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Zeichen der Vergänglichkeit II – Vorurteile

Salderkeim hatte neunhundert Einwohner. Es gab einige Tempel und Schreine, darunter auch einen, der Rondra geweiht war. Der Ort hatte drei Gasthäuser. Die Drachenjäger, die Rowin und seine Gefährten seit einem Tag begleiteten, empfahlen den „Salderholter Hirschen“. Dort empfing ein Wirt mit eindeutig norbardischem Einschlag die Reisenden. Tsaekal hatte es derweil vorgezogen, die Nacht im Wald zu verbringen.

Während Styrvake, Lyoscho und Fenew mit Hetgar Wulfjes und seinen Leuten den Abend verbrachten, ging Rowin zum Schrein seiner Göttin und betete in stiller Einkehr. Auf dem Altar befanden sich, wie es typisch für das Bornland war, zahlreiche Heiligenbilder, mit bunten Farben auf Holztäfelchen gemalt. Eines zeigte Anshag von Glodenhof, ein anderes, weitaus größeres, Ailgur Ornald von Drakenstein. „Ailgur von der Eiche“, wie er in Salderkeim genannt wurde. Vor etwa achthundert Jahren hatte er das Dorf Drakenstein vor einem Drachen beschützt. Außerdem hatte er drei Hexen bekämpft. Zwei von ihnen konnte er erschlagen, die Dritte entkam. Nach dem Kampf soll der Ritter aber etwas verwirrt gewesen sein und den Rest seines Lebens meditierend unter einem Baum verbracht haben.

Am nächsten Morgen, dem 17. Efferd 1022 BF, brachen die Drachenjäger schon sehr früh auf, aber auch Rowin, Lyoscho, Styrvake und Fenew verließen Salderkeim zeitig Richtung Westen. Am Stadtrand wartete Tsaekal. Er wirkte unruhig und nachdenklich. In knappen Worten teilte er den anderen mit, dass er einige Tage mit den Wölfen ziehen würde. Einen Grund für seine Sorge konnte oder wollte er nicht nennen. Gegen Mittag frischte der Wind auf, und es begann, in Strömen zu regnen. Auf dem verschlammten Weg trafen die Gefährten am Nachmittag auf eine Norbardensippe. Einer der Karren der Händler hatte einen Radbruch. Der Schaden wurde mit vereinten Kräften rasch behoben, und die Norbarden luden die Gefährten in ihr Lager ein. Sie wurden der Muhme Sanja Larsinnen und der Zibilja Thesija vorgestellt. Bald zeigte sich, dass die Sippe bereits im Dorf Hulga eine kurze Begegnung mit der Gruppe hatte. Dort war es der kleine Mjesko Larsinnen gewesen, der von einigen einheimischen Kindern verprügelt und von Rowin „gerettet“ worden war. Als der Junge den Rondra-Geweihten jetzt wieder erblickte, leuchteten seine Augen, und schon bald wich er nicht mehr von seiner Seite und wollte eine Rittergeschichte nach der anderen hören. Während man am Lager der Norbarden saß, erzählte Rowin von den Theaterrittern, von Helden und den Geweihten Rondras.

Irgendwann, es war bereits dunkel, mischte sich die Zibilja in das Gespräch ein. Schlagartig wurde es am Feuer still. Die alte Frau hatte die ehrerbietige Aufmerksamkeit der ganzen Sippe. Sie sprach von der Flucht der Beni Nurbad in das Land von Born und Walsach vor vielen hundert Jahren und von dem friedlichen Zusammenleben mit den Goblins, deren Schamanen sie als weise Frauen bezeichnete. Dann erzählte sie weiter von dem Einfall der Theaterritter, die diesen Frieden störten und die Goblins niedermachten. Immer aufgeregter wurde ihr Bericht und schon bald beschimpfte sie die Rondra-Geweihten als Mörder und Feiglinge. Da war es Rowin zu viel. Mit zorneslauter Stimme unterbrach er die Alte und wies sie zurecht. Unter den Norbarden, aber auch bei Fenew und Lyoscho, breitete sich ein peinliches Schweigen aus, bis einer der Männer den Rondra-Geweihten aufforderte, die Zibilja mit Respekt zu behandeln oder das Lager zu verlassen. Daraufhin sattelte Rowin sein Pferd und ritt in den Regen davon. Styrvake teilte er noch mit, dass er nach dem Dorf Larke wieder zu der Gruppe stoßen wollte.

Nicht weit von den Norbarden war ein Bauernhof. Dort fand der Rondra-Geweihte eine Unterkunft. In knappen Worten berichtete er von den Ereignissen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Hier auf dem bornländischen Land hatte man natürlich schon von der sprichwörtlichen Verschlagenheit und dem dunklen Hexenwerk der ziehenden Händler gehört und war in der Nacht  entsprechend wachsam. Während sich Rowin im Heu zufrieden rekelte, nahm der Sturm draußen zu. Es begann zu Blitzen und zu Donnern. Rondra zeigte deutlich ihr Missfallen mit den ketzerischen Reden der Zibilja. Mit einem Lächeln schlief der Geweihte ein.

Schon früh wurde er am nächsten Morgen geweckt. Es herrschte auf dem Hof ein aufgeregtes Treiben. In der Nacht hatte die Kuh eine Totgeburt und ein Blitz war in die Scheune eingeschlagen. Der Bauer war aufgebracht und vermutete dunkles Hexenwerk dahinter. Einige Knechte waren bereits mit Männern und Frauen von den Nachbarhöfen aufgebrochen, um die Norbarden zu vertreiben. Rowin packte schnell seine Sachen zusammen und lies sich dann zur Scheune bringen. Eine rasche Untersuchung ergab recht eindeutig, dass es wohl eher auf den Zustand der Kate und dem Sturm zurück zu führen war, dass das Gebäude jetzt in Trümmern dalag, als auf dunkle Magie. Rowin berichtete das dem Bauern und gab ihm noch zwei Batzen für seine Gastfreundschaft, woraufhin man ihm sehr dafür dankte. Danach setzte er seine Reise fort.

Später hörte Rowin von Styrvake, dass eine ganze Rotte Bauernlümmel versucht hatte, die Wagen der Norbarden anzuzünden. Es war dem einschüchternden Erscheinungsbild des Thorwalers und seinem energischen Auftreten, sowie Fenews Aufruf an die Sippe zur Besonnenheit zu verdanken, dass dabei niemand ernstlich zu Schaden kam. Am Abend kehrte Rowin wieder auf einem Gehöft ein, während Lyoscho, Styrvake und Fenew noch eine Nacht bei den Larsinnens verbrachten.

Am Morgen des 19. Efferd gabelte sich der Weg. Ein holpriger Pfad ging nach Süden Richtung Gebirge ab. An der Gabelung trennten sich die Gefährten von den Norbarden, die weiter nach Westen zogen. Kurz darauf schloss Rowin zu den anderen auf. Die Gespräche bis zur Mittagszeit drehten sich vornehmlich um den Eklat vor zwei Tagen. Dann begann es wieder zu regnen, was allen die Gelegenheit zu einer ausgedehnten Rast unter dem dichten Blätterdach eines großen Baumes gab. Noch während man so beisammen saß, hörte man die Geräusche zweier Pferde im Wald und dann tauchten schon zwei Reiter auf und näherten sich dem Lager. Alle hatten sich erhoben, als Meister Lyoscho vortrat und die Neuankömmlinge begrüßte. Auf den ungesattelten und ungezäumten Tieren saßen zwei Elfen. Die Frau wurde vom Magier als Lahalee Sonnengrüßer angesprochen, sie wiederum stellt dann ihren Begleiter, einen Mann namens Lindion Dunkelhaar, vor. Die Elfen gesellten sich ans Lager. Alle waren beeindruckt, von der Anmut und Entrücktheit der beiden Geschöpfe. Bei dem Mann schien es sich um einen Krieger zu handeln, er trug zwei schlanke Schwerter auf dem Rücken. Sie hingegen war unbewaffnet, und wie Lyoscho später berichtete, war sie eine Heilerin an Sumus Leib und hatte sich dem Kampf gegen die Schändungen der Borbaradianer verschrieben.

Lahalee war freundlich, ihre Rede war aber sehr umständlich und irgendwie wirr. Außer dem Magier, der selbst halb Elf war, schien ihr niemand folgen zu können. Lindion schwieg die meiste Zeit, und wenn er etwas sagte, trieften seine Worte vor Arroganz und Geringschätzung den Menschen gegenüber. Irgendwann stellte sich heraus, dass die Elfe den Fluch, der auf Allen lastete, durch einen Zauber innehalten aber nicht heilen konnte. Fenew und Lyoscho waren dazu bereit, Styrvake und Rowin lehnten dankend ab. Der Regen hatte nachgelassen. Als das Zauberwerk beendet war, reisten die Gefährten weiter nach Süden, die Elfen begleiteten sie nicht, sondern verschwanden im Wald. Natürlich waren alle wissbegierig, woher Lyoscho die Elfe kannte. Also erzählte er seine Geschichte¹:

„Es war während meiner Ausbildungszeit. Ich war noch sehr jung. Da abzusehen war, dass für unseren Jahrgang nicht ausreichend Stäbe aus Holz aus dem Schlangenwald gemacht werden konnten, mussten zwei andere Mitschüler und ich sich das Holz beschaffen. Üblicherweise hätte man welches kaufen können, doch es war durch den Krieg mit den Dämonen kaum möglich, entsprechende Qualität in Festum zu bekommen. Vor Einbruch des Winters reisten wir mit Elsurion Sternlicht und Pettar Muselken, aus dem Festumer Drachenmuseum, nach Gartimpen zum Bornwald, um uns das Holz für unsere Stäbe auszusuchen. Pettar unterhielt uns mit allem, was er über Drachen zu berichten wusste, sodass es meinen beiden Mitschülern schon bald zu den Ohren herauskam. Ich indes sog alles wie ein Schwamm auf. Elsurion zeigte sich mir gegenüber gerne großzügig, und wenn Pettar eine Pause machte, dann gab er mir Privatunterricht in Isdira.

Es war bereits dunkel geworden, und wir waren tief im Bornwald, als zwischen den Erwachsenen Streit ausbrach, weil sie zu spät bemerkt hatten, dass sie den falschen Weg genommen hatten. Sie hatten Angst, weil sie dem Riesen Milzenis nahe gekommen waren. Noch bevor sie umkehren konnten, brach dieser durch den Wald und kam auf uns zugestürmt. In der panischen Flucht wurde ich von den anderen getrennt. Als ich dann im finsteren Wald einen Abhang hinabfiel, verlor ich das Bewusstsein. Als ich es wiedererlangte – es war schon spät am Nachmittag des nächsten Tages – blickte ich in das Gesicht der Elfe Lahalee. Sie pflegte mich noch zwei weitere Tage, bevor wir uns zu Fuß nach Gartimpen begaben. Lahalee sagte, dass sie in meinen Träumen gesehen hatte, dass mich dort Menschen erwarteten.

Aber sie brachte mich zu drei Frauen, den Gartimpener Schwestern. Diese drei Hexen hatten den Kutscher mit einer Illusion auf den falschen Weg geschickt, beteuerten aber fest, dass nie Gefahr für Leib und Seele bestanden hätte. Wirklich böse konnte ich ihnen nicht sein, denn sie waren sehr freundlich zu mir. Als sie erfuhren, dass ich gekommen war, um Kernholz für einen Zauberstab zu kaufen, brachte Yoline mich zu einem Holzfäller, der mir für einen Batzen das Kernholz aus dem Stamm einer Steineiche verkaufte. Im Gasthof „Splitterholz“ fand ich meine Mitreisenden wieder. Diese staunten nicht schlecht über meine Erlebnisse – nun, meine Mitschüler waren eher grün vor Neid. Sobald wir wieder in Festum waren, übergaben wir unser unbehandeltes Kernholz dem Meisterholzschnitzer im Hesindedorf, der jedes Jahr die Zauberstäbe herstellte. Über mein großes Stück Holz freute er sich besonders. Die Stäbe aus dem Schlangenwald wurden zu seinem Bedauern aus dem Kernholz einzelner Äste gefertigt, und er hatte sonst nur wenig Freiheit bei ihrer Gestaltung.“

Als der Bericht endete, dämmerte es bereits und man sah die Lichter von Larsach in der Ferne. Der Ort hatte etwa dreihundert Einwohner. Es gab keine Schenke aber ein Dorfhaus, in dem man nächtigen konnte. Dort wurden die Gefährten von der Dorfschulzin Travjescha Peddarsjepen begrüßt. Zum Erstaunen aller, konnte sie sich nicht an eine Expedition erinnern, die durch Larsach gekommen war. Das war schon seltsam, denn auf dem Weg ins Gebirge kam man zwangsläufig an dem Dorf vorbei. Neben Rowin und seinen Begleitern waren noch drei weitere Reisende an dem Abend anwesend. Neugierig, wen es noch in diese Einöde verschlagen hatte, kam man rasch ins Gespräch.

Die Anderen kamen aus dem kleinen Dorf Kirschhausen. Gudwinja Hitzacker, die die meiste Zeit redete, lebte dort mit ihrem Vetter Gerrik Daske und Parel Parelow, welches die beiden Männer waren, die ebenfalls am Tisch saßen. Sie waren auf der Suche nach ihren Freunden Ugo und Katlenka, die sich vor einiger Zeit aufgemacht hatten, um in den Drachensteinen einen Hort ausfindig zu machen und zu plündern. Nachdem man seit einer Weile nichts mehr von ihnen gehört hatte, war man besorgt. Alle fünf schienen Glücksritter zu sein, die schon öfters zu solchen Expeditionen aufgebrochen waren, wobei Vetter Gerrik wohl ziehmlich dumm wirkte, aber auch Parel war keine Leuchte. Rowin fand die drei verdächtig. Sie verbargen etwas, auch wenn er nicht dahinter kam, was es war.

Am nächsten Morgen, es war der 20. Efferd, begann der Aufstieg ins Gebirge. Das Wetter war schön. In der Ferne kreisten einige Baumdrachen am Himmel. Der Weg war zu einem steinigen Pfad geworden. Bald war an reiten nicht mehr zu denken. Also sattelte Rowin ab, entledigte sich seiner Rüstung und führte die treue Esmeralda. Wenn alles gut ginge, würden sie am Abend Drakenstein erreichen. Tsaekal war noch nicht wieder zurück.


¹) Lyoschos Bericht ist der Vorgeschichte entnommen.

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