Dienstag, der 10. Tag des VIII. Monats im Jahre 888 nG
Auf Caribtus‘ Bitten hin reisen wir von Kreuzing in das Dorf Karbunkel. Dort soll in jeder Vollmondnacht ein Elfenturm erscheinen, der den Türmen in Kreuzing gleicht. Dem Magier ist aufgefallen, dass die geheimnisvollen Türme, die sich unantastbar zwischen den menschlichen Bauwerke erheben, wieder Zeichen magischer Aktivität zeigen.
Donnertag, der 12. Tag des VIII. Monats im Jahr 888 nG
Zur Mittagsstunde erreichen wir ein Schild, das uns von der Hauptstraße aus den Weg nach Karbunkel weist. Kurz darauf überquerten wir einige Hügel und sehen vor uns das Dorf. Es wirkt auf den ersten Blick klein und schäbig; circa zwei Dutzend graue Häuser, die sich um einen Gasthof, eine Stellmacherei und eine kleine Kirche schmiegen. Rings um Karbunkel liegen noch ein paar vereinzelte Bauernkarten verteilt. Jenseits des Dorfes breitet sich eine karge Heidelandschaft aus, die von weißen Blumen gespickt ist.
Als wir uns dem Gasthaus „Zum Stumpen“ nähern, kommt uns ein struppiger Straßenköter entgegen. Er lässt sich von Wilbur streichen und wedelt begeistert mit dem Schwanz. Kurioserweise besitzt der Hund eine zweite, verkümmerte Rute. Ansonsten ist das Tier wohl bei bester Gesundheit.
Wir betreten die Schankwirtschaft, um nach Wegzehrung zu fragen. Noch stehen alle Stühle oben auf den Tischen und es sind keine anderen Gäste anwesend. Der Wirt kommt uns aus der Küche entgegen und fragt nach unserem Begehr. Erst denken wir, dass er ein schiefes Gesicht hat. Doch dieser Eindruck entsteht lediglich durch sein rechtes Auge, das ein Stücken tiefer sitzt als sein linkes. Wir erklären, dass wir wegen dem Elfenturm gekommen sind. Der Wirt meint, dass dieser Turm immer in den Nächten rund um den Vollmond auf der Bitterheide auftaucht. Ein völlig normales Ereignis für die Dörfler. Das Land hier sei besonders, erklärt er versonnen. Ein gesegnetes Fleckchen Erde.
Die Tür zur Küche öffnet sich, und die Wirtin bringt uns die bestellte Wegzehrung. Als sie sich zum Gehen wendet, kehrt sie uns ihren Rücken zu, der von eine kleinen Buckel gekrümmt wird. Der Wirt vermutet, dass hier mal eine Elfenstadt gestanden haben könnte. Auch das entschwundene Volk habe sicher gespürt, dass dieses Land gesegnet ist. Die Außenwelt hingegen macht auf den Wirt einen garstigen Eindruck. Zweimal im Jahr sei er in Kreuzing, aber die große Stadt ist kein freundlicher Ort. Überhaupt, überall ist es schlechter als in Karbunkel: Im Alten Wald sollen sich Monster regen und auf Burg Martereck sei gar ein Drache gesehen worden, plaudert der Wirt. Hier hingegen leben die Leute friedlich wenn auch bescheiden zusammen.
Wir mieten zwei Doppelzimmer für die Nacht und erkunden dann die nähere Umgebung. Zunächst stoßen wir in die Bitterheide vor, die sich nördlich von Karbunkel erstreckt. Ein flaches, karges Stück Land von 400 bis 500 Metern Länge und 100 bis 150 Metern Breite, das bei aller Eintönigkeit auch einen gewissen Charme ausstrahlt. Wilbur fühlt sich an seinen Wohnsitz in Pfeilers Ruh erinnert. Krätze sucht nach Spuren der Magie, die der Wirt erwähnt hat. Doch der Goblin kann keine finden.
Als wir ins Dorf zurückkehren sehen wir, wie ein beladener Karren von der Stellmacherei losfährt und Karbunkel wieder verlässt. Ich schlage vor, dass wir uns den Friedhof rund um die Kirche ansehen sollten. Zunächst betreten wir das kleine Gotteshaus. Bänke, ein Altar mit einer Statue der Heiligen Astrid und ein Buntglasfenster mit der sich selbst verschlingen Schlage. Soweit so gewöhnlich. Doch in einen Alkoven entdecken wir eine grazile Figurine einer spitzohrigen Frau, die ein Füllhorn in den Händen trägt. Davor liegen Blumen und brennen einige Kerzen. Diese Statur passt weder zum Einen Gott noch zu den Alten Göttern. Auf dem Weg zum Friedhof treffen wir den graubärtigen Dorfpriester, der sich uns als Vater Grieven vorstellt. Krätze spricht ihn auf den Elfenturm an.
Der Priester vermutet, dass es sich bei dem Gebäude ein Trugbild aus dem untergegangen Elfenreich handele. Der Eine Gott und die Heilige Astrid wachen über dieses Land, erklärt uns der Priester bereitwillig. Melina bemerkt, dass der Priester einen sechsten Finger hat. Darauf angesprochen meint Vater Grieven, dass alle braven Bewohner Kabunkels eine solche Form der „Segnung“ erhalten haben. Grieven berichtet von dem alten Tibru, der dank eines dritten Arms sogar zwei Instrumente spielen konnte. Er sei ein guter Gaukler gewesen, aber leider schon verstorben.
Auf dem Friedhof entdecken wir das Grab von Tibru, das durch eine dreiarmige Statue seiner selbst einfach zu erkennen ist. Der Mann verstarb im Alter von 40 Jahren. Melina geht zurück in die Kirche und fragt Vater Grieven, wie Tibru den Tod gefunden hat. Doch dieses Thema scheint dem Priester unangenehm zu sein und er rettet sich in Ausflüchten.
Als wir in den „Stumpen“ zurückkehren, fallen uns im Dorf auch einige Kinder mit Missbildungen auf. Diese „Segnungen“ könnten also tatsächlich angeboren sein. Zwar können wir bei einigen Dörflern keine zusätzlichen Finger, Verwachsungen oder ähnliches entdecken – aber vielleicht tragen diese ihre Missbildungen auch unter der Kleidung verborgen. Ist die angebliche Magie des Landes für diese Mutationen verantwortlich? Oder steckt da etwas anderes dahinter? Im „Stumpen“ riecht es nach Essen und der Wirt hievt gerade ein neues Bierfass aus dem Keller. Melina versucht ihn geschickt über den Tod von Tibru auszufragen. Doch der Mann weicht ihren indirekten Fragen mit einem süffisanten Lächeln und unklaren Antworten aus. Schließlich wird es Kratze zu bunt und er fragt direkt, woran Tibru verstorben ist. Bereitwillig berichtet der Wirt, dass der Gaukler bei einen Wettsaufen an seinem eigenen Erbrochenen erstickt ist.
Nach dieser Information essen wir Kesselgulasch und dann machen wir uns auf den Weg in die Bitterheide. Svet, der Straßenköter, begleitet uns. Die Dämmerung zieht herauf, die ersten Sterne funkeln am Nachthimmel. Grillen zirpen, ein Vogel singt. Wilbur spielt eine alte Weise auf seiner Flöte. Als die Sonne untergegangen ist, verlässt Svet uns und kehrt nach Karbunkel zurück. Allein warten wir auf das Erscheinen des Elfenturms. Es hat noch nicht 11 Uhr geläutet, als wir plötzlich aus dem Nichts das Rumpeln einer schweren Kutsche vernehmen. Außerdem hören das Geschrei eines Markthändlers, kreischende Möwen sowie Gemurmel und Geklapper aus einer Gaststätte. Krätze sucht nach Zauberei und sieht, dass die ganze Heide vor Magie erstrahlt.
In diesem Moment bemerkt Melina voller Schreck, dass ihre Flinte verschwunden ist.
Eben lehnte das teure Stück noch neben ihr an einem Baumstamm, nun ist es wie vom Erdbogen verschluckt. Ich umklammere eisern den Griff meines Kriegshammers.
Der silberne Mond geht auf, er hat fast seine volle Gestalt erreicht. Gegen Mitternacht erscheint ein gut 40 Meter hoher, schlanker Turm auf der Bitterheide. Er schimmert im Silberlicht und wirkt leicht transparent. Vorsichtig nehmen wir die Erscheinung unter die Lupe. Wie die Türme in Kreuzing hat auch dieses Gebäude keine Fenster, doch auf der dem Mond abgewandten Seite befindet sich ein hoher Torbogen, dessen Öffnung dunkel bleibt. Ich stecke meine Hand nach der transparenten Mauer aus und sie gleitet widerstandslos hindurch. Insgesamt wirkt der Turm wie ein sehr dichte Fata Morgana.
Wilbur und Krätze betreten den Turm und können durch die schimmernden Wände uns draußen stehen sehen. Als sie die Erscheinung wieder verlassen, zieht Krätze eine Spur schwebender Löffel hinter sich her, die aus seinem Beutel aufsteigen und durch die Nachtluft tanzen. Hastig sammelt der Goblin seine geliebten Schätze wieder ein und verstaut sie sorgsam in seinem Säckchen. Als Krätze den Turm mittels Arkane Sicht analysiert, kommt er zu dem Schluss, dass dessen Auftauchen eng an die Vollendung des Vollmondes gebunden ist. Je voller die Mondscheibe ist, desto stofflicher wird der Turm. Außerdem nimmt Krätze Ströme magischer Kraft wahr, die von dem Gebäude ausgehen. Eine dieser magischen Strömungen fließt in Richtung Kreuzing, wo die sechs materiellen Elfentürme stehen. Krätze ordnet die Magie des Turms dem Zaubergebiet Teleportation zu. Ich nicke und konstatiere, dass der entrückte Turm in der morgigen Vollmondnacht das Maximum seiner „Hierundjetztigkeit“ erreichen wird. Zufrieden nehme ich einen kräftigen Schluck aus meinem Trinkschlauch – und speie ihn angewidert wieder aus. Das eben noch frische Bier ist plötzlich schal geworden. Wie die Geräusche, die verschwundene Flinte und die schwebenden Löffel ein weiterer Nebeneffekt der Magie des Turms. Plötzlich sieht Melina in nördlicher Richtung zwischen zwei Bäumen eine große, hundeartige Gestalt entlang huschen. Sie zückt ihren Säbel und stürmt los. Überrascht eilen wir hinterher. Doch als wir die Stelle erreichen, ist dort nichts zu sehen.
So beschließen wir in der morgigen Vollmondnacht wieder in die Bitterheide zurückzukehren. Wir erreichen den „Stumpen“ ohne Zwischenfälle und legen uns schlafen. Wir hören noch das Geheul eines Wolfes. Die Kirchenglocke schlägt 01 Uhr, dann herrscht Stille.
Freitag, der 13. Tag des VIII. Monats im Jahre 888 nG
In den frühen Morgenstunden wird Melina von dem aufgebrachten Wirt geweckt. Seine kleine Tochter hat Melinas Flinte auf der Latrine gefunden und sich damit fast in den Fuß geschossen. Der Wirt fordert Melina nachdrücklich auf, gefälligst besser auf ihre Waffe aufzupassen. Melinas Temperament geht mit ihr durch. Wütend brüllt sie ihm hinterher, dass seine Tochter die Flinte geklaut habe. Doch der Wirt stampft weiter und lässt sie einfach stehen. Durch diese kleine Szene werden auch wir anderen geweckt und gehen frühstücken. Krätze berichtet dem Wirt aufgekratzt von unseren gestrigen Erlebnissen. Aber für den missgebildeten Mann scheint all dies das Normalste auf der Welt zu sein Währenddessen trottet Svet in den Schankraum und leckt Wilbur die Hand. Der Halbling bemerkt, dass das Fell rund um die Lefzen des Hundes blutverschmiert ist. Besorgt gehen wir mit Svet nach draußen, wo er direkt in Richtung Bitterheide rennt. Wir folgen dem Hund, der uns bald wieder entgegenkommt. Im Maul trägt er einen Samtbeutel, in dem wir Parfüm und eine Haarnadel finden. Wir gehen weiter zur Heide, wo Svet noch meinen leeren Trinkschlauch anschleppt. Bald machen wir eine grausige Entdeckung: die übel zugerichtete Leiche einer Frau mit rotbraunem Haar. Ihr wurde die Kehle herausgerissen und die Kleidung zerfetzt. Es sieht aus, als sei die Fremde Opfer eines wilden Tieres geworden … oder eines Ungeheuers. Wilbur untersucht ihre blutigen Wunden. Er kommt zu dem Schluss, dass die Krallen, die sie gerissen haben, größer als die eines gewöhnlichen Wolfes gewesen sein müssen. War es vielleicht ein Bär? Doch ich entdecke einen Pfotenabdruck, der wie die Tatze eines riesenhaften Wolfes aussieht.
Wilbur hat auf Burg Martereck Aufzeichnungen über ähnliche Fährten gesehen. Diese sollen von verfluchten Gestaltwandlern, von Werwölfen, stammen. Auch diese Kreaturen sind an die Mondphasen gebunden und sind bei Vollmond am gefährlichsten. Die Tote trägt ein für die Landbevölkerung gewöhnliches Ausgehkleid. Mutationen können wir nicht erkennen. Wir schätzen sie auf ein Alter von etwa 20 Jahren. Kratze eilt zur Kirche und kommt mit Vater Grieven zurück. Schockiert erkennt der Priester in der Toten Delina aus Karbunkel. Ihren Ehemann, der Schneider, starb erst vor kurzen an einem Fieber, berichtet der Geistliche. Vater Grieven bedeckt das Gesicht der Verstorbenen und spricht ein Totengebet. Melina berichtet von dem Wolf, den sie in der letzten Nacht gesehen haben will. Könnte es sich um einen Werwolf gehandelt haben? Verängstigt bittet der Priester daraufhin mich bei ihm zu bleiben, währen der Rest von uns den Stellmacher informiert, damit dieser die Leiche abtransportiert. Nachdem die Verstorbene abgeholt worden ist, lassen wir uns von Vater Grieven noch zeigen, in welchem Haus sie gelebt hat. Mit wem wollte Delina sich in der letzten Nacht in der Bitterheide treffen? Könnte ihre Verabredung und der Werwolf die selbe Person sein? Wir hoffen, in ihrem Haus auf Antworten zu stoßen.