen als Treffpunkt auserkoren. Michael ist erst skeptisch, lässt sich von Reinhold dazu überreden, falsche Alibis zu liefern und Beute zu verstecken, da damit gutes Geld zu verdienen ist und die Ringvereine Schutz versprechen.
Nach einiger Zeit verschwinden Michaels Bedenken und mit Reinhold begeht er selbst einige Brüche.
- 1862: Bei einem Einbruch werden Michael und Reinhold von der Bewohnerin des Hauses überrascht. Reinhold will sie töten, Michael ist dagegen. Sie geraten in Streit, die Nachbarn alarmieren eine Schutzstreife. Michael kann fliehen, Reinhold wird festgenommen und zu fünf Jahren Knast verurteilt
- 1867: Reinhold Koll wird aus dem Zuchthaus entlassen, verlangt von Michael die Hälfte der Beute aus dem damaligen Bruch. Es kommt zum Streit, Reinhold schlägt Michael nieder und steckt das Rote Eck in Brand. Michael kann in letzter Minute fliehen und entkommt mit bleibenden Brandwunden im Gesicht. Ein paar Wochen später gelingt es ihm, Reinhold zu stellen und erschlägt ihn. Die Tat wird beobachtet, und die Polizei gerufen. Michael wird verhaftet und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt
- 1882: Entlassung aus dem Zuchthaus, Abgleiten ins Obdachlosenmilieu. Michael gelingt es nach einiger Zeit, eine „Berbergilde“ zu gründen, die auch wieder Kontakte zur Halbwelt aufbaut. Ohne es zu wissen, zieht Michael als Kopf der Berber so erstmals das Interesse der Nosferatu auf sich
- 20. Januar 1889: Erhalt des Kusses durch …………………………………
- 13. Juni 1896: Freisprechung durch Prinz Wilhelm
- Nach 1896: Aufbau einer neuen Berbergilde, die wie die Ratten und Straßenköter Augen und Ohren der Nosferatu ist
- 1. Weltkrieg 1914 bis 1918
- 2. Weltkrieg 1939 bis 1945 während der Kriege zog sich Rand so weit es ging zurück und versuchte anschließend zur Buße seiner Sünden die Not von einzelnen Flüchtlingen zu lindern, soweit es eben ging. Als die Russen Ostberlin besetzen, erlernt Rand auf Anweisung Karl Liebknechts die Sprache des Feindes
- 1975: Die Journalistin Elsa Kindermann recherchiert im Umfeld der RAF, als das auffällt, will die Zelle sie töten. Rand hat seinerseits Kindermann beobachtet, es gelingt ihm, sie zu retten. Seit dem ist sie sein Kontakt
- 1977: Rand Zuflucht liegt gut verborgen in einem stillgelegten Versorgungsraum im Berliner Untergrund. Er verfügt über einen Ghul, den Straßenköter Svet. Seine Berbergilde besteht im harten Kern aus den Obdachlosen, die auch seine Herde bilden:
- Ela: 67 Jahre, ehemalige Prostituierte
- Bert: 45 Jahre, Zuchthäusler
- Fredda: Ende 50, verlohr ihre Familie im Krieg, depressiv
- Hart: Ex-Soldat, Kriegsversehrter, hat ein Bein durch Miene verlohren, spricht nicht über den Krieg
- Franz, 48 Jahre, hat noch eine heruntergekommene Wohnung, macht kleinere Brüche, droht ständig völlig auf der Straße zu landen
- Kai, 17 Jahre, Stricher, flog wegen seiner Homosexualität aus dem gut bürgerlichen Elternhaus
- Marga, 2o Jahre, lebte die meiste Zeit in Kinderheimen, wurde misshandelt, landete auf der Straße
Wesen und Verhalten
Schon in seinem menschlichen Leben hat Michael Rand nahezu sämtliche Tiefen erlebt, dass das Schicksal einem durchleiden lassen kann. Als etwas naives Arbeiterkind ging er nach Berlin, um das Leben in der großen Stadt kennen zu lehren. Was er fand, waren Kriminalität, das Gesetz des Stärkeren und Gewalt. Er ließ auf den krummen Weg ein und wurde zum Einbrecher und später zum Mörder seines ehemaligen Freundes. Diese Schuld nagt schwer an ihm und er wird sein Unleben lang versuchen, sie abzutragen. Sein Weg, dies zu tun? Er versucht, die zu Beschützen, die wie er in seinem Leben alles verloren haben und auf der Straße gelandet sind.
Aufgrund seiner eigenen Erfahrung gibt Rand wenig auf die, die sich auf Grund ihrer Bildung, Herkunft oder ihrer Verdienstes für etwas Besseres halten – er hat selbst gesehen, wozu der Abstieg einen Menschen treiben kann. Nimm ihm sein Heim, seinen gefüllten Bauch und sein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle und siehe was bleibt …
Die meisten Veränderungen in seinen Leben waren von negativer Folge, eine sich abwärts drehende Spirale, die für Michael selbst in der Gosse und im Vampirismus endete. Daher ist er dem Wandel sehr negativ gegenüber eingestellt und befürwortet die Camarilla, die die Maskerade und den Status Quo erhalten will. Sollte der Sabbat die Oberhand in West-Berlin erlangen, wäre dies natürlich die schlechteste aller Veränderungen – für Menschen und Kainskinder.