New Orleans bei Nacht – Kapitel 4: Raserei

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Freitag, der 06.10.1916: Wir treffen uns in unserem Hauptquartier im Hafenviertel. M. Demond hat für uns eine Nachricht hinterlegt, dass er in den kommenden Nächten wegen dringender Geschäfte nicht an unseren Treffen teilnehmen kann. Ich erzähle den anderen, wie ich mich in den letzten Nächten per Verdunkelung als Obdachloser ausgegeben und mich unter die Penner gemischt habe. Meine Vermutung ist, dass der „Boxer“ selbst von seinem Erzeuger nicht ausgebildet wurde und daher wenig über das Vampirsein weiß. Jedenfalls scheint er seine Opfer unter Prostituierten und Obdachlosen zu finden. Personen also, die ein risikoreiches Leben führen und vergleichsweise leichte Beute sind, da sie kaum jemand vermisst.
Meine Recherche hat ergeben, dass die Penner und Straßendirnen immer mehr in Angst leben. In Storyville und dem Ostteil des Hafens (hier wurde die „Näherin“ geschaffen und hier fanden wir Edwins Leichenversteck) soll der Tod umhergehen. 15 Mordopfer scheinen mittlerweile auf das Konto des „Boxers“ oder seiner missratenen Nachkommen zu gehen. Glücklicherweise hat noch niemand gesehen, wie Menschen in den Schatten gezerrt und ausgesaugt wurden. Aber Gerüchte von einem irren Mörder oder blutgierigen Raubtier aus den Sümpfen machen die Runde.
Ich unterbreite den anderen den Vorschlag, das wir in Storyville und dem Hafen in der Maske von Obdachlosen auftreten, um dem „Boxer“ so als Lockvögel eine Falle zu stellen. Eli, Etienne und Father Josef stimmen zu. Morgen Nacht wollen wir beginnen.

Samstag, der 07.10.1916: Bevor wir auf Patrouilliere gehen, treffen wir uns zur Besprechung im Hauptquartier. Die anderen haben sich abgerissene Kleidung besorgt. Father Josef und Eli werden Storyville umherstreifen. Etienne, der mit seinem verstümmelten Arm den Kriegsversehrten mimt, wird mit mir den Osthafen übernehmen.

Beschattungen und Patrouillieren sind oftmals ein Geduldsspiel. Zusätzlich zu Etienne habe ich noch Banjo, meinen Ghul-Waschbären mitgenommen, der auf leisen Pfoten die weitere Umgebung erkundet. So geschieht es zwischen zwei und drei Uhr nachts, dass er plötzlich angerannt kommt und unter meinen speckigen Mantel flüchtet. In seinem Geist sehe ich das nahe Gittertor vor einem Abfluss in der Kaimauer. Irgendetwas scheint Banjo dort gewittert zu haben … ein Monster. Zusammen mit Etienne schaue mich mir das Gitter an. Es ist verschlossen, der Tunnel gabelt sich einige Meter hinter der Öffnung, wie Etienne dank seiner geschärften Sinne wahrnehmen kann.

Oberhalb der Kaimauer befindet sich ein umfriedetes Fabrikgelände.
Der Rückzugsort des „Boxers“?
Etienne will weiter das Abflussrohr im Auge behalten, während ich mich oben umsehe. Verdunkelt überwinde ich die hohe Mauer. Die Fabrik ist verlassen, kein Rauch steigt mehr aus ihren Schloten auf. Viele Fensterscheiben sind zerbrochen, die Hallen sind baufällig und Unrat liegt auf dem Hof. Hier scheint schon seit einer Weile kein Betrieb mehr zu herrschen. Ich steuere eine der Werkhallen an und schlüpfe leise durch die Tür. Im Dunkel der Halle kann ich die Umrisse großer Maschinen erkennen. Irgendetwas klappert metallisch. Unter meinem Mantel zittertet Banjo, er fürchtet ein „Monster“. Plötzlich stürzt sich etwas von oben auf uns herab.
Ich schaffe es noch, den Waschbären entschlüpfen zulassen, dann verstricke ich mich mit meinem Gegner in einen wilden Nahkampf. Sein fauliger Gestank schlägt mir entgegen, und in seinen Augen sehe ich einen stumpfen, roten Glanz. Er gibt kaum einen Laut von sich, scheint stumm zu sein.
Dafür ist er äußerst stark und das Kampfessglück ist nicht auf meiner Seite. Mehrfach wirft mich er Kerl nieder und versucht, seine Zähne in meinen Hals zu schlagen. Verbissen ringen wir miteinander, schließlich gelingt es dem „Stummen“ tatsächlich, mir die Kehle herauszubeißen. Ich verpasse ihm einen Messerstich und Etienne, angelockt vom Kampfeslärm, schießt mit seiner Pistole auf den Feind. Der Fremde sucht sein Heil in der Flucht und verkriecht sich in einem der erloschenen Hochöfen. Der Toreador setzt ihm nach und unterwirft ihn seiner Beherrschung und Präsenz. Danach folgt ihm der Fremde wie ein Hund nach draußen. Schwer verletzt verlasse auch ich die Halle. Nun kann ich sehen, dass dem anderen ebenfalls die Kehle herausgerissen wurde. Kein Wunder, dass er weder gesprochen noch geschrien hat.
Etienne versucht, den Namen des Fremden zu erfahren, doch auch Schreiben gehört nicht zu den Künsten, die der Kerl beherrscht. Jedenfalls scheint er ein weiterer Abkömmling des „Boxers“ zu sein. Immerhin kann er sich noch an Einzelheiten seiner Erschaffung erinnern, wie der „Stumme“ uns auf Etiennes Fragen durch Nicken mitteilt. Wir bringen ihm in den Keller unseres Hauptquartiers, dann mache ich mich auf die Suche nach etwas zu Trinken.

Derweil sind Father Josef und Eli in Storyville unterwegs.
Wie wir später erfahren sollen, herrscht auf den Straßen herrscht buntes Treiben. Doch den beiden Vampiren entgeht nicht, dass sich unter einigen Mänteln Knüppel, Messer und Pistolen verbergen. Anscheinend halten sich die Menschen wegen der Mordserie zur Verteidigung bereit…
Die Nacht schreitet fort, bis Father Josef plötzlich aus den Augenwinkeln eine Gestalt um eine Ecke verschwinden sieht, die der „Boxer“ sein könnte.
Rasch nimmt er die Verfolgung auf. Eli bemerkt dies und folgt dem Kameraden, als er nicht wiederkommt.
Der Tremere sieht durch das Gedränge, wie der Mann, den er für den „Boxer“ hält, den Weg zum Hafen einschlägt. Er folgt ihm zum French Quarter, doch hier scheint Father Josef die Spur des „Boxers“ verloren zu haben. Eli holt ihn dafür in der Nähe des „God Old Boyz“ ein. Da hören sie plötzlich einen hohen, spitzen Schrei aus Richtung der Bluesbar. Sie eilen zur Hilfe und sehen gerade noch, wie eine dunkle Gestalt einen Körper in eine Nebengasse zieht. Elis Augen glühen rot, als er in die Sackgasse tritt.
Dort sieht er einen Mann im derben Lodenmantel mit Boxernase, der sich über ein regloses Opfer am Boden beugt. Auch seine Augen leuchten rötlich – es ist der „Boxer“!
Father Josef kommt ebenfalls hinzu und macht sich kampfbereit.
Eli spricht den Fremden an und versucht, dessen Vertrauen zu gewinnen.
Er erklärt, dass er zur selben Art wie der „Boxer“ gehöre und dass sich dieser der Gesellschaft der Stadt anschließen und nach ihren Regeln leben muss. Dazu müsse er sich dem Prinzen vorstellen. Wenn der Fremde nicht einwilligen sollte, dann müsse die Angelegenheit „hier und jetzt“ geklärt werden. Der „Boxer“, der sich als „Jim“ vorstellt, willigt nach kurzem Zögern ein. Doch als er sich von seinem Opfer entfernt, erkennt Eli dass es sich um Marilyn handelt. Seine Sängerin!
Das Tier bricht aus seinen Fesseln aus und Eli verfällt in Raserei.
Mit wirbelnden Klauenhieben reißt er „Jim“ in Stücke. Father Josef ist entsetzt, kann aber nichts tun, außer zuzusehen. Nachdem die Raserei abgeklungen ist, hebt Eli Marilyn behutsam hoch. Sie hat viel Blut verloren und liegt im Sterben. Wortlos trägt der Gangrel sie in den Keller des „God Old Boyz“.
Während Father Josef die letzten Überreste von Jim, dem Boxer, einsammelt, steht Eli vor einer grausamen Wahl: entweder lässt er das Mädchen mit der Engelsstimme sterben oder er verdammt sie zu einer Existenz als Vampirin …

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