Die Mondkranke

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07.06.358 a. c. Nach tagelanger Reise erreichen meine Gefährten und ich endlich die freie Steinstadt Neuhafen, die an der Mündung des Weißflusses am Neumeer liegt. Im Umland breiten sich Äcker, Felder, kleinere Dörfer und vereinzelte Gehöfte aus. Neuhafen ist die letzte große Menschenstadt, die vor den Dörfern der Hügelzwerge liegt. Erschien mir Solace schon groß, wirkt diese gewaltige Ansammlung von Mauern, Türmen, Gebäuden, Straßen und Gassen um so erdrückender auf mich. Ich vermisse die ruhigen Weiten der Jagdgründe meines Stammes und bin froh, als Murgrosch Eisenaxt es übernimmt, bei den Wachen am Tor nach einer Übernachtungsmöglichkeit zu fragen. Dem Zwerg wird der Weg zur Pension „Himmelfein“ beschrieben und so drängeln wir uns durch Ansammlungen von Menschen aus Abanasinia und Solamnia und einigen Zwergen hindurch. Ein- oder zweimal schlüpfen ein paar flinke Kender an uns vorbei, was Murgrosch dazu bringt reflexartig die Gruppenkasse wie ein Neugeborenes schützend an seine Brust zu pressen. Die Pension liegt in einem gutbürgerlichen Viertel der Südstadt; ein größeres Fachwerkhaus mit einer überdachten Veranda. An der Rezeption empfängt uns Ebru Himmelfein, eine freundliche Frau aus dem Ergoth mit schwarzen Locken, die Ehefrau des Herbergsvaters. Bei ihr mieten wir zwei Doppelzimmer für eine Nacht und erfragen, wie wir den Majeretempel der Stadt erreichen. Dank Ebrus Beschreibung finden wir den Tempel schnell. Er steht an einem kleinen Platz mit eigenem Brunnen, um den sich mehrere Fachwerkhäuser ringen. Der Tempel hingegen ist in einem steinernen, einstöckigem Gebäude untergebracht. Hohe, schmale Buntglasfenster lassen Tageslicht hineinfallen und über der geöffneten Eingangstür ist eine Rose eingraviert, das heilige Symbol Majeres.
Wir betreten den Tempel und gelangen durch einen Perlenvorhang in einen Andachtsraum, auf dessen Boden einige bunte Meditationskissen verstreut liegen. Die Wände sind mit Gobelins geschmückt, die Rosenmuster sowie Darstellungen von Spinnen und Gottesanbeterinnen zeigen.
Außerdem befindet sich hier ein schlichter Altar, auf dem Tiegel steht, in dem Räucherwerk verglüht. In der Luft kann ich Weihrauch und einige andere Kräuter riechen, die auch mein Volk bei einigen seiner Zeremonien verwendet. Auf einem der Kissen sitzt eine Priesterin mit kahl rasiertem Haupt und meditiert. Als wir uns bemerkbar machen, erhebt sie sich. Wir erklären, dass uns Caramon, Held des Lanzenkrieges, geschickt hat und bitten darum, den vorstehenden Priester des Tempels sprechen zu dürfen. Schweigend bittet uns die Frau, hier kurz auf sie zu warten. Dann verlässt sie den Andachtsraum. Als sie nach einer Weile zurückgekehrt ist, führt sie uns durch einen Korridor in einen anderen Raum. Hier wurde mit einer Kochnische und einigen schlichten Möbeln ein einfacher Wohnbereich eingerichtet. Eine Türöffnung, die durch einen weiteren Perlenvorhang abgetrennt ist, mündet in eine weitere Kammer. Die Perlenschnüre rascheln und der Tempelpriester tritt hindurch. Wir alle ringen kurz mit unserer Fassung, denn es handelt sich nicht um einen Menschen oder Elfen, wie wir erwartet haben. Der Mann ist etwa 2,30 Meter groß und in eine rostrote Toga gehüllt, deren Stoff mit Bronzefäden durchwebt ist. Um seinen Hals hängt ein heiliges Medaillon mit dem Symbol der Spinne. Sein wuchtiger Schädel ist der eines großen Stiers, eines seiner langen Hörner wurde abgebrochen, das andere ist ihm geblieben.
„Mein Name ist Karon-Thor“, stellt sich der Minotaurus mit grollendem Bass vor. „Was führt euch her?“ Nachdem wir unsere Irritation überwunden haben, berichten Eldoril und ich, was uns auf Caramons Geheiß hergeführt hat. Gotrek und Murgrosch erzählen von der Plünderung des Dorfes Lot durch die Piraten, die unter der Flagge von Sargonnas segelten, jenem bösen Gott der Rache, dem die Minotaurier überwiegend dienen. Karon-Thor spitzt die Ohren und stellt einige Fragen zu der Piratengaleere. Er weiß von einem Schiff, das seit einiger Zeit die Küste unsicher macht, vielleicht war es das selbe, das Lot überfallen hat? Doch die beiden Zwerge können ihm kaum Details zu dem Schiff beschreiben. Eldoril zeigt ihm das Amulet, das Artha darstellt, die Tochter Ihrer Dunklen Majestät und Chemosh. Doch von dieser Halbgöttin habe er nie gehört, entgegnet Karon-Thor. Auch zu dem Verschwinden von Blitz kann er mir nichts sagen. Ich spüre eine gewissen Enttäuschung. Schon wieder konnte ich Nachtpirschers letzte Worte niemandem überbringen, der etwas damit anzufangen wusste. Doch dann bittet uns Karon-Thor um Mitternacht zum Tempel zurückzukehren, da er uns dann etwas zeigen möchte. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung?

Als wir den Tempel verlassen, begegnet uns ein dreizehnjähriger Junge, der Flugblätter verteilt. Mit lauter Stimme wirbt er für eine Kundgebung von Meister Khardras, die zu morgigen Mittagsstunde auf dem Marktplatz von Neuhafen stattfinden wird. Eldoril erkundigt sich, ob es sich bei diesem Meister Khardras um einen Priester handelt. Doch der Junge verneint. Der Meister sei kein Priester der Götter, sondern ein „Erleuchteter, der die Wahrheit verbreiten will“. Etwas verwundert setzen wir unseren Weg fort. Im Zeitalter der Verzweiflung, als sich die Götter von Krynn abgewendet hatten, gab es viele selbsternannte Prediger und Wahrheitssuchende, die durch die Lande zogen und Anhänger finden wollten. Ich dachte, dass diese Leute nach der Rückkehr von Habbakuk und den anderen Göttern ihre Missionen aufgegeben hätten.
Wir kehren in einer Taverne namens „Goldener Anker“ ein und stärken uns. Um die Zeit bis Mitternacht zu überbrücken, lassen wir uns durch das Nachtleben der Stadt treiben. Im Hafenviertel herrscht bis in die späten Stunden buntes Treiben: Musik und Gegröle erklingt aus Schenken und Tavernen, betrunkene Seefahrer ziehen von einer Kaschemme zur nächsten. Dirnen und Lustknaben bieten ihre Dienste an. In den großen Steinstädten geht es um einiges anders zu als in den Lagern der Que-Shu, wie ich immer wieder feststellen muss.

Schließlich kehren wir zum Tempel des Majere zurück. Die Tür des Gotteshauses steht offen und Karon-Thor erwartet uns im Andachtsraum. „Folgt mir“, brummt er mit seiner tiefen Stimme. Dann führt er uns aus dem Tempel heraus, zurück zum Hafen. Anstatt die Gassen mit ihren Kneipen aufzusuchen, lenkt der Minotaurus unsere Schritte zu den Anlegern und Kais, wo jetzt, tief in der Nacht, kein Betrieb mehr herrscht. An einer einsamen Mole, die den Ausfluss des Weißflusses begrenzt, lässt sich der Priester an einem brennenden Feuerkorb nieder und wir tun es ihm gleich. Von Neumeer her weht eine sanfte Brise heran, über uns funkeln die Sterne und das Licht der Monde fällt auf uns herab. Aus einem Beutel zieht Karon-Thor eine Pfeife hervor und stopft sie mit einer Kräutermischung. Schweigend setzt er am Feuerkorb einen Kienspan in Brand und entzündet dann die Pfeife. Der Minotaurus nimmt einen tiefen Zug, stößt den Rauch durch seine Nüstern wieder aus und reicht die Pfeife dann an Murgorsch weiter. Den Zwergenvölkern sind Tabak und Pfeifen vertraut. So genehmigen sich erst Murgrosch und dann Gotrek ein paar Züge des würzig-harzigen Kräuterrauches, bevor sie die Pfeife an Eldoril weitergeben. Auch der Elf nimmt an dem Ritual teil. Als ich die Pfeife an meine Lippen setze und ihren Rauch inhaliere, erfüllt mich ein leichtes Schwindelgefühl. Die Geräusche und Lichter der nahen Stadt scheinen sich irgendwie zu verschieben. Meine Gefährten und ich fühlen uns seltsam von der Welt entrückt.
„Schaut nach oben“, fordert uns Karon-Thor auf und deutet zum Nachthimmel. Über uns können wir den weißen Mond Solinari und den roten Mond Lunitari erblicken. Doch während der Rest der Welt durch das Rauschkraut farbiger wirkt als sonst, erscheinen die Monde seltsam blass. Ganz so, als hätte sich ein grauer Schleier um sie gelegt. Eldoril berichtet, dass er dieses Phänomen schon eine ganze Weile beobachten kann und dass er sah, wie ein Bruchstück von Lunitari auf Krynn herabstürzte und jenseits der Berge niederging, wo Nachtprischer und ich auf Blitz trafen. Karon-Thor berichtet, dass der Schleier, der die Monde verhüllt, der Grund dafür ist, dass er uns nicht helfen kann und das „sie“ erkrankt ist. Als wir fragen, wer „sie“ ist, erhebt sich der Priester und führt uns zurück zu seinem Tempel.

Auf der Rückseite des Gotteshauses befindet sich ein weiteres Gebäude. Als wir eintreten, sehen wir die schweigsame Priesterin wieder, die wir am Tage im Andachtsraum des Tempels getroffen haben. Karon-Thor bringt uns ein ein Zimmer, in dem ein Krankenlager eingerichtet worden ist.
Auf einem Bett ruht eine bleiche, ausgemergelte Frau. Ihr Haar ist vor der Zeit ergraut. Sie scheint noch jung zu sein, doch durch eine schwere Krankheit wurde ihr Körper nahezu ausgezehrt.
Mit besorgter Mine stellt uns der Minotaurus die Fremde als Saramber vor. Ihr Zustand verschlechtert sich seit Wochen, was mit dem Schleier zusammenhängen soll, der die Monde eingehüllt hat. Weiter berichtet Karon-Thor, dass Saramber eine Zauberkundige ist, die in den vergangenen Jahren auch in Abanasinia unterwegs gewesen ist. Als ich höre, dass sie ebenfalls Kontakt mit dem Drachen Blitz gehabt haben soll, beschleunigt sich mein Herzschlag. Karon-Thor sagt, dass wir versuchen dürfen, mit Saramber zu sprechen. Er zieht sich zurück während Rubinia, die kahle Priesterin mit dem Schweigegelübde, vor der Tür auf uns warten soll.
Eldoril stellt fest, dass ein Zaubernetz auf Saramber liegt. Es scheint sich um eine mächtige Verwandlungsmagie zu handeln. Er umfasst sein heiliges Symbol und bittet Paladin, ihre Krankheit zu heilen. Leider können wir nicht feststellen, ob das Gebet etwas bewirkt hat. Sarambers Augen bleiben weiterhin geschlossen, als wäre ihr Geist weit fort. Ich nehme an ihrem Krankenlager Platz und lege ihre Hand in die meinen. Mit ruhiger Stimme erzähle ich ihr von Nachtpirscher, Blitz und was meine Gefährten und mich von Solace nach Neuhafen geführt hat. Dabei bete ich zu Habbakuk, dass er ihr Linderung verschaffen möge. Nach einer Stunde hebt sie tatsächlich etwas die Lider. Saramber hat durch einen Silberblick Schwierigkeiten mit dem Sehen und das Sprechen bedeutet für die Erkrankte eine große Anstrengung. Sie fordert uns auf, nach Lunitaris Scherbe zu suchen. Wenn wir das Bruchstück jenseits der Berge finden, würden wir verstehen. Ich frage sie, ob ihr das Bruchstück helfen würde, wieder zu gesunden. Doch Saramber sagt entschlossen, dass sie damit nichts zu tun haben möchte. Dann verliert sie wieder das Bewusstsein.

Als wir etwas ratlos das Gebäude verlassen und zur Pension „Himmelfein“ gehen wollen, fällt uns ein Mann auf, in den hinteren Anbau hineingelassen wird. Besorgt schleiche ich zurück und lausche an der Tür. Durch die Bohlen kann ich nur die Gesprächsfetzen „Das muss dann reichen“ und „Dafür fehlt jetzt die Zeit“ verstehen. Wir ziehen uns ein Stück zurück und warten darauf, dass der Mann das Gebäude wieder verlässt. Nach einer Weile verlässt Rubinia den Anbau und geht in den Tempel zurück. Was hat das nur zu bedeuten? Entschlossen öffnen wir die Tür und gehen zum Krankenzimmer zurück – und stellen mit Erschrecken fest, dass Sarambers Bett leer ist. Von ihr und dem Fremden fehlt jede Spur. Eldoril eilt hinaus auf die Straße und sieht, dass Solinari und Lunitari weiterhin verblasst sind. Wir suchen die Umgebung rund um dem Tempel ab, können aber keine Spur mehr von Saramber oder dem Fremden mehr entdecken. Kurz erwägen wir, ob es Sinn macht, Rubinia zu befragen, verwerfen diese Idee dann aber wieder und kehren zur Pension zurück.

08.06.358 a. c. Am nächsten Morgen lernen wir Tobias Himmelfein, den Herbergsvater und Ehemann von Ebru kennen. Eldoril fragt ihn nach einem ortsansässigen Magier und der Wirt nennt ihm Hieronymus Delafaire, einen Träger der roten Roben, der in Neuhafen lebt. Als Eldoril nach Meister Khardras fragt, erzählt Tobias Himmelfein eifrig, dass dieser ein reisender Magister ist, der die bittere aber notwendige Wahrheit verkündet: Die Menschen seien nicht frei, sondern würden unter dem Joch der Drachen leben. Auf Eldorils kritische Frage, was das genau zu bedeuten habe, erklärt Himmelfein mit Überzeugung, dass die Menschen durch die Drachen unterdrückt werden. Schließlich haben sie im Krieg der Lanze große Verwüstungen angerichtet. Und auch jetzt noch könne sich die Menschheit nicht frei fühlen, da die Drachen immer noch als Eliten im Verborgenen über sie herrschen sollen. Zwar habe er selbst noch nie einen Drachen gesehen, aber in Solamnia soll die Gesamtsituation noch schlimmer sein als in Abanasinia. Dort geschehe nichts mehr ohne die Zustimmung des Drachengezüchts. Und auch hier würde es immer misslicher werden …
Als Himmelfein dann auch noch sagt, dass es keinen Tempel des Paladin in Neuhafen gibt, befindet Eldoril, dass er genug Narreteien für einen Morgen ertragen hat. Wir verlassen die Pension und nehmen unsere Habe mit. Dank der Wegbeschreibung finden wir das Stadthaus des Magiers recht gut. Hieronymus Delafaire wohnt nahe des Marktplatzes, wo bereits ein Podest für die Kundgebung von Meister Khardras aufgebaut wird. Als wir den Glockenzug betätigen, öffnet uns eine Hausdienerin namens Kunigunde. Zunächst versucht sie uns abzuwimmeln, doch als wir auf der Wichtigkeit unseren Anliegens beharren, lässt sie uns eintreten. Kunigunde führt uns in einen vornehm eingerichteten Salon. Unsere Waffen sollen wir an der Tür zurücklassen und bitte mit den wertvollen Sitzmöbeln aufpassen. Uns wird Tee und Gebäck serviert und nach einer Weile gesellt sich Delafaire zu uns. Der rote Magier scheint eine Vorliebe für gutes Essen und Schmuck zu haben: sein Bauch wölbt sich unter seiner Robe und an jedem seiner Finger funkelt ein Ring. Er gibt sich freundlich und gesprächig. Zwar hört er unserem Bericht über den Schleier und die Mondscherbe zu, doch kann oder will der Magier uns dazu nichts Hilfreiches berichten. Hieronymus Delafaire plaudert etwas mit uns und falls wir das Bruchstück finden sollten, können wir es ihn sehr gern zur Analyse vorbeibringen. Als wir ihm von Saramber erzählen, die vielleicht auch eine Magierin sein könnte, meint Delafaire, dass sie ihm nicht bekannt ist. Er selbst scheint sich jedenfalls bester Gesundheit zu erfreuen. Damit scheint der Schleier, der die Mode verblassen lässt, jedenfalls nicht auf alle Magier negative Auswirkungen zu haben. Schließlich endet unsere Audienz, ohne dass wir neue Erkenntnisse gewinnen konnten. Wir gehen noch einmal zu Majeretempel zurück, doch Karon-Thor ist nicht zugegen und soll erst gegen Abend zurückkehren. Da dies unsere einzige Spur zu sein scheint, beschließen wir, im Umland von Xak Tsaroth nach der Scherbe Lunitaris zu suchen. Nachdem wir uns mit Reiseproviant eingedeckt haben, machen wir uns auf den beschwerlichen Weg in die Wildnis jenseits der Berge und lassen Neuhafen hinter uns zurück.

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